Bewertung: 3.5 / 5
Eigentlich wollte ich ja keine Kritik schreiben, da ich zuletzt feststellte, dass meine Wahrnehmung nach einer Erstsichtung oft nicht mehr dem entspricht, was ich nach einer zweiten Sichtung empfinde. So konnte Batman v Superman nach der Sichtung des Ultimate Cut punkten, Suicide Squad fiel jedoch mittlerweile deutlich ab. Da ich aber persönlich gefragt wurde eine Kritik zu schreiben, hab ich mich etwas intensiver mit dem Film auseinander gesetzt und siehe da: seltsamerweise war da mehr drin. Wie immer mit Spoilern.
Handlung
Doktor Stephane Strange ist ein angesehener Arzt und quasi Pop-Star auf seinem Gebiet, welcher mit einer Vielzahl von Preisen überschüttet wurde. Seine Fähigkeiten sind top, jedoch weiss er dies auch und so ist Strange ein arroganter, überheblicher Mensch, der sich sogar seine eigene Fällen rein nach Prestige aussucht. Dies ändert sich nachdem ein schwerer Autounfall ihm sein wichtigstes Werkzeug nimmt: trotz einer Vielzahl von teuren Operationen kann er seine Hände nicht mehr benutzen. Resigniert, pleite und verzweifelt folgt er einem letzten Tipp und begibt sich nach Nepal. Dort begegnet er der Ancient One und wird in eine neue Welt eingeführt - eine Welt voller Magie, Multiversen und Bedrohungen, die ein Wissenschaftler und Arzt so leicht nicht akzeptieren kann.
Trailer zu Doctor Strange
Doctor Strange im Kontext des MCU
Obwohl der Civil War im Frühjahr ein globales Ereignis war, welches das MCU nach dem Angriff durch Ultron innerhalb eines Jahres zum zweiten Mal erschütterte, so fühlt sich Doctor Strange ziemlich losgelöst vom Rest der Avengers an. Man kann sogar sagen, dass er eigenständiger als Ant-Man ist und schon eine Art Nische im MCU darstellt, ähnlich wie Guardians of the Galaxy im Jahr 2014. Dies liegt natürlich an der neuen Thematik der Magie, Parallelwelten und Dimensionen, welche man so noch nicht wirklich auf der Leinwand des MCU sah. Zwar sieht man während des Films gleich mehrmals den Avengers Tower und die Avengers werden auch erwähnt, diese Easter Eggs sind jedoch rar gesäht. So sind Anspielungen eher im erweiterten MCU zu erkennen, wo dunkle Materie, schwarze Dimensionen und Astralkörper bereits in Agents of Shield und Agent Carter vorkamen.
Geschulten MCU-Zuschauer wird natürlich bereits früh aufgefallen sein, dass der Film trotzdem ein wichtiger Mosaikstein im MCU sein wird auf dem Weg zum Infinity War. Dies zeigte zum einen der fünfte der insgesamt sechs Infinity-Steine, aber auch die After-Credit-Szene, welche Thor 3 - Ragnarok anteaserte.
Charaktere
Die Höhepunkte des MCU waren bisher die Ensemblecasts. Gerade die Avengers- und Captain America Filme konnten mit einem überragenden Cast glänzen. Für Doctor Strange ließ man sich jedoch nicht lumpen und castete ein Ensemble, welches es bisher in einem Origin-Film noch nicht gab.
Eine Origin-Story steht und fällt dabei immer mit dem Hauptcharakter und mit Benedict Cumberbatch gelang Marvel ein echter Coup. Nicht umsonst wird er als einer der besten Schauspieler unserer Zeit bezeichnet, denn Cumberbatch verschmilzt bereits innerhalb weniger Sekunden mit seinem Charakter. Er bringt es locker fertig die Arroganz, Verwundbarkeit, den Meister und den Schüler auf die Leinwand zu bringen und überzeugt mit Überheblichkeit, Dramatik und Humor. Seine stärksten Szenen hat er vor allem am Anfang des Films, wobei der Wandel vom arroganten Arzt zum Wrack zum Schüler hin Cumberbatch leicht von Hand gehen. Dies wird durch die Optik mit seinem verwahrlosten Aussehen noch verstärkt. Schnell kommen natürlich Parallelen zu Tony Stark und diese sind auch berechtigt. Beide Charaktere sind sich sehr ähnlich und es scheint mittlerweile nur eine Frage der Zeit, wenn Doctor Strange unseren Iron Man als zentrale Figur im MCU ersetzt.
Das Casting von Tilda Swinton als Ancient One wurde nicht so positiv vernommen und die Kritik war meiner Meinung nach auch plausibel. Man muss eben feststellen, dass es keinen plausiblen Grund gibt, weshalb nun eine weiße Frau die Ancient One spielt. Der Film liefert auch keine Erklärung, sondern zeigt einfach nur wie großartig Swinton als Schauspielerin ist. Alleine ihr Blick zeigt schon wie geheimnisvoll und mächtig dieser Charakter ist. Swinton spielt die Rolle perfekt und man kann verstehen, dass man die Rolle umschrieb. Dabei ist es ebenfalls interessant, dass sie nicht einfach nur die Gute im Film ist, sondern auch Dreck am Stecken hat. Dies endet dann auch in einer der besten Szenen des Films, als sie mit Strange ein richtungsweisendes Gspräch führt. Es ist sie, welche endültig aus dem arroganten Doctor den Magier Strange macht. Typisch Marvel, dass man dann den Spieß umdreht und sich selber über die Kritik am Whitewashing lustig macht.
Doch die Ancient One verändert nicht nur Strange, sondern auch Baron Mordo, gespielt von Chiwetel Ejiofor. Er porträtiert wunderbar die innere Zerissenheit die in ihm entsteht, als Mordo die Wahrheit erkennt. Ansonsten bleibt er etwas blass, da seine Geschichte wie Marvel-Kenner wissen erst begonnen hat. Eine weitere Nebenfigur ist Wong, lustigerweise gespielt von Benedict Wong. Die Figur sorgt für den nötigen Humor und seine Szenen gehören zu den lustigsten des gesamten Film.
Kommen wir zum Schurken, dem eigentlichen Problem des MCU. Mad Mikkelsen Charakter Kaecilius hat mit den gleichen Problemen zu kämpfen, welche typisch sind für Origin-Filme. Man konzentriert sich sehr auf den eigentlichen Hauptcharakter und vernachlässigt etwas den Schurken, der zudem immer ein Spiegelbild des Superhelden an sich ist. Dies war bei Iron Man so und zog sich über Hulk, Captain America bis zu Ant-Man hin. Trotzdem schafft es Mikkelsen etwas aus diesem Teufelskreis auszubrechen, was an seiner Motivation bleibt. Er erinnert an einen Fanatiker, welcher (passend zu aktuellen Themen) seine Taten als richtig sieht, sie es jedoch nicht sind. Er will eigentlich nichts Böses, seine Ansichten sind jedoch verkehrt. Leider bleibt Marvel sich treu und "verschwendet" einen großartigen Schauspieler mal wieder und so reiht sich Kaecilis in die prominente Reihe von Ronan, Ultron und Malekith ein. Dies liegt jedoch wieder am MCU selbst, denn mit Mordo und dem überraschenden Endschurken Dormammu hat man bereits Nachfolger etabliert, die auch in den Comics zu den wichtigsten Figuren gehörten.
Effekte
Was war der Aufschrei nach dem ersten Trailer groß: da hatte man tatsächlich eine in sich selbst kippende Stadt gezeigt und einen verwahrlosten Typen in einem asiatischen Tempel. Schnell war der Vorwurf der Kopie des Großmeisters Christopher Nolan und seiner Klassiker Inception und Batman Begins in aller Munde. Doch bei Marvel war man bereits bei der Ankündigung der Phase 3 bemüht zu erklären, dass Inception eine Interpretationsquelle des Films sei. Und dies sieht man auch wenn Häuser, Städte, ja ganze Welten in sich kippen, sich verdrehen und ein großartiges Bild erschaffen. Bei Strange geht man sogar weiter als in Inception und die typischen Kaleidoskope sind über die gesamte Handlung hinweg ein wichtiges Thema. Diese Effekte funktionieren natürlich wunderbar mit 3D und man merkt, dass Marvel hier alles nutzte, was möglich ist. Auch die Reisen von Strange in andere Dimensionen sind psychodellisch, verrückt, verstörend und erinnern an die bunten Comics. Mancher erinnert sich an Drogentrips erinnert und Pink Floyd Alben.
Musik
Damit kommen wir auch schon zum Score, wo Michael Giacchino einen Sound entwickelt, welcher einfach anders ist und deshalb so wunderbar zu Doctor Strange passt. Pink Floyd, orientalische Einflüsse und Musik die nach antiker Magie klingen sind immer wiederkehrende Themen. Die Musik ist einfach anders und gerade dies passt zu einem Superhelden-Film der anders sein will und auch anders ist.
Kritik
Schauspieler genial, Effekte genial, Musik ebenfalls ok, also alles perfekt? Seltsamerweise konnte ich trotz der Vielzahl an positiven Momenten und Bilder immer noch Kritikpunkte finden und das Gefühl besteht, dass einfach mehr drin war. Dies liegt zum einen an dem, was ich mir anfangs erwartet hatte.
Horror-Regisseur, Magie, Dämonen und Okkult: ohne die Comics zu kennen erwartete ich einen düsteren Marvel-Film der womöglich die Tür öffnet für mehr Fantasie und Magie im MCU. Auch wenn dies durch Ghost Rider und Co. scheinbar sogar der Fall ist, war mehr drin. Zwar fährt der Film die Gagdichte weit zurück und hat eigentlich nur typische Moment-Witze und Arroganzanfälle, trotzdem wünschte ich mir mehr Magie. Denn auch wenn es ein komplett neues Element im Film ist, so wird uns nie wirklich erklärt wieso einige Menschen zaubern können und andere nicht. Die Magie wird versucht wissenschaftlich zu erklären um uns dann zu offenbaren: nichts ist wie es scheint. So ist die dunkle Dimension einfach eine von vielen Dimensionen, die wir nur im Ansatz erleben dürfen. Dormammu, der Herr dieser Dimension verkommt dabei wieder zu einer Art interdimensionalem Wesen, etwas was auch den Asen oder Dunkelelfen erfuhr.
Die Magie im Film ist nicht wirklich greifbar und anders wie z.B bei einem Harry Potter wird einem nicht wirklich die Grenzen aufgezeigt und was möglich ist. So kann Strange Portale öffnen, Dimensionen betreten und Bier auffüllen, Telekinese oder Starrzauber sind ihm aber fremd. Dazu gibt es eine Vielzahl von Artefakten, die mal mit Magie aufgeladen sind, mal aber auch scheinbar so einen magischen Willen besitzen. Es ist meckern auf hohem Niveau, aber als neues Element hat man Magie gezeigt, jedoch nicht was sie ausmacht, was sie von anderen Kräften unterscheidet und wieso ein Hawkeye nicht auch plötzlich Zauber lernen kann.
Dabei wirkt Strange überhaupt nicht als Überwesen. Seine Macht mit der er am Ende den Gegner besiegt bezieht er aus dem Time Stone. Und dieser wird als Infinity Stein sicher in die Hände von Thanos übergehen. Es bleibt dann ein Strange, der immer noch Probleme hat und trotzdem nach kurzer Ausbildung zu einem Wächter der Erde wird.
Es ist somit auch die vergangene Zeit innerhalb des Films, welche fragwürdig erscheint. Eine genaue Verortung in die Zeitlinie des MCU scheint nicht möglich. Zahlreiche OPs und eine Ausbildung zum Magier bis hin zum Treffen mit Thor - die Zeit vergeht wie im Flug, obwohl eine längere Timeline über mehrere Jahre für den Film eigentlich logischer erscheint. Dabei macht der Film die typischen Fehler eines Origin-Films. Gerne hätte man noch länger den arroganten Arzt zeigen können und vielleicht seinen Luxus noch besser darstellen können. Denn zu schnell weicht der arrogante Strange seinem gebrochenen Nachfolger. Hier schafft man es einen gebrochenen Mann zu zeigen, der Humor fehlt komplett und die Szenen gehören mit Sicherheit zu den heftigsten und besten des bisherigen MCU. Der Wandel vom Patienten zum Schüler vergeht dabei normal. Hier beginnt jedoch das Problem des Films. Zwar zeigt man wie wissbegierig Strange ist, wie er lernt und trainiert und wie er anfangs so manchen Rückschlag einstecken muss. Und trotzdem vergeht die gesamte Ausbildung irgendwie im Flug - Wahrnehmung von einer Zeitdauer ist nicht vorhanden. Ärgerlich, wenn Strange genau dann in den Konflikt mit Kaecilius gerät, wenn der und der Zuschauer gerade die Wahrheit erfährt: dies ist einfach eine faule Problemlösung und hätte man locker eleganter lösen können. Dass Strange dann in diesem Kampf scheinbar ebenbürtig scheint ist dann jedoch nicht zu verzeihen. Zwar hat er seine Probleme, bekommt ordentlich auf die Socken: erfahrene Zauberer sterben jedoch locker um ihn herum, während Strange überlebt - auch weil die Grenzen der Magie nicht ausgetestet werden. Klar ist Strange nicht umsonst eine der mächtigsten Figuren der Comics und klar, scheinbar ist er ähnlich wie eine Rey in SW dazu bestimmt, jedoch geht die Entwicklung einfach zu schnell.
Fazit
Am Ende bleibt das Gefühl, dass einfach mehr drin war. Zwar reizt Doctor Strange die Grenzen des zusammenhängenden Universum aus, trotzdem ist der Film immer noch darin gefangen. Und begeht deshalb Fehler, die es unter der Regie eines Marvel-Films so nicht mehr geben soll. Wenn Teil 2 und 3 erscheinen, wird das Gesamtbild ähnlich wie bei Thor oder Captain America wohl besser aussehen. Stand jetzt ist es eine typische Origin, die wir so auch schon gesehen haben. Rein von der Handlung her, unterscheidet sich der Film nicht wirklich von Iron Man oder Ant-Man. Trotz neuer Elemente und einer Selbstständigkeit hat man immer wieder das Gefühl, man hätte dies schon gesehen. Der gebrochene Mann, der Mentor, der Spiegelgegner und ein Versprechen für die Zukunft.
Doctor Strange ist sicher nicht schlecht, nein er ist sogar erstaunlich gut. Doch wenn ich gewisse Sache z.B beim diesjährigen Suicide Squad kritisieren, muss ich es auch hier tun. Und dann fällt einfach auf, dass der Mut schon genial war, es aber noch abgedrehter und verrückter und vielleicht auch erwachsener hätte sein können. Deshalb 3,5 Hüte mit einer leichten Tendenz zu 4.