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J. Edgar

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Mann im Schatten

J. Edgar Kritik

J. Edgar Kritik
6 Kommentare - 16.01.2012 von FBW
Hierbei handelt es sich um eine Kritik der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW).

Bewertung: 3.5 / 5

Wenn die "Suits", die "Anzüge", heutzutage an Tatorten in den USA auftauchen, dann sind die lokalen Sheriffs abgemeldet. Es wird ungemütlich, wenn das FBI übernimmt. Sowohl für die örtlichen Gesetzeshüter als auch für die Verbrecher. Das war nicht immer so. In den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die Bundespolizei eine Lachnummer. Die Agenten hatten keine Befugnisse, keine Waffen, um sich zu verteidigen, kein Budget. Doch dann übernahm John Edgar Hoover das Kommando: Regisseur Clint Eastwood versucht in J. Edgar die Geheimnisse eines Mannes zu ergründen, der aus einer prinzipiell hilflosen Organisation eine schlagkräftige Polizeitruppe formte.

Fast 50 Jahre lang war J. Edgar Hoover (Leonardo DiCaprio) Direktor des FBI. Er diente unter acht Präsidenten und 18 Justizministern, von denen ihn einige gerne losgeworden wären. Das aber war unmöglich. Hoover hatte Macht, sehr viel Macht, die er fein säuberlich archivierte: Hoover war ein akribischer Datensammler, eine private Auswahl verwahrte er in einem persönlichen Geheimarchiv, auf das er jeden neuen Präsidenten beim Antrittsbesuch hinwies. Und die Präsidenten hatten ihre Gründe, vor Hoover zu kuschen.

Eastwood schildert J. Edgar Hoovers Leben als geschickt verschachtelte Lebenschronologie eines besessenen, einsamen Mannes. Der Regisseur zeigt Hoover zuerst als einen alten Beamten, der gerne ein Held gewesen wäre. Er sitzt in seinem Büro und diktiert jungen FBI-Agenten seine Memoiren. Doch in der Erinnerung, das wird im Laufe des Films immer deutlicher, verschieben sich Perspektiven, da werden Details vergessen, da wird die Wahrheit neu erfunden.

Daraus kann man J. Edgar Hoover schwerlich einen Vorwurf machen. Der Mann, der bei seiner dominanten Mutter (Judi Dench) lebte, bis sie starb, war immer felsenfest davon überzeugt, das Richtige zu tun. Er verfolgte seine Ziele mit finsterer Entschlossenheit und suchte doch vor allem eins: Bestätigung. Im Grunde war Hoover ein einsamer, zutiefst verunsicherter Mann mit Allmachtsfantasien: eine dankbare Rolle für Leonardo DiCaprio, der sich fast zerreißt und Hoover in jungen Jahren als glaubwürdigen Terrier brillant darstellt, später hinter einer dicken Schicht Kinoschminke als starrsinnigen Greis.

Eastwood wälzt die Lebensgeschichte Hoovers in epischen zweieinhalb Stunden aus. Das ist durchaus kurzweilig, weil der FBI-Erfinder ein ziemlich unterhaltsamer Typ war. Beflissen hakt Eastwood die privaten Aspekte ab: Hoover war Paranoiker, Soziopath, Kommunistenhasser, Arbeitstier, Präsidentenerpresser und Muttersöhnchen. Er hatte ein Problem mit Frauen und eines mit Männern. Als junger Mann hatte er sich einmal zu einem Date verabredet, mit dem Ziel, Helen Gandy (Naomi Watts) schwer zu beeindrucken: "Ich zeige Ihnen mein Katalogisierungssystem in der Library of Congress." Den Heiratsantrag lehnt Miss Gandy ab, an Hoovers Seite wird sie als Privatsekretärin trotzdem bleiben, loyal über den Tod hinaus. Wie es auch Clyde Tolson (Armie Hammer) war, Hoovers persönlicher Assistent, mit dem ihn mehr als die berufliche Zusammenarbeit verband.

J. Edgar Hoover ist in den USA längst nicht so unumstritten, wie er von Eastwood gezeigt wird. Seine Verdienste um das FBI, das unter seiner Führung mit umfassenden Befugnissen ausgestattet wurde und mit wissenschaftlichen Methoden die Polizeiarbeit revolutionierte, sind allgemein anerkannt. Aber Hoover war auch jemand, der Gesetze äußerst frei interpretierte und illegale Abhörmethoden anwandte. Er verfolgte mit dem FBI nicht nur große Gangster, sondern auch persönliche Feindbilder: Kommunisten, Bürgerrechtler, Liberale.

Trotz aller handwerklichen Routine ist J. Edgar nicht mehr als eine nüchterne biografische Abhandlung über einen Mann im Schatten. Das Licht dringt auch in diesem Film nicht bis zu Hoover vor, und das ist schade. Eastwood geht es in seinem Film nicht um die gesellschaftliche Auswirkung, die Hoovers Wirken hatte, er wertet nicht und stellt keine Zusammenhänge her. Es geht nicht um Recht und Unrecht. Was moralisch ist, bestimmt ganz einfach derjenige, der an den längeren Hebeln sitzt. Oder die besseren Abhörgeräte zur Verfügung hat.

J. Edgar bekommt 3,5 von 5 Hüten.

Trailer zu J. Edgar


(Quelle: teleschau - der mediendienst | Andreas Fischer)

J. Edgar Bewertung
Bewertung des Films
710

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