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Wir sind jung. Wir sind stark.

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Prädikat: besonders wertvoll

Wir sind jung. Wir sind stark. Kritik

Wir sind jung. Wir sind stark. Kritik
0 Kommentare - 25.01.2015 von FBW
Hierbei handelt es sich um eine Kritik der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW).

Bewertung: 4 / 5

Rostock, August 1992. Stefan ist gerade mit der Schule fertig, hat keinen Job, keine Perspektive. Seinen Freunden in der Clique geht es genauso. Zusammen hängen sie ab, trinken und gammeln rum. Dabei wächst in ihnen zunehmend der Frust. Und die Wut auf die Politiker, die ihrer Meinung nach nur die Ausländer beschützen, die in Scharen ins Land kommen. Immer schärfer wird die Stimmung innerhalb der Bevölkerung, die sich am Abend des 24. August im Stadtteil Lichtenhagen in purer Gewalt entlädt. Es fliegen Molotow-Cocktails, Häuser brennen, die Menge klatscht. Und Stefan und seine Freunde stehen mittendrin...

Wir sind jung. Wir sind stark. ist der zweite Spielfilm des Regisseurs Burhan Qurbani, der zusammen mit Martin Behnke auch das Drehbuch verfasst hat. Der Film behandelt einen einzigen Tag, der sich in das kollektive Gedächtnis Deutschlands eingeprägt hat. Es war der Tag, an dem Polizei und Politik hilflos und ohnmächtig zusahen, wie rechtsradikale Menschen Ausländer nicht nur offen bedrohten, sondern angriffen. Doch neben den Ereignissen, die Qurbani erschreckend nah und authentisch inszeniert, konzentriert sich der Film auf die Perspektive der Jugendlichen der damaligen Zeit. Stefan und seine Freunde stehen für eine Generation junger Menschen, die arbeits- und somit auch perspektivlos war und sich hinter Frust und Hass versteckte. Irgendjemand musste schuld sein an der "Lage der Nation" und für das eigene verpfuschte Leben büßen.

Trailer zu Wir sind jung. Wir sind stark.

Der Film zeigt die verschiedenen Ausprägungen des Rechtsradikalismus auf und wählt dafür Stellvertreterfiguren. Da ist der gewaltbereite Anführer der Clique, ein mieser Macho, der seine Wut an Schwachen auslassen will, um sich selbst nicht schwach zu fühlen. Da ist Jennie, die aus Langeweile mit der Clique rumhängt und sich einen Spaß daraus macht, Stefan und seinen Freund Robbie gegeneinander auszuspielen. Eine eigene Meinung hat sie dagegen nicht, denn die will keiner wissen. Stefan selbst ist meist passiver Zuschauer, der aus gutem Hause kommt, es besser wissen müsste, aber nicht den Mut besitzt, die anderen von ihrem rassistischen Gedankengut abzubringen und nicht weiß, was er will. Hauptsache nicht wie sein Vater werden, ein SPD-Politiker, der eigentlich für Ruhe im Stadtviertel sorgen soll. Doch er versteckt sich zuhause und steckt den Kopf in den Sand. Diese Jugendlichen stehen zwischen zwei Ideologien - noch ist die DDR-Vergangenheit präsent, aber auf der anderen Seite hat sich das freiheitliche Denken noch nicht vollständig durchgesetzt, und der früheren linken Ideologie steht verstärkt ein harter Rechtskurs gegenüber, der Deutschland von den Ausländern befreien will.

Wir sind jung. Wir sind stark. baut einen dramaturgisch fesselnden Spannungsbogen auf. Und obwohl die Handlung weitgehend den Fakten folgt, ist dabei kein Dokumentarfilm entstanden, der sich bis ins letzte Detail an die historischen Vorgaben anlehnt, sondern ein eigenständiger Plot zum Thema Rassismus, Macht von Ideologien, einer verunsicherten Generation im Umschwung, Politikern zwischen den Stühlen von Legislative und Judikative, Massenhysterie als Instrument für Fundamentalisten und über die Hilflosigkeit derer, die im Vertrauen auf Sicherheit und eine neue Chance in einem demokratisch regierten Staat, in den sie aus ihren eigenen Ländern geflohen sind, dann doch nur wieder Opfer von Gewalt und Angst werden.

Auch die Kamera ist in diesem Zusammenhang lobend zu erwähnen, vor allem beim fließenden Übergang von den anfänglich schwarz-weißen Bildern zum letzten, in Farbe gedrehten Viertel des Films, wenn die Gewalt sich in Feuer und Rauch manifestiert. Die Musik fügt sich ebenfalls hervorragend in die Dramaturgie - vom Pop der frühen neunziger Jahre zu kämpferischen Liedern mit ideologischen Ansagen bis hin zur Klassik, in die sich Stefans Vater Martin flüchtet, um sich zunächst seiner Verantwortung zu entziehen und Augen und Ohren vor den dramatischen Ereignissen zu schließen. Nicht zuletzt sind auch die guten Darsteller erwähnenswert, darunter Jonas Nay als Stefan, Joel Basmann als Robbie und Devid Striesow als Martin, der bei dieser Herausforderung versagt und das auch selbst erkennt.

Am Ende geht Lien, eine junge Vietnamesin, nach draußen. Sie und ihre Familie haben den Angriff überlebt. Sie schaut einen kleinen Jungen an. Dieser greift nach einem Stein. Der Hass ist gesät. Und ihn auszumerzen, ist ein Kampf, der nie aufhören darf. Ein wichtiger und hochaktueller Film aus Deutschland, der zeigt, dass das eigentliche Verbrechen ist, zuzusehen ohne einzugreifen. Und damit ein Film, der mahnt, erinnert, wachmacht.

Prädikat: besonders wertvoll

Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung

Wir sind jung. Wir sind stark. Bewertung
Bewertung des Films
810

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