Bewertung: 4 / 5
Europa, 16. Jahrhundert. Der Pferdehändler Michael Kohlhaas möchte seine Tiere zu einem Markt bringen. Doch unterwegs werden sie ihm aufgrund eines fehlenden Passierscheins abgenommen. Als Kohlhaas merkt, dass ihm die Justiz in diesem ungerechten Prozess nicht beistehen wird, entschließt er sich zur Selbstjustiz, als Rache für das, was ihm genommen wurde. Doch sein persönlicher Kampf mit den Obrigkeiten breitet sich bald aus und entfacht ein Feuer, das nicht mehr zu kontrollieren ist.
Vor über 200 Jahren verfasste Heinrich von Kleist die Novelle rund um Michael Kohlhaas, die zu einer der wichtigsten Werke der deutschen bzw. europäischen Literatur gehört. Der französische Regisseur Arnaud des Pallières hat sich in seinem Langfilmdebüt Michael Kohlhaas der Geschichte nun erneut angenommen und stellt sie, trotz des historischen Settings, in einen brandaktuellen Kontext. Denn die Situation des Michael Kohlhaas, also der Kampf des kleinen Bürgers gegen die allmächtig wirkende Obrigkeit, ist gerade in heutiger Zeit wieder mehr als nachvollziehbar.
Verkörpert wird Kohlhaas von Mads Mikkelsen, der durch sein intensives Spiel sowohl die wilde Entschlossenheit und Wut als auch die hoffnungslose Verletzlichkeit des geschlagenen Rebellen verkörpert. Es geht in diesem Film um die großen Fragen von Gerechtigkeit, Widerstand gegen Willkür, zivilen Ungehorsam, um den aufrechten Kampf eines unbeugsamen Individuums gegen die Obrigkeit, um Selbstjustiz, um Terrorismus - und um Verantwortung. Der französische Regisseur Arnaud des Pallières verlegt die Handlung der berühmten Kleistschen Novelle aus dem Brandenburgischen in die Cévennen, in deren karger Gegend die universelle Geschichte aus dem 16. Jahrhunderts neu erzählt wird. Die Natur ist übermächtig, und was aus der literarischen Vorlage nach draußen verlegt werden konnte, wird in dieser Kulisse gezeigt. Wind, Wolken und Nebel sind stets sehr präsent, der beunruhigende Ton des ständigen Windes, der Trommeln, der Pferde zieht sich durch den ganzen Film. Eine hochzivilisatorische Frage wird entwickelt in einer archaischen Kulisse. Was nahezu surreal klingt, erweist sich filmisch als höchst stimmig.
Des Pallières erzählt die Geschichte in sehr klaren und ruhigen wie höchst imposanten Bildern für die große Leinwand (Kamera: Jeanne Lapoirie), die den oft nervösen und atemlosen Grundton des Filmes kontrastieren und ergänzen. In höchstem Maße beeindruckend der dänische Hauptdarsteller Mads Mikkelsen, dessen Präsenz und dessen Gesicht weite Strecken des Filmes allein tragen können. Da ist kein Zorn, kein Berserker, der die Kontrolle verloren hat und in höchster Wut in einen Rausch der Rache gerät: wir sehen einen liebevollen und stets verantwortungsvollen, bei aller historischen Kostümierung höchst heutigen (auch Ehe-)Mann und Vater, der seine Besonnenheit nie verliert. Die radikale, aber nie eigensinnige Art, die Geschichte zu erzählen, verliert ihre Fallhöhe zu keinem Zeitpunkt. Ein Film, der ohne viel Sprache auskommt, der etwa allein über die Zwischenschnitte auf das Gesicht der Tochter unglaubliche Geschichten erzählt und eine kluge Nachdenklichkeit ermöglicht. Arnaud des Pallières Michael Kohlhaas steht als Solitär in der oft nur leicht variierten Dutzendware der aktuellen Bilderproduktion.
Prädikat: besonders wertvoll
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung