Tja, da Verotika immer noch nicht in der Datenbank ist, und ich irgendwie nicht die Muße für eine Kritik an Raw finde, schreibe ich einfach fix was zum thematisch nächstliegenden Film: dem kaum umstrittenen Cannibal Holocaust von Ruggero Deodato aus dem Jahr 1980.
Das ist die Sorte Film, bei der man froh ist, sie nur in sehr bescheidener Qualität auf YouTube zu finden, und nicht jedes Detail in 4K UHD oder was auch immer präsentiert zu bekommen. Ein Exploitation-Film aus dem "Subgenre" (wenn es das wirklich gibt) des Kannibalenfilms, und was für einer. Sogar wenn man von diversen Filmen einiges gewohnt ist dreht sich hier der Magen um. Ob ich übertreibe? Der Film wurde nach kurzer Zeit konfisziert und Deodato wegen Mordes angeklagt, auf dem Level von Darstellung bewegen wir uns hier.
So, worum geht es bei dem ganzen Wirbel? Ein Team von jungen Dokumentarfilmern bricht in die Tiefen des Amazonas-Dschungels auf, um die dort lebenden Kannibalen zu filmen. Zwei Monate nach ihrem Aufbruch sind sie und ihr Führer spurlos verschwunden. Professor Harold Monroe versucht, sie und notfalls ihr Videomaterial aufzuspüren, sodass man im schlimmsten Fall zumindest ihren Tod nachvollziehen kann. Also begibt auch er sich in den Amazonas, aber was er findet wird niemandem Frieden bringen und sein Konzept von "Zivilisation" gründlich durcheinander bringen.
Wenn wir oben schon Genres angesprochen haben, der Film gehört ebenfalls in das sogenannte "Found Footage" Genre, das nicht erst mit Blair Witch Project geboren wurde. Ähnlich wie bei diesem mussten die Darsteller vor und nach dem Kinogang untertauchen, um die Glaubwürdigkeit und Effektivität des Filmes zu unterstreichen. Und genau hier liegt die Stärke und gleichzeitig Problematik des Filmes. Er zeigt explizit Nacktheit, Blut und echte Gedärme, die Darstellung von Vergewaltigung, Mord und Kannibalismus, und die tatsächliche Tötung echter Tiere. Eindeutig will er ein Spektatel sein und eine maximale Sensation oder auch Schock auslösen. Und gleichzeitig, und das macht der Film unmissverständlich klar, klagt er genau diese Sensationsgeilheit der Medien und der Gesellschaft an.
Überführt der Film sich selbst als scheinheilig und unmoralisch, wenn er Sensationslust ankreidet, aber genau diese kreiert und dafür Tiere tötet? Oder ist das eine clevere Konfrontation des Publikums, das für diesen Film Geld gezahlt hat und jetzt ins Grübeln kommen soll? Ich würde vorsichtig den zweiten Standpunkt einnehmen, auch wenn ich besagte Vorgehensweise beim filmen nicht gutheißen kann und Tierquälerei inzwischen zum Glück sowohl legal als auch gesellschaftlich in Filmen nicht mehr toleriert wird. Aber der Film erreicht seinen Effekt wenn es darum geht, dass man hinterfragen muss, inwieweit man selber Teil dieser Sensationsmaschine ist, und dafür muss man ihm Tribut zollen. Ob ich ihn jetzt auf dieselbe Ebene stellen würde wie Tarkowskis Andrej Rubljow, bei dem auch ein Pferd in einer Szene getötet wird, und der allgemein als Meisterwerk angesehen wird: mit Sicherheit nicht.
Er erreicht außerdem den Effekt, dass man vielleicht sein Essen nicht bei sich behalten kann, ergo nochmal Punkte dafür, und eine eher fragwürdige Empfehlung an alle Interessierte. Ihr wurdet gewarnt.