Bewertung: 3.5 / 5
Das Wichtigste zuerst: Ich weiß, viele haben diese Rezension nur angeklickt, weil sie wissen wollten, ob ich während des Films pinkeln musste. Ich kann euch beruhigen: Ich habe tapfer ohne Unterbrechung durchgehalten. Es gibt also keinen Grund, sich Sorgen zu machen, mir geht es gut!
Wenn ich mit dem Spoilerfreien Teil anfangen sollte, dann müsste ich direkt zum Fazit kommen:
Aus meiner Sicht ist Avengers: Endgame eine gute Unterhaltung, wie fast jeder Marvel-Film. Man muss schon eine ziemliche Abneigung gegenüber Superhelden-Filmen haben, um mit diesem Film überhaupt nichts anfangen zu können. Wenn also die Frage lautet „Soll ich für den Film ins Kino gehen?“, dann lautet die Antwort klar: Ja!
Aber wie gut ist der Film wirklich Eine Steigerung zu Infinity War? Der beste MCU-Film überhaupt? Hier gibt es meinerseits eine deutliche Absage. Endgame ist von seinen Ausmaßen durchaus „episch“, wovon man sich jedoch schlicht nicht zu sehr blenden lassen darf.
Ich persönlich sehe starke Probleme darin, dass viele der Figuren deutlich eindimensionaler wirkten, als sie es vorher waren. Allen voran ein Thanos, der quasi DER Sympathieträger in Infinity War war. Die Idee mit den 50% war zugegeben immer etwas fragwürdig, aber trotz allem wirkte er nie wie ein Bösewicht, der aus Prinzip böse ist, sondern eher wie der eigentliche, tragische Held, den einfach niemand verstehen will. Gerade das hat ihn zu einem ziemlich guten Bösewichten gemacht. Von diesem Thanos ist in Endgame allerdings nichts mehr übrig. Jetzt ist er tatsächlich zum klassischen Bösewichten geworden, der einfach nur da ist, um der Story einen Grund zu geben und Kämpfe zu rechtfertigen. Moralische Zerwürfnisse? Fehl am Platz.
Aber auch die Helden kommen nicht unbedingt besser davon. Gerade ein Thor oder ein Hulk sind zu sehr zu Karikaturen geworden, als dass es der Sache gut tun würde. Das ist vor allem bei Thor schade, da seine Reise und auch seine Verluste welche der bedeutendsten in den bisherigen Filmen waren.
Und eine Captain Marvel hätte man offen gesagt komplett weglassen können. Sie wirkte reingeworfen wie ein „Ach übrigens, die ist auch Teil des MCU“. Da so kurz vorher ihr Solofilm ins Kino kam, und deswegen die Nähe zu dieser Figur noch mehr vorhanden ist, hätte ich schlicht mehr erwartet.
Während Infinity War die unterschiedlichsten Facetten von Opfern, die man bringen muss, aufgezeigt hat, hätte ich gedacht, dass sich Endgame deutlicher mit dem Themen Scheitern und Verlust auseinandersetzt bzw. wie man so etwas verarbeitet. Ja, im Prinzip macht der Film das natürlich. Jeder Held geht irgendwie anders mit den Ereignissen aus IW um. Manche laufen Amok, andere geben sich selber auf, und wieder andere versuchen nach vorne zu schauen, oder sogar etwas Positives zu sehen. Das Ganze geschieht allerdings ohne all zu viel Tiefe. Jetzt mag man sagen „Ist doch eine Comic-Verfilmung und kein Oscar-Drama, was will man da erwarten?“. Das erscheint mir allerdings ein faules Argument, denn wie gesagt, Infinity War hatte trotz „Comic-Verfilmung“ eben mehr dieser Tiefe – und ein Civil War erst recht. In Endgame fehlt die Reibungsfläche der verschiedenen Weltanschauungen. Abgesehen vom Prolog, da gibt es einen kurzen Streit zwischen Tony und Cap, aber das wars auch schon.
Außerdem war das Zusammentreffen der gegensätzlichsten Figuren in Infinity War genau das, was diesem Riesen-Projekt eine geniale Würze verpasst hat. Auch hiervon ist in Endgame kaum noch etwas übrig. Alle sind so irgendwie auf einem Nenner, alles ist weitestgehend zur Gewohnheit geworden...für mich ein Dynamikverlust.
Garniert wurde das Ganze mit einem Abgefeiere der Vergangenheit und vielen Fan-Service-Momenten – für meinen Geschmack etwas zu viele. Viele polarisierende Themen, die in den neueren Comics aufgegriffen wurden, wurden übernommen. Und auch manche Details, über die man bei anderen Filmen eher mit einem Augenzwinkern geschnackt hat, wurden nun zur Realität – dabei war es gerade dieses Augenzwinkern, dieses „spekulative“, was dem ganzen seinen Reiz gegeben hat.
Gekrönt wurde das Ganze von einer für mich etwas peinlichen Szene, als mega gekünzelt sich mitten in der Schlacht alle weiblichen Charaktere aufgereiht haben. Am MCU fand ich es bisher immer lobenswert, dass es die „starken Frauen“ zwar gab und auch außerhalb der Filme von gesprochen wurde, aber in den Filmen selbst war es nie so ein Thema – bis jetzt. Im Grunde eine Kleinigkeit, die für mich den Eindruck unterstrichen hat, dass es eben eine Agenda an Dingen gab, die in Endgame abgehandelt werden sollte. Das hat sich für mich bei bisherigen MCU-Filmen einfach „organischer“ angefühlt.
Das sind jetzt viele Kritikpunkte meinerseits und manche davon pingeliger als andere. Das soll nicht über mein Ausgangs-Statement hinweg täuschen: Endgame ist definitiv ein super unterhaltsamer Film. Aber für mich persönlich über weite Strecken ohne die Tiefe, die die Russos eigentlich auf den Platz zaubern können.
Kommen wir jetzt aber zum Spoiler-Teil, um ein paar Dinge im Detail anzusprechen:
- Captain Marvel…warum? Sorry, aber man hätte Tony und Nebula locker auch ohne Energie-Probleme bis zur Erde zurückfliegen lassen können. Ich sehe keinen Mehrwert darin, dass Marvel in letzter Sekunde erscheint und die beiden zur Erde zurück trägt. Den Rest des Filmes ist sie dann schlicht und ergreifend nicht mehr zu sehen – bis zum Schluss versteht sich. Aber ganz im Ernst: Man hätte sie eiskalt rausschreiben können und niemand hätte sie vermisst. Und das finde ich echt schade. Ihr Solo-Film hat zumindest bei mir dann doch positive Stimmung aufgebaut und ich hätte gerne mehr der dortigen Carol gesehen. Vor allem hat der Verlust von Fury doch eigentlich emotional ganz schön was bei ihr ausgelöst, so machte es zumindest in der Post Credit Szene den Eindruck. Von diesen Emotionen ist rein gar nichts geblieben.
- Thanos – gerade seine Hinrichtung zu Beginn fand ich schlimm. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst und ich musste ein wenig an Revenge of the Sith denken, als Dooku und später eigentlich auch Palpatine hätten hingerichtet werden sollen. Hier wurde schön der Konflikt beschrieben: Ist jemand zu gefährlich, um ihn am Leben zu lassen? Darf man Judge, Jury and Executioner in einer Person an Ort und Stelle sein? Vor allem gegenüber einer Unbewaffneten Person?
Ich hätte gerne mehr von dem „gebrochenen“ Thanos gesehen, was er alle male nach IW hergegeben hätte. Und überhaupt hätte ich gerne einen Konflikt darüber gesehen, wie man nun mit ihm umgeht. Statt dessen wurde dieser „arme, alte Mann“ hinterhältig in seiner Hütte verprügelt und sein Kopf von Thor zum Wohle einer Pointe („I aimed for the head, hahahaha) abgehackt.
Im späteren Verlauf ist der „junge“ Thanos, wie oben beschrieben, deutlich eindimensionaler. Mehr der Thanos, den man aufgrund der Post-Credit-Szenen o.ä. erwartet hätte. Von daher war gerade IW die große Überraschung. Und überhaupt seine Schlussfolgerung, er müsse dann eben nicht nur 50%, sondern 100% allen Lebens auslöschen…das ist so platt und albern…Das funktionierte bei Halo richtig gut, aber da war die Prämisse eine vollkommen andere.
- Tony vs. Cap, warum hat man hieraus nicht mehr gemacht? Ebenfalls wie oben beschrieben fand ich den Streit im Prolog erstmal eine spannende Sache. Leider hat Cap die Sache zu cool runter gespielt. Und überhaupt, viel hängen geblieben ist nicht. Nach dem Zeitsprung, als die Truppe Tony besucht, ist eigentlich alles wieder easy, alle wieder Freunde. Nachdem Civil War die beiden so sehr auseinander hat driften lassen und sie sich in IW kein einziges Mal gesehen habe, fehlt mir irgendwie ein bisschen die Lücke, wie a) noch Rest-Konflikt vorhanden ist und b) die beiden wieder zusammen wachsen. Die beiden waren in den vergangenen Filmen immer zwei grundverschiedene Ideologien, die aufeinanger geprallt sein. Das fehlt.
- Kleinigkeiten zu Cap: Dass er Thors Hammer letztlich heben konnte und dann auch noch so prominent einsetzt, fand ich irgendwie...meh. Für mich zu viel Fan-Service. Die Andeutung in Avengers 2 fand ich spannend genug.
Dass er sein Schild an Falcon weiter gibt, fand ich auch nicht ganz verständlich. Ich hätte Bucky viel mehr als seinen Nachfolger gesehen. Es hätte dem ganzen einen Grund gegeben, warum er von den Toten zurück geholt wurde, und der Bogen wäre auch ein schöner gewesen, wie er sich vom Schurken aus den Platz als auf Seiten der "Guten" zurück erkämpft hat. Und dann natürlich die emotionale Bindung zwischen Cap und Bucky...Aber Falcon? Meh…
UND – Zeitreisen sind eine Bitch. Dass Cap am Ende aber in der Vergangenheit geblieben ist…das hätte so viel in der Zeitlinie durcheinander rütteln müssen. Da mag man gar nicht drüber nachdenken, wie das logisch doch hätte klappen können. Es ist ein schönes Ende für ihn, keine Frage, aber…ein hammer (ha) fragwürdiges.
- Nebula, einer meiner persönlichen Glanzlichter in dem Film. Auch sie hat letztlich eine sehr schöne Reise hinter sich, was im Film selbst eigentlich noch mal aufgegriffen wurde, indem man eben jnes Vergangenheits-Ich zeigt. Mini-Kritik wäre auch hier, dass ihr Vergangenheits-Ich noch etwas eindimensional war. Ich glaube, mit der Konfrontation ihres Zukunfts-Ichs hätte noch mehr innerer Konflikt in ihr passieren können. Speziell da zwei Bewusstseins in einem Kopf gefangen waren...
- Und was ist am Ende eigentlich mit Gamora passiert? War ich blind, oder hab ich sie nach der Schlacht nirgendwo mehr gesehen?