Bewertung: 5 / 5
Dr Frankenstein hat eine Vision: einen künstlichen Menschen nach eigenem Antlitz erschaffen! Dafür stiehlt er zusammen mit seinem buckligen Kollegen Fritz Leichen von Friedhöfen, vom Galgen und wo auch immer er sie finden kann, um mit deren Einzelteilen sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Doch eines Abends macht Fritz einen entscheidenden Fehler. Statt eines normalen Gehirns stiehlt er das abnormale Hirn eines Straftäters. Und so kommt es, wie es kommen muss: Frankensteins Wesen entpuppt sich als Monster, das mordend durch die Lande zieht...
Kurz nach der Weltwirtschaftskrise suchte man bei den (damals noch nicht) altehrwürdigen Universal Studios nach neuen Stoffen. Der Sohn des Studiobosses Carl Laemmle zeigte dabei das richtige Gespür. Wohl selbst Freund des Horrors und des Makabren versuchte er jahrelang seinen Vater zu einer Verfilmung von „Dracula“ zu überreden. 1930 war es dann endlich so weit, der Karpatenfürst suchte von Bela Lugosi verkörpert die Lichtspielhäuser heim und wurde zum veritablen Kassenschlager. Nachschub musste her und da lag der Prototyp des verrückten Wissenschaftlers nur nahe. Regisseur James Whale wurde engagiert, um dem Projekt Leben einzuhauchen, Zufallsentdeckung Boris Karloff wurde als Monster besetzt und Colin Clive gab den titelgebenden Wissenschaftler. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Kinogeschichte...
Krankte Tod Brownings „Dracula“ noch an mangelndem Budget und einer flachen Inszenierung, weiß James Whale auf ganzer Linie zu überzeugen. Sein „Frankenstein“ besitzt einen visuellen Flair, der heute noch zu beeindrucken weiß. Kunstvolle Sets, ein geschicktes Spiel mit Licht und Schatten und kreative Kameraeinstellungen sorgen dafür, dass der Film heute noch frisch und unverbraucht wirkt. Das ist besonders erwähnenswert, wenn man bedenkt, dass viele mit der „Frankenstein“-Geschichte verbundene Klischees, wie der wütende Mob, der bucklige Helfer usw. auf diese Version zurückgehen. Aber Whale schafft einen Akt des filmischen Galvanismus, der heute noch wirkungsvoll nachzuhallen vermag.
Dies ist vor allem möglich, weil er sich typischen Gut/Böse-Kategorien verweigert. Das Monster ist kein schlechtes Wesen, es ist Produkt seiner Umwelt. Ein verängstigtes, ungeschicktes Kind in einer Welt, die es verachtet. All das spielt Boris Karloff in seiner ikonischen Darstellung ganz ohne Worte, sprechen sollte das Monster nämlich erst in der Fortsetzung lernen. Stattdessen muss Karloff alleine mit Körpersprache und ein paar Knurrlauten versuchen, dem Charakter eine Art Dreidimensionalität zu verleihen. Und das gelingt ihm auf ganzer Linie, obwohl Maskenbildnerlegende Jack Pierce wirklich ganze Arbeit geleistet hat, ihn grauenerregend aussehen zu lassen. „Kastenschädel“, Augenringe, eingefallene Wangen, viel mehr braucht es nicht, um Karloff in einen furchteinflößenden Ghoul zu verwandeln. Trotzdem scheint immer wieder Menschlichkeit durch die monsterhafte Fassade, man kann es einfach nicht übers Herz bringen, diese zugleich mitleiderregende Kreatur nicht zu mögen.
So bleibt es dann auch nicht aus, dass, sobald sich gegen Ende des zweiten Akts die große Tragödie ereignet, der Zuschauer sich auf der Seite dieses gequälten Wesens findet. Aber auch der Schmerz der Dorfbewohner wird mehr als eindrucksvoll kommuniziert. Ein Vater trägt sein ertrunkenes Kind durch das Dorf, während dort die Feierlichkeiten zu Frankensteins Hochzeit stattfinden. Die Kamera fängt seinen Weg durch das Dorf in einer ununterbrochenen Dollyfahrt ein. Dabei sehen wir nicht nur die Qualen in seinem Gesicht, sondern auch wie die Feierlichkeiten hinter ihm aufhören, als die Bewohner merken, was für ein Unglück sich gerade in ihrer Mitte abspielt. Spätestens hier wird klar, diese Geschichte hat keine Gewinner. Deshalb ist auch das Ende, in dem das Monster zerstört wird, kein Happy End, es ist einfach nur das i-Tüpfelchen auf einem schrecklichen Leben.
Das Monster als Außenseiter, als Underdog in einer Welt, die es verachtet. Das ist ein Motiv, dass sich durch die Filmgeschichte zieht, mit dem Guillermo del Toro gerade alle Fillmpreise der Welt abzusahnen scheint. Aber James Whale hat diesem Motiv mit „Frankenstein“ ein Monument gesetzt, an dem sich alle Nachfolger messen müssen. Zurecht einer der absoluten Klassiker der Filmgeschichte.