Bewertung: 4 / 5
In einer abgelegenen Region der Alpen wächst die kleine Albrun als einziges Kind einer Ziegenhirtin auf. Ohne Vater oder Ehemann, und getrennt von der Gemeinschaft lebend, wird die kleine Familie das Ziel altertümlicher Vorurteile und durch Aberglaube angeheizter offener Feindseligkeit. Familientragödie und permanente Ausgrenzung beginnen bald an Albrun zu zehren, deren Verzweiflung zunehmend Anzeichen von Wahnsinn zu tragen scheint.
Hagazussa, das Regiedebut von Lukas Feigelfeld, welches im September 2017 auf dem Fantastic Film Fest in Austin, Texas, das Licht der Welt erblickte, ist die Definition eines „slow burn“ Films. Der Film ist langsam, extrem atmosphärisch, und verlässt sich völlig auf seine unheimlichen Bilder und Schauspieler, um seinen existentiellen Horror unter die Haut kriechen zu lassen. Er nutzt die Isolation in einem Alpental wunderbar, um sowohl schöne Bilder zu produzieren, diese aber mit der furchtbaren Vereinsamung der Charaktere zu kontrastieren. Unterstrichen wird dies weiter durch eine klare Seltenheit an Dialogen, was das audiovisuelle Erlebnis, und das meine ich als hohes Lob, nochmals verstärkt.
Trailer zu Hagazussa - Der Hexenfluch
Aus dieser hilflosen Isolation schöpft der Film eine seiner großen Stärken, er überträgt die nagende Ungewissheit seiner Protagonistin auf das Publikum. Der Film lässt einen wortwörtlich im Ungewissen, was als nächstes passiert, und transportiert dies von der Handlungs- und Bildebene sogar auf die Struktur. Es wird durch eine klare Einteilung durch „Titel“ eine klassische drei-Akt-Struktur angedeutet, die dann aber einfach gebrochen wird (oder nicht?), und den Zuschauer wie die Protagonistin in Unsicherheit zurücklässt. Er baut vollkommen auf eine zunehmend morbide Ästhetik, die zum Ende definitiv ins surreale abdriftet und durch den zunehmend degenerierenden Geisteszustand von Albrun konnotiert ist, und kommt dabei ohne jegliche „jump scares“ aus. Aber die Bilder bleiben im Kopf, und es gibt zwei Szenen, in denen man innerlich aufschreien und eingreifen will, sowie eine Szene in der einem legitim etwas flau im Magen werden kann.
Als der Film erschien, wurden in einigen Kritiken Vergleiche zu The VVitch gezogen, was durch die Hexen- und Aberglauben-Thematik sowie die Abgeschiedenheit im Wald offensichtlich ist. Eine Stimme sprach von einem „feministischen Eraserhead“, was ein trefflicher Vergleich ist. Während der Klassiker von David Lynch eine Parabel über die Ängste des Mannes vor den Ungewissheiten der Ehe und des Kinderkriegens ist, thematisiert Hagazussa die Ächtung von Frauen, die nicht in ihre gesellschaftliche Rolle fallen, sowie die möglichen Folgen, natürlich mit dem Instrumentarium eines Horrorfilmes. Er geht sogar darüber hinaus, die Hoffnungslosigkeit der Situation von Albrun lässt sich leicht auf die aktuelle gesellschaftliche Situation übertragen, in der der Status oft einfach durch Geburt festgelegt ist, und in der man durch einen Migrationshintergrund, vererbtes Vermögen oder seinen Vornamen oft bereits an einer bestimmten Position der sozialen Leiter gestrandet ist. Das Thema „Vererbung“ trägt der Film ebenfalls groß auf der Brust, was ihm eine tiefgreifende existentielle Dramatik verleiht, die im Kopf bleibt. Hier bieten sich natürlich Vergleiche zu einem weiteren aktuellen Horrorfilm, Hereditary, an, von dem sich der Film zumindest eine Sache ausborgt: Charaktere, die lange in den Abgrund, oder besser die Kamera, starren.
Nach dem gesagten wird es wohl wenig überraschen, dass das Ende zumindest eine der Fragen des Filmes zu beantworten scheint, aber dennoch durchaus ambivalent interpretierbar ist. So lässt sich der finale Akt durchaus als perverser Befreiungsschlag gegen die auferlegten Riten der Gesellschaft deuten, und als Rückbesinnung auf einen „naturgebundeneren“ Status. Dieser Deutung widerspricht allerdings wieder die letzte Szene, die scheinbar zeigt, dass man für diese Rebellion den höchsten Preis zahlen muss . Alleine ist der Mensch nicht überlebensfähig, aber es bedarf einer gesunden Gemeinschaft um auch zu funktionieren.
Einige Punkte sind allerdings zu kritisieren, so ist die Musikuntermalung, passend zur Thematik, trist und monoton, wobei monoton am Ende leider die Überhand gewinnt. Eine gewisse Variation an verstörenden Tönen hätte gutgetan. Auch wirken einige Szenen unterentwickelt, abrupt und etwas plakativ ( Konfrontation mit der Dorfjugend, das Kennenlernen der „Freundin“, sowie die Szene mit dem Priester ), wenn man sich schon die Zeit nimmt, hätte man hier noch ein paar Minuten investieren können. Und letztendlich merkt man dem Film auch an einigen Stellen das sicherlich kleine Budget an, so fällt manchmal ein klarer Mangel an Texturen auf, womit ich sagen will, dass einige der Kulissen, vor allem die Kostüme, zu sauber sind.
Diese Kritikpunkte beiseite, Hagazussa ist einer der interessanteren Filme die ich zuletzt gesehen habe, und platziert Lukas Feigelfeld solide in der „sollte man beobachten“ Liste junger Regisseure.