Disclaimer: Statt Figurennamen nutze ich im Folgenden Beschreibungen wie Protagonist, Bösewicht, etc., da ich mir die Namen der ausnahmslos blassen und uninteressanten Charaktere nicht gemerkt habe.
Teufelskerl Cameron revolutioniert mal wieder das Kino. Dieses Mal: Figurenmotivationen. Erinnert sich noch jemand an den Bösewicht vom ersten Teil? Im Hinblick auf den wurde Cameron ja von mancher Seite vorgeworfen, dass dessen innerer Antrieb recht generisch war. Nun, Bösewicht ist wieder da und hat jetzt ein neues, total originelles Motiv: Rache.
Trailer zu Avatar - The Way of Water
Damit hört die Figurenentwicklung aber bei weitem nicht auf. Protagonist und Protagonistin sind jetzt Eltern! Man kommt aus dem Staunen nicht heraus was Cameron hier in jahrelangem Schreiben am Drehbuch für eine Charaktertiefe herausgearbeitet hat. Die Charakterisierung "Eltern" zeigt sich in mehreren Szenen dadurch, dass die beiden Sorge um ihre Kinder haben. Wenn die Kinder ungehorsam waren und etwas angestellt haben, dann manifestiert sich die Charakterisierung "Eltern" darin, dass sie ihre Kinder dafür tadeln. Selten zuvor hat man so eine tiefe Charakterentwicklung in einem Blockbuster gesehen.
Nächste Überraschung: Die mehr als drei Stunden Laufzeit sind nicht gerechtfertigt. Cameron ergötzt sich ewig lang an seinen Postkartenmotiven, was irgendwann wohl selbst Leute, die an diesen vom Computer generierten Urlaubsvideos Gefallen finden, langweilen muss. Einen großen Teil nimmt eine "Fish out..." oder besser gesagt "Navi into water"-Story ein, die auf vorhersehbare Weise sämtliche Tropen der zugrunde liegenden Erzählkonvention abklappert.
Später gibt es noch eine in Anbetracht ihrer Länge an psychische Folter grenzende Waljagd, die so uninteressant wie ausufernd ist. Sind eigentlich ja keine Wale, sondern haben einen eigenen Namen but who am I kidding, kein Mensch wird sich an den erinnern. Wobei ein Wal sogar mehr Charaktertiefe bekommt als 99% der Figuren, aber ob das jetzt ein Lob für die Wal-Charakterisierung ist, lass ich an dieser Stelle mal offen.
Das Drehbuch ist infantil. Jede Szene hat man schon in zahlreichen Filmen zuvor gesehen und kann sie dementsprechend selbst weiterdenken. Überrascht wird hier also nur wer in seinem Leben noch keine 100 Filme gesehen hat oder sein Hirn mit dem Dimmen der Saalbeleuchtung automatisch abschaltet. Das zieht sich bis zur Schlusseinstellung, für die Cameron auch ganz tief in der Mottenkiste der abgenutztesten Filmklischees gegraben hat.
Müde von den 20-minütigen CGI-Schlachten am Ende der MCU-Filme? Keine Sorge, die gibts hier nicht, Cameron serviert einem nämlich eine 50-minütige CGI-Schlacht als Abschluss. Aber immerhin gibt es in diesem Schlussdrittel zum ersten Mal überhaupt zwei, drei halbwegs interessante Kameraeinstellungen. Zwar weniger als in einem einminütigen Teaser zu einem beliebigen PTA- oder Chazelle-Film aber nach mehr als zwei Stunden einfallsloser Natur-Tableaus ist man schon mit wenig zufrieden, solange es tatsächlich mal an genuines Filmhandwerk erinnert. Die in dieser Sequenz genutzte Parallelmontage ist wiederum so schlecht getimt, dass man bestimmte Figuren ganz vergessen hat bis sich der Film nach 20 Minuten plötzlich wieder für sie interessiert.
Ah ja, die Figuren. Die kann man ja einzig anhand der Frisuren auseinanderhalten. Okay, später kommen dann welche dazu, die türkise statt blaue Haut haben, aber das wars. In einem seiner tausend Promo-Interviews, in denen er sich pausenlos selbst auf die Brust geklopft hat, schwärmte Cameron auch von dem angeblich überragenden Motion Capture-Einsatz und wie viel besser dieser sei als etwa bei Thanos. Nun, bei dem konnte man zumindest Josh Brolins Mimik und somit dessen Schauspiel durchscheinen sehen, was bei Camerons Computerspielfiguren hier nicht der Fall ist. Das ist spätestens dann ein Problem, wenn die wohl als emotionaler Höhepunkt gedachte Szene kommt:
Ein Sohn der Hauptfigur stirbt, was einem egal ist, da man die beiden Söhne zuvor ohnehin nicht auseinanderhalten konnte.
Ich hab auch den ganzen Film über gerätselt wen Kate Winslet eigentlich spielt und obwohl es nur eine Figur gibt, die phänotypisch in Frage kommt, war ich mir nicht hundertprozentig sicher. Schließlich kann Sigourney Weaver hier ja auch problemlos ein Kind spielen, man erkennt die Schaupieler hinter den Figuren ohnehin nicht. Bestand Zoe Saldanas Artikulation im ersten Teil eigentlich auch schon zu 90% aus Fauchen und Kreischen? Das war hier ja kaum auszuhalten.
Hab ich jetzt tatsächlich nichts zum Verkaufsgimmick Nummer 1 geschrieben? Wer meint ein Drehbuch wie aus dem Satzbaukasten mit Charakterisierungen auf Seifenopern-Niveau werde durch schöne 3D-Bilder gerettet, darf gerne 20 Euro und 3 Stunden Lebenszeit dafür opfern. Man kann stattdessen aber auch in den nächsten Zoo gehen und die dortigen Aquarien bestaunen, da bekommt man fast das Gleiche und braucht nicht mal eine Brille aufzusetzen.