Bewertung: 5 / 5
Segio Leone gehört zu den Regisseuren, die - zumindest diesseits des Atlantik - unbestritten zu den Größten aller Zeiten ihres Faches gezählt werden. Der Mann hat gefühlt zwar nur sechs Filme gedreht, und zwar zwei "Trilogien", und dann aber was für welche, aber er wird gerade wegen dieser Filme so verehrt wie man heutzutage nur noch einen Tarantino, Anderson oder Nolan verehren würde. Wenn wir es ganz genau nehmen hat er zwar noch den Koloss von Rhodos auf seinem Buckel, aber das juckt die Leute nicht, wenn sie von Leone mit glänzenden Augen zu schwärmen beginnen. Wir verdanken ihm Eastwood, Morricone und den massenkompatiblen mittlerweile etablierten Antihelden. Was er mit seinen Filmen zwei bis fünf anfasste (Die sich stetig steigernde Dollar-Trilogie, sowie die gerade so noch gut funktionierende und gleichzeitig perfekte Operette Spiel mir das Lied vom Tod, übrigens der erste Teil seiner Amerika-Trilogie), wurde zu Gold und mittlerweiole zu Klassikern des Genres. Aber wie schon gesagt, Spiel mir das Lied vom Tod funktionierte gerade so noch, hier ist Leone immer sehr stark an der Grenze zum Überreizen aller Elemente, und es geschieht so etwas wie Magie, so wie der Film funktioniert. Sein nächster Eintrag in die Amerika-Trilogie überschreitet da jegliche Grenzen, die der Film mit der Mundharmonika gerade noch streift und versagt sowohl auf kommerzieller als auch auf künsterischer Ebene. Die Geschichte besagt, dass sogar Leones damals 6-jähriger Sohn, immer wenn er Ärger mit seinem Vater hatte, zu ihm gesagt haben soll: "Todesmelodie ist scheisse!" Was Leone sehr sehr weh getan haben soll. Fakt ist irgendwie auch, Leone erschuf den Italowestern mit Für eine Handvoll Dollar und er trug es mit der Todesmelodie auch zu Grabe. Komischerweise gelingt es Todesmelodie nie, den Weg zu leiten, der Film kommt einfach ein paar Jahre zu spät, da sind andere Italo-Regisseure ihm voraus und der Film ist seltsam lethargisch und melancholisch, dabei immer zu geschwätzig, und selbst Morricones üblicherweise aufpeitschende Musik ist merkwürdig deplatziert wirkend. Hinzu kommt, dass sowohl Spiel mir das Lied vom Tod und Todesmelodie die ersten auch für den amerikanischen Markt konzipierten Western Leones dort nicht sonderlich gut ankommen und das Produktionsstudio kein Geld damit verdient - nicht umsonst ist Spiel mir das Lied vom Tod in den USA kaum bekannt. Also zieht sich Leone für Jahre zurück und feilt an seinem Opus Magnum, dem letzten Teil der Amerika Trilogie, und hier überlässt er nichts dem Zufall. Es soll sein größter Film werden - und auch sein Letzter!
Anhand der Geschichte zweier Kindheitsfreunde, die gemeinsam Gangster-Karriere machen, groß werden, sich entzweien, und dann schließlich zu einer finalen Konfrontation gelangen, erzählt Leone die bitterböse Geschichte eines jungen Amerika, das zum einen voller Hingabe und Sehnsucht ist, auf der anderen Seite aber typisch italienisch Kintopp jener Zeit den Finger in die Wunde legt und Zustände anprangert, die den Menschen als Wolf des Menschen präsentiert. Dabei streift er so viele Themen und Erzählstränge, das es fast unmöglich all dies in ein Review zu quetschen. Und er nimmt sich die Freiheit, seine Geschichte so ausgiebig in die Länge zu ziehen, wie er möchte, ohne Rücksicht auf Verluste. Das alles garniert er mit einer extrem verschachtelten Rückblendenstruktur, wo teilweise einzelne Zeitebenene ineinander über zu fliessen scheinen. Alleine die Eröffnungssequenz mit dem gefühlt Ewigkeiten klingelnden Telefon ist eine Wucht.
Es wurde bei Filmhistorikern immer angeführt, dass zwei Glorreiche Halunken in der ungeschnittenen (verschollenen) Fassung Leones längster Film gewesen sein sollte, mittlerweile hat man im Italienischen eine knapp 5 Stundenversion von Es war einmal in Amerika restauriert, wodurch der Blonde und Tuco deutlich in die Schranken gewiesen sein sollten. Ob man wirklich 5 Stunden von Max und Noodles braucht, sei mal dahingestellt, denn die knapp 4-stündige europäische Fassung, sowie die knapp 3,5 std. Kinoversion sind auch schon ziemlich nahe der Perfektion, aber dazu müßte man den Film mal gesehen haben. Nur kurz zu den Unterschieden der beiden überall bekannten Versionen, ich persönlich bevorzuge trotz erheblicher fehlender Handlungsstränge die Kinoversion, da ich die deutsche Synchronstimme von DeNiro in der Kinoversion einfach deutlich ansprechender finde (ich glaube Joachim Kerzel, der Mann der üblicherweise Robert Wagner und Jack Nicholson spricht) als DeNiros üblichen Sprecher und es ganz erheblich zur Stimmungsbildung beiträgt.
Die Story selbst ist wie schon gesagt sehr universell, es handelt sich um Freundschaft, Liebe, Erwachsenwerden, Korruption der Moral, Verrat, Zurück gewiesen werden, Älter werden, Ideale und deren Verlust. Und da wir uns im Gangsterbusiness befinden, und weil Leone so ein extrem moralischer Erzähler ist, ist keiner der Beteiligten ein Saubermann. Der "Held" des Films - überragend gespielt von DeNiro - beispielsweise verrät in der ersten Szene des Films seine besten Freunde, seine Kindheitsfreunde und schickt sie in den Tod (wobei wir das erst viel später aufgelöst bekommen) und später vergewaltigt er seine Jugendliebe nach einem wirklich romantischen Date ziemlich rabiat und zerstört damit das letzte bißchen Menschlichkeit, was ihnen beiden irgendwie geblieben war. Später sieht man sie nur noch als Schauspielerin, was durchaus als Schutzschild zu verstehen ist. Und dennoch, obwohl der Charakter im Prinzip der schwärzeste Anti-Held zu sein scheint, gelingt es Leone spielerisch DeNiro als Identifikationsfigur zu etablieren, mit dem man mitfiebert. Selbst die Vergewaltigungsszene wird so lange vorbereitet, eigentlich den ganzen Film hindurch, dass sie nicht nur konsequent sondern auch extrem glaubwürdig ist, und in diesem einen Fall, obwohl sie ganz klar das Opfer ist (und daran gibt es nie einen Zweifel!) und seine taten absolut unentschuldbar sind, seine Motive dennoch nachvollziehbar sind. Ein extrem schwieriger und schmaler Grad und Leone meistert ihn scheinbar mühelos.
Ein kurzer Exkurs in diesem ohnehin schon sehr langen Review: Italienischen Regisseuren jener Zeit wird sehr schnell und häufig mal Sexismus, Voyeurismus, Objektifizierung und Unterwerfung der Frau angedichtet, so zB Bertolucci für den letzten Tango in Paris. Auch Leone kann man oberflächlich diesen Vorwurf machen, doch wo auf dem Bildschirm die Frau augenscheinlich gedemütigt wird, gibt Leone die ach so männliche Gesellschaft der Lächerlichkeit preis und zeigt nur, wie die Frauen in dieser Domäne ihren "Mann" stehen müssen, oder von den Männern eben zerstört werden, nur um sich selbst zu verwirklichen. Dieses immer wieder kehrende Motiv bedient Leone schon seit Für eine Handvoll Dollar und perfektioniert es hier. Ende Exkurs.
DeNiro steht aber mit James Wood ein Mit- und Gegenspieler zur Seite, der ihm im Grunde genommen die komplette Show stiehlt, im Prinzip ist dieser Film das für Woods, was Die durch die Hölle gehen für Christopher Walken ist. Leider kommt der Film extrem verstümmelt in die US-Kinos und bekommt nicht die Würdigung, die er verdient. Dieser Charakter, der DeNiros Charakter absolut ebenbürtig ist, ist facettenreich, gut aufgedröselt und zu einem gewissen Grade sogar der ehrlichere Charakter der beiden, da er das klarer definiertere Ziel vor Augen hat. Dadurch dass er aber weniger nennen wir es mal "romantisch" umweht ist, ist er gleichzeitig Buddy und Antagonist, wobei bis zum Ende nicht klar ist, ob nicht DeNiros Charakter sein eigener Anatgonist ist. Und wie schon gesagt, Leone weiss einfach, wie er seine Geschcihte erzählen muss und wie er welchen Charakter platzieren muss, damit das Ergebnis seinem Wunsch entspricht.
Alle, die zwischen diesen beiden Freunden, die zwischenzeitlich alles miteinander teilen, stehen - seien es Frauen oder Freunde - werden einfach zu Randfiguren und Beiwerk degradiert. Und wenn am Ende sich herausstellt, wer wem was geklaut hat, dann ist es immer noch ein Beweis der gegenseitigen Liebe.
All das hebt Es war einmal in Amerika schon über den normalen Epos-Status hinaus, aber was den Film schließlich in den absoluten Olymp katapultiert, ist einfach die unglaublich gefühlvolle und passende Musik vom Großmeister Ennio Morricone, der hier natürlich keine Reißer mehr im Sinne seiner Italowestern oder der 1970er Action-Reisser (man denke nur an seine krasse Musik zu Brutale Stadt) kreiert, sondern eine der Geschichte angebrachte musikalische Untermalung der absoluten Extraklasse abliefert. Und wenn dann ausgerechnet zum finalen Showdown - ebenfalls ein durchgehendes obligates Motiv bei Leone - Morricone allzu gerne in den Hintergrund rückt und einer Cover-Version der Beatles den Raum gibt, die Szene zu beherrschen, dann weiss man, dass alles richtig gemacht wurde, und man sitzt trotz des antiklimatischen Klimax mit solch einer Gänsehaut da. Denn diese auf den ersten Blick nichtexistente finale Konfrontation ist die beste Konfrontation aller Konfrontationen, da die Beteiligten sich auf eine reife Art und Weise gegenseitig sowas von fertig machen, dass es unbeschreiblich ist. Man muss es einfach gesehen haben. Und überstanden, dann erst hat man das Gefühl, diese Stunden des Wartens haben sich gelohnt, diese gefühlte Stunde als der fette Junge auf die Nutte mit einem Stück Kuchen wartet und den dann langsam selbst isst, diese gefühlte Stunde, die das dauert und nichts zur Handlung beiträgt, die war es definitiv wert!
Zur qualitativen Einordnung: Es war einmal in Amerika gehört definitiv in eine Riege mit den beiden ersten Paten. Während der Pate tatsächlich auch die jeweilgen Äras betrachtet und eine Bestandsaufnahme bietet, ist Es war einmal in Amerika in gewisser Weise phantastischer und zeitloser, eher eine übersteigerte Realität als tatsächliche. Da begibt er sich auf die Spuren eines Bertollucci, mit dem er ja auch schoin diverse Male kooperierte, der sowas ähnliches für Italien mit 1900 probierte und semi-scheiterte - übrigens auch da mit DeNiro, der da den kongenialen Depardieu als Partner in Crime hat, nur dass er im Gegensatz zu Bertolucci eben nicht scheitert. Hierzu hat sich Leone auch einfach zu viel Zeit gelassen und nichts dem Zufall überlassen. Welcher Film jetzt besser ist, Pate oder Amerika, ist jedem selbst überlassen. Beides (Pate 1 und 2 sehe ich mal als eins an) sind die Überwerke des Gangsterepos.
Gibt es überhaupt also nichts auszusetzen? Doch, am Eklatantesten ist die schlechte Maske bei den gealterten Schauspielern. Aber seien wir mal ehrlich, dass fällt so wenig ins Gewicht wie ein Tropfen Wasser im Ozean.
10 Punkte / 5 Hüte