Bewertung: 4 / 5
Sein Vater hat es ihm eingebläut, kurz bevor er loslief: "Vergiss, wie du heißt, vergiss alles, was du weißt. Aber vergiss nie, dass du Jude bist!". Und so flieht der 9-jährige Srulik, der sich von nun an Jurek nennt, im Jahr 1942 aus dem Warschauer Ghetto und beginnt eine einsame Reise durch Polen, stets im Ungewissen, ob ihm jemand helfen wird oder ob es ihm gelingt, die nächste kalte Nacht im Wald zu überleben. Doch immer wieder findet Jurek Hilfe. Bei Menschen, die selbst alles verloren haben. Oder Menschen, die bereit sind, alles zu riskieren, um nur ein unschuldiges Leben zu bewahren.
Lauf Junge lauf von Pepe Danquart erzählt in ruhigen eindringlichen Bildern die unfassbare und doch wahre Geschichte von Yoram Fridman, die bereits als Roman von Uri Orlev viele Menschen erreicht hat. In der Hauptrolle überzeugen die Zwillinge Andrzej und Kamil Tkacz, die das Kind mit Unschuld, jedoch auch mit ungebändigter Lebenskraft verkörpern. Die Figur des Jungen führt den Zuschauer durch den Film, lässt ihn den Leidensweg mitgehen und jeden Schritt schmerzhaft spüren. Die Nebenrollen sind mit polnischen und auch deutschen Darstellern glaubhaft und facettenreich besetzt. Dadurch ist der Film auch eine hochachtungsvolle Verbeugung vor all den Menschen, die den Verfolgten in der Zeit des Krieges geholfen haben, ungeachtet der Konsequenzen, mit denen sie selbst zu rechnen hatten.
Trailer zu Lauf Junge lauf
Es sind gerade die Zeugnisse der wenigen Überlebenden, die den Schrecken des Holocaust am Nachdrücklichsten vermitteln. In dieser Tradition ist auch Lauf Junge lauf verortet, und Pepe Danquart hat es sich mit seinem ersten langen Spielfilm nicht einfach gemacht, denn solch eine wahre Geschichte muss so wahrhaftig wie möglich erzählt werden. Und dies gelingt Danquart hier sehr beeindruckend. Erzählt wird konsequent aus der Perspektive des Jungen, der erlebt, wie schäbig und wie nobel die Menschen sich verhalten können. Und dabei ist die Grenze zwischen Gut und Böse nicht so eindeutig, wie man es erwartet. Ein SS-Offizier kann, wenn auch aus einer Laune heraus, das Leben des Jungen verschonen und eine polnische Bäuerin kann ihn ohne Not an seine Vernichter ausliefern. Viele helfen ihm selbstlos und diese kleinen unbesungenen Helden kommen hier zu ihrem Recht.
Das Drehbuch ist klug konstruiert, es überrascht ständig und die wenigen Rückblenden sind dramaturgisch geschickt gesetzt. Dazu erzählt Pepe Danquart sehr visuell mit großartigen, atmosphärisch reichen Bildern, die für das Kino gemacht sind. Alle Rollen sind fehlerlos besetzt und das Ensemble spielt durchweg inspiriert. Danquart ist auch ein Schauspieler-Regisseur, der viel aus seinen Darstellern herausholen kann. So wirkt in seinem Film alles wie aus einem Guss, und wenn man schließlich den realen Yoram Fridman mit seinen Kindern und Enkeln sieht, ist dies ein optimistischer Abschluss dieses zutiefst humanen Films.
Prädikat: besonders wertvoll
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung