Eine finale Hymne auf Übermut, Chaos & Seife
Bitte einmal alle tief für die folgende Schilderung zur kongenialen Verfilmung von Chuck Palahniuks Anarcho-Novelle durchatmen! Wir brechen tatsächlich die ersten zwei Regeln des Fight Club und schreiben aus gegebenem Anlass über David Finchers 1999 erschienenen Kultfilm mit Edward Norton und Brad Pitt in den Hauptrollen. Wir tun das allerdings nicht, damit wir Tyler Durdens diabolischen Plan eines wahrhaftigen Nullpunkts verhindern. Ganz im Gegenteil:
Wir wollen, dass die gesamte Welt dieses glorreiche Crescendo einstürzender Wolkenkratzer vernehmen kann, die am Ende des Films präsentiert werden! Warum wir darüber schreiben? In der Volksrepublik China ist man darüber offensichtlich anderer Meinung...
Doch beginnen wir von vorn, oder besser gesagt beim Ende (wie eben im Film auch): Stellt euch für einen kurzen Moment einfach mal vor, dass Tyler Durdens anarchistische Fantasie einstürzender Gebäude zu den explosiven Klängen von "Where is my Mind" der Pixies nicht das glorreiche Finale von Fight Club definieren würde. Wir sähen also leider nicht, wie Edward Nortons namenloser Erzähler sich in Anbetracht der verheerenden Szenerie an die Hand der von ihm gleichfalls geliebten wie verhassten Marla Singer (Helena Bonham Carter) klammert, nachdem er sich seines Alter Egos auf die wohl denkbar radikalste Art und Weise entledigt hat. Kein Herzflimmern, kein von Norton dahingesagtes „Du hast mich in einer seltsamen Phase meines Lebens getroffen...“.
Wir wären niemals Zeuge dieser schauderhaft verqueren Adam und Eva-Analogie, die das Absterben des Kapitals in seiner reinsten Form am Ende zum Ausdruck bringt. Keine explosive Hyperventilation unserer elektrisierten Hirnnerven mehr, die im Schulterschluss mit dem hämmernden Filmintro Fight Clubs gesehen werden kann. Und natürlich wäre da am Ende kein achtsam ins Filmmaterial hineingeschnittener Pracht-Phallus mehr zu bewundern, der uns an Tylers kruden Humor erinnert und verdeutlicht, dass dieser Film einem vor Selbstreferenzialität strotzenden Fiebertraum gleichkommt...
Das soeben vorgetragene Szenario klingt auch für euch furchtbar? Leider ist jenes geniale Ende bei der Freigabe von Fight Club für Chinas Streaming-Dienst Tencent Video nun tatsächlich gestrichen worden! Stattdessen erfahren wir nach dem symbolischen Absterben der anarchischen Stimme des Erzählers, dass die Polizei den Plan des Projekt Chaos erfolgreich verhindern konnte, weil sich "Tyler" (in Wahrheit der Protagonist, Anm. des Schreibers) kooperativ zeigte und den teuflischen Plan aufdeckte.
Zum Dank wurde unser Lieblings-Narkoleptiker in eine Irrenanstalt eingewiesen und konnte - geht man vom Erscheinungsdatum von Fight Club aus - nach weniger als 13 Jahren erfolgreich resozialisiert werden. So viel Zeit gesteht man dem Helfer der Polizei immerhin zu, sich von seinem aberwitzigen, mentalen Schockerlebnis zu erholen. All das präsentiert man natürlich nicht in neuen, spannungsreichen Bildern, sondern über eine behelfsmäßige Textbox:
"Durch den Hinweis von Tyler fand die Polizei schnell den ganzen Plan heraus, verhaftete alle Verbrecher und konnte erfolgreich die Explosion der Bombe verhindern. Nach dem Prozess wurde Tyler in eine Irrenanstalt eingewiesen, wo er psychologisch behandelt wurde. Im Jahr 2012 wurde er aus der Klinik entlassen."
Dabei hätten sich die Verantwortlichen doch wenigstens die Mühe machen können, Tylers bravouröse Schnitttechnik zu adaptieren, um wenigstens den losen Anschein von Authentizität für das frei interpretierte Ende zu wahren. Es entbehrt dabei im Übrigen nicht einer gewissen Komik, dass man in China damit sogar die Arbeitsweise der US-amerikanischen Einsatzkräfte aufwertet und so ein indirektes Lob an den Klassenfeind erstellt hat. Bevor ihr euch aber das Trauerspiel nun selbst zu Gemüte führt, vorher noch eine kleine Bitte: Kaut vorher eifrig an eurer Baldrianwurzel, um euch in Anbetracht des verschlimmbesserten Finales von Fight Club zu beruhigen!