Bewertung: 4.5 / 5
The Witch stellt vielleicht DIE Horrorüberraschung des Jahres dar. Robert Eggers entführt uns ins Jahr 1630, wo wir uns einem subtilen und intelligenten Film voller Finesse und Atmosphäre gegenüber sehen, der mit den Konventionen des modernen Mainstream-Horror so garnichts zu tun hat und dabei so unglaublich viel richtig macht, dass er in diesem Genre zum großen Geheimtip avancieren könnte.
Inhalt:
1630: William und seine Familie werden aus einer Puritanersiedlung in New England verbannt, da er sich des Verbrechens der "hochmütigen Arroganz" schuldig gemacht haben soll. Um ein gänzlich gottesfürchtiges Leben zu führen siedelt er sich mit seiner Frau Katherine, seinem Sohn Caleb, seiner Tochter Thomasin und seinen Zwillingskindern Mercy und Jonas am Rande eines Waldes an. Als der jüngste Spross der Familie, Samuel, nicht lang nach seiner Geburt, beim Spiel mit seiner Schwester Thomasin verschwindet, wird die gläubige Familienidylle nachhaltig gestört. War es ein Wolf der das Kind geraubt hat, oder vielleicht doch die Hexe, die in den Wäldern lauern soll?
Trailer zu The Witch
Kritik:
The Witch baut vor allem auf eines - Atmosphäre. Der Film, beworben eher als ein moderner Geisterfilm ala The Conjuring oder Sinister, ist weit entfernt von seinen eher "jumpscarehaltigen" Genrekollegen. Während diese zwar auch eine gruselige Atmosphäre aufbauen, aber genauso auf klassische Schocks setzen, ist es hier vor allem die immer eindringlicher werdende Aura des Unwohlseins, die dem Film seine Qualität verleiht.
Die Darstellerriege präsentiert sich in diesem unmodernen und in sofern sehr ungewöhnlichen Setting extrem routiniert. Die Darsteller der Eltern, Ralph Ineson und Kate Dickie, bringen das zunehmende Misstrauen wie auch die wachsende Herausforderung des Lebens am Rande der absoluten Wildnis und fernab der Zivilisiation, im Angesicht ihrer elterlichen Anforderungen, absolut auf den Punkt. Insbesondere die Figur der Katherine sieht sich, ihres jüngsten Kindes beraubt, zugleich der Schuldfrage gegenüber, die sie schnell zu ihrer Tochter Thomasin führt, wie auch der Problematik ihre Familie in dieser menschenfeindlichen Umgebung über die Runden zu bringen. Auch Vater William verzweifelt zunehmend an den mageren Erträgen der Felder und dem wachsenden Unfrieden innerhalb seiner Familie.
Thomasin (Anya Taylor-Joy) steht hier der größten Herausforderung gegenüber. Dem stellenweise unverstellten Hass und Unbill ihrer Mutter ausgesetzt, nachdem sie es war, die die Aufsicht über den kleinen Samuel hatte, sieht sie sich zugleich an der Schwelle zur erwachsenen Frau. Zudem hat sie neben den Eltern die Hauptverantwortung und ist zugleich Kindermädchen für die Geschwister und Arbeitskraft auf dem kleinen Gut. Mit den strengen Glaubensvorstellungen von Vater William gerät der gesamte kleine Clan aneinander und die Grenze zwischen unabdingbarem Glauben innerhalb der Gemeinschaft und dem wachsenden Aberglauben ob der Ereignisse um das Haus und seine Bewohner lässt Reibungspunkte entstehen. Der jungen Darstellerin kann hierbei jedenfalls kaum genug Lob zugetragen werden.
Diese Reibung ist es, die dem Film eine ganz eigene Dynamik verschafft. Wo zu Beginn der Glaube der symbolhafte Fels ist, auf dem sich die Familie ein Leben aufbauen will, bröckelt dieses Fundament im Laufe der Geschichte zunehmend. Viele ungewöhnliche Dinge vermischt mit dem Misstrauen unter den Familienmitgliedern lassen in dieser unaufgeklärten Zeit den Glauben wanken. Und so sehr sich die Eltern dagegen wehren, der Druck der Situation wird größer und größer. Dieser Druck entlädt sich auch auf den Zuschauer, den die Atmosphäre und das wachsende Gefühl des Unwohlseins und der inneren Unruhe mehr und mehr verstören.
Verstörend ist der Film eben vor allem im Kopf, auf Ebene der Psyche. Sicher, dann und wann schleichen sich kurz, fast geisterhaft, explizitere Momente in den Film ein, aber diese sind es nicht, die die Atmosphäre ausmachen. Sie stützen sie, untermauern sie und lassen einen immer tiefer auf der Abwärtsspirale der Familie mitwandern. Die erdigen Töne im Bild, die triste Umgebung und die immer wieder fast nur natürliche, bzw in jedem Fall natürlich wirkende, Beleuchtung tun auf visueller Ebene ihr übriges. Die Cinematographie ist jedenfalls atemberaubend gelungen.
Auch die Soundkulisse kann sich hören lassen. Ob es die kleinen Effekte wie das Schnauben der Ziegen, das Knacken von Holz, das Knirschen der Dielen oder das leise Brausen des Windes sind - das Tropfen des Wassers bei Regen - alles hat seinen Platz in der Atmosphäre und stützt die Dichte des Films nur zusätzlich. Dazu findet sich ein verstörender, fast hypnotischer Score, der oftmals mehr aus misstönenden Versatzstücken zu bestehen scheint, oder aus apokalyptischen Chören, die aus den Tiefen der Wälder selbst zu stammen scheinen. Mark Korvens Arbeit, dem einen oder anderen vielleicht aus dem ähnlich hypnotischen Cube bekannt, fügt sich so unfügsam ins Gesamtbild ein wie nur möglich und verschmilzt dabei doch mit dem eindringlichen Ganzen des Films.
Die Reduzierung des Casts auf dieses absolute Minimum menschlichen Zusammenseins, die vollkommene Abwesenheit von Gesellschaft, außerhalb dieser winzigen Glaubensgemeinde mit fester hierarchischer Ordnung, ist ein weiteres wichtiges Element in der Stimmung des Films. Gott ist oberste Instanz, aber zugleich auch die einzige die zunächst nicht hinterfragt wird oder werden darf. Alle anderen Figuren unterliegen dem gegenseitigen Verdacht und der inneren Hierarchie. Sohn Caleb bekommt durch die Mutter die Order den Wald zu meiden, Vater William möchte ihn jedoch mit auf die Jagd nehmen. Diese Machtwechsel, die bewegliche Hierarchie, die Brüche darin und dazu das teilweise Verschweigen von Informationen innerhalb der Familie schüren das Misstrauen und die wachsende Missstimmung.
Dieses meisterhafte Jonglieren mit Idealen, Interessen und innerer Unruhe im Angesicht der Isolation gibt dem Film eine Linie, die zugleich verfolgt und immer wieder gebrochen wird. Eine Form von Konstanz, die auf sich vor allem durch ihre Abwesenheit aufmerksam macht und die den langsamen, schleichenden Stimmungswechsel im Film überhaupt möglich macht. Gesellschaft ist hier Verfall von Vertrauen, Abfallen vom Glauben, Zulassen von Aberglaube und Verlust des Zusammenhalts. Und je mehr die Figuren zweifeln, desto mehr zweifelt der Zuschauer - zunächst an den Figuren, zunehmend jedoch auch an sich und seiner Wahrnehmung im Angesicht des wachsenden Unwohlseins angesichts der Ereignisse die passieren. Und dieses Gefühl auszulösen, zu nähren und bis zum Schluss zunehmend zu steigern ist wahrlich eine unvergleichliche Leistung, die man Robert Eggers garnicht genug anrechnen kann.
Fazit:
The Witch ist Horrorkino vom allerfeinsten. Sicher eignet sich der Film nicht für jedermann, aber wenn man sich von seiner Atmosphäre gefangen nehmen lässt, sich auf die Zeit in der er spielt einlassen kann und den Figuren bereitwillig folgt, dann führt einen der Film an psychische Grenzen, die einen noch lange nach dem Abspann an dieses Erlebnis denken lassen. The Witch ist ein Erlebnis, das man zulassen muss - aber wenn man es tut, dann belohnt es mit einer visuell und akustisch wie auch schauspielerisch unglaublich eindringlich erzählten Schauermär aus vergessenen Tagen die einem unter die Haut geht und einen nur schwer wieder loslässt. Ich persönlich hatte danach jedenfalls das Bedürfnis heiß zu duschen, so sehr hat sich die verstörende Atmosphäre des Films in meinen Geist geschlichen.
4,5/5 Hüte bzw. 9/10 Punkte
für ein nahezu perfektes Horrorerlebnis das unter die Haut geht und dazu eine klare Empfehlung für jeden, der endlich einmal etwas anderes als Gore oder Jump-Scares möchte und sich auf Filme einzulassen vermag.