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Kritik: Drive von ProfessorX

ProfessorX | 23.01.2021

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2 Kommentare
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Nothing-is-Written : : Moviejones-Fan
28.01.2021 16:21 Uhr | Editiert am 29.01.2021 - 10:09 Uhr
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Dabei seit: 04.01.21 | Posts: 303 | Reviews: 2 | Hüte: 46

Vorweg möchte ich dir für die Darlegung deiner Sichtweise danken. Das regt durchaus zum erneuten Nachdenken über Nicolas Winding Refns Drive an. Nach mittlerweile 6 Sichtungen bin ich entschieden anderer Meinung, was die Essenz des Films anbelangt. Damit meine ich keinesfalls, dass deine Betrachtungsweise falsch oder unberechtigt ist. Allerdings denke ich, dass sich der Film ambivalenter darlegt, als du ihn wahrgenommen hast und vorliegend anhand der Plotelemente und Figuren zu schildern versuchst.

Man kann Refn zweifellos vorwerfen, dass er ein Stilist ist, der seine Figuren durchaus gern und oft in selbstgefälligen Bildkonstruktionen ertränkt. Weiterhin ist er kein Mann, der seinen Figuren große Worte in den Mund legt. Diese Eigenart kann zuweilen anstrengend sein. Ich persönlich kenne wenige Regisseure, die so stilbewusst ikonische Bilder kreieren, allerdings geht damit durchaus auch so manche Leerstelle einher...

Drive ist ein Film, der vom mehrmaligen Schauen profitiert. Es ist nicht nur das von dir angesprochene reduziert-kalkulierte Schauspiel Goslings, das den Film so aus der Masse des Genrekinos hervorhebt. Es ist die gesamte Wirkästhetik und Symbolik, die den Film zu einer Art Ur-Film-/Prototypen-Reflexion der Driver-Filme avancieren lässt (etwa Bullitt, Nur noch 60 Sekunden, Fluchtpunkt San Francisco). Damit meine ich keinesfalls, dass der Film besser als seine viel zitierten Vorbilder ist. Stattdessen spiele ich darauf an, dass er die bekannten Versatzstücke aufgreift und daraus einen kalkulierbaren Plot um einen wahrhaftig namenlosen Helden strickt. Ich möchte im Falle Goslings sogar von einem gesichts- und profillosen Anti-Helden sprechen. Er ist die ideale Folie, um das Publikum zu affizieren.

Es geht in Drive gerade nicht um den zwar wendungsreichen, aber auch vorhersehbaren Racheplot. Viel mehr handelt er von der aufwendigen Konstruktion eines Nicht-Helden, der sich bar seiner Fähigkeiten der Ungerechtigkeit in der Welt - und somit seiner inneren Dämonen - entledigt. Katharsis ist hierbei ein gewichtiges Stichwort. Goslings Driver ist ein Mensch, der selbst zu den Problemen zählt, die die Frau Irene (Carey Mulligan) heimsuchen. Nicht um mit ihr liiert zu sein, möchte er sie retten, sondern weil er weiß, dass es das Richtige für einen solchen Menschen ist. Für ihn ist sie die personifizierte Unschuld, die von garstigen Mannsbildern umzingelt scheint. Als Stuntman besitzt er keinerlei tieferes emotionales Zentrum als das Ehrgefühl und die raue Brutalität, die impulsartig im Moment der Anspannung aus ihm herausbricht. (Manche KulturwissenschaftlerInnen gehen sogar soweit, dass wir es im Falle Drives mit einer modernen Ritter-Mär zu tun haben. Die Pferde sind nun hochgezüchtete Karossen und die Jungfrau in Nöten ist nicht mehr die holde Prinzessin, sondern eine bereits vergebene Mutter. Auch wenn ich das für reichlich überinterpretiert halte, kann das anhand der Symbolik durchaus nachvollzogen werden)

Goslings Figur ist im definitorischen Sinne kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern ein abstraktes Anti-Heldengebilde. Deshalb sehen wir ihn als unverwüstlichen Protagonisten, der zu Beginn in routinierter Weise einer verheerenden Actionszene standhält. Die dabei getragene Maske ist ein wichtiges Indiz. Seine übermenschlich scheinende Heldentat bleibt im letztlichen Resultat des gedrehten Films ungesehen - als Stuntman ist ihm naturgemäß kein Ruhm gegönnt. Würde er sterben, käme eben der nächste seines Fachs zum Einsatz und ein weiterer Take führte zum gewünschten Resultat. Die gefilmte Heldentat ist damit pures Kalkül und wird entsprechend vom Produktionsstudio ausbezahlt. Ein Stuntman ist also ein wahrhaftiger Anti-Held, weil er im letztlichen Resultat niemals bewusst vorkommen soll. Er ist ein Mittel zum Zweck, das aus dem Bewusstsein der ZuschauerInnen getilgt werden muss, damit der Filmgenuss funktionieren kann. Drive widmet sich eben einer solchen Figur und stilisiert sie zum Helden. Dieses Spiel mit Konventionen macht den Film einzigartig.

Die zu Beginn getragene Maske trägt der Driver auch am Schluss, als er die von Ron Perlman und Albert Brooks gespielten Gangster Nino und Bernie Rose überfällt. Darüber hinaus spricht für die symbolische Sichtweise des Anti-Helden das stets gleiche Outfit mit dem Skorpion-Emblem auf der Jacke. "Raue Schale, weicher Kern" ließe sich sagen. Solange er nicht das Gefühl verspürt, dass er sich wehren muss, ist er die Ruhe selbst. Wer jedoch den Zorn auf ihn lenkt, der wird seine ganze Wut spüren.

Refn skizziert also nicht die fehlende Motivation des Drivers aus Faulheit, sondern weil er es gemäß des Genrekinos gar nicht darauf anlegt. Da er Drive als ein Substrat aus dem Querschnitt der Filme anlegt, bedarf es keiner weiteren Legitimation für die Handlungsweise der Figur. Ich denke, dass es dafür noch einige weitere Indizien innerhalb des Films gibt. Etwa der Tag-/Nacht-Wechsel, die Meeressymbolik, die diffuse Lichtsetzung mitsamit der wabernden Neonoptik. Das alles gibt Hinweise auf das brüchige Konstrukt der Hauptfigur.

Trotzdem bleiben auch diese Elemente Interpretationssache und ich verstehe, wenn man das weniger stark gewichten möchte und nach drängenderen (direkteren) Motivationsanreizen für das Geschehen verlangt. Wenn man das unbedingt wollte, könnte man aber auch den Ausbruch aus dem grauen Alltag des namenlosen Protagonisten geltend machen. Er hat sich in die liebreizende und zurückhaltende Art Carey Mulligans verliebt und weiß dennoch, dass er nicht der Richtige für sie ist. Seine Zuneigung treibt ihn dazu, dass er ihr indirekt helfen möchte, indem er ihrem Partner hilft. (Wenn dem so ist, hätte man das deutlicher inszenieren können. Ich persönlich finde allerdings die Ambivalenz der Dreiecksbeziehung und dem zugehörigen Sohn wahnsinnig reizvoll. Das Unausgesprochene trägt nämlich viel zur elektrisierten und bedeutungsschwangeren Stimmung bei)

Nach den ersten beiden Sichtungen hätte ich dir ehrlicherweise zugestimmt: den kann man geschaut haben, verpassen tut man allerdings auch nichts, wenn man das nicht getan hat. Mittlerweile denke ich aber, dass es eben um die angesprochene Genrereflexion geht und Refn seinen Film als ein aus der gefallenes B-Movie aus den 80er Jahren verstehen mag. Quasi als eine Art fingierte Blackbox, die erst heute gesichtet werden kann. Die Action ist handwerklich geschickt in Szene gesetzt. Besonders das geschickte Taktieren der Verfolgungssequenz direkt zu Beginn muss hervorgehoben werden.

Ich denke, dass der Sachverhalt bei Drive (fast) analog zu Quentin Tarantinos Death Proof verläuft. Der Unterschied zwischen den beiden Filmen besteht letztlich nur darin, dass Tarantino deutlich offensiver auf Ästhetiken und Scheinprobleme des Horrorgenres anspielt... Ein anderer Tarantino hat Brad Pitt zu einem unsterblichen Stuntman avancieren lassen und sich damit in ähnlicher Weise einer der unterschätztesten Randerscheinungen Hollywoods gewidmet.

"I have been watching my life. It’s right there. I keep scratching at it, trying to get into it. I can’t." "MAD MEN" S02E12: THE MOUNTAIN KING

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ProfessorX : : Moviejones-Fan
21.03.2021 09:11 Uhr | Editiert am 21.03.2021 - 09:12 Uhr
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Dabei seit: 17.05.14 | Posts: 938 | Reviews: 1.029 | Hüte: 42

@Nothing-is-Written

Na gerade zu den Bildern fällt mir einiges ein. Man muss sich nur mal die Werke von Denis Villeneuve, Rainer Werner Fassbinder, oder auch Werner Herzog ansehen. Gerade der Neue Deutsche Film verliert sich eigentlich nur in Bildern und sagt dabei aber auch etwas aus.

Was du zum Protagonisten sagst, kann man so sehen - richtig. Aber das ist die Allgemeine Problematik der Kunst. Denn hier passt meines Erachtens der viel zu inflationär gebrauchte Begriff Bedeutungsschwanger besser denn je. Denn meines Erachtens täuschen Solche Spielereien über die eigentliche Tatsache hinweg. Ich versuche dir mal ein Beispiel zu geben (welches du nicht annehmen musst, sondern damit hoffentlich meine Sichtweise verstehst) und zwar: Nehmen wir mal an, du siehst eine weiße Wand vor dir. Alles blitzblank bis auf einen kleinen Fleck in der rechten unteren Ecke. Sofort werden alle Leute hinrennen und sich diesen Fleck anschsauen. Ob der Künstler ihn nun beabsichtigt hat, oder nicht ist völlig irrelevant. Ab sofort ist er das Zentrum der Kunst. Doch gerade Filme sind eben keine Gemälde, und leben durch aktives Zusehen und nicht passives hineindeuten.

Das heißt diese Deutungsversuche kann man machen, aber sie sind nicht der eigentliche Kern. Worum es geht ist die Geschichte, worum es geht sind die Charaktere und dann kommt erst die Poesie. Ich sage auch nicht, daß das nicht funktionieren kann. So empfinde ich Blade Runner 1 und 2 als einige der Besten Filme die je gemacht wurden. Auch 2001: Odysee im Weltraum zähle ich zu meinen Lieblingen. Aber da steckt eben auch noch Substanz hinter, und es ist keine banale Gaunergeschichte, wo ich ja auch so viel reindeuten könnte.

Filme leben meines Erachtens durch zwei Dinge, die nicht immer einander ergänzen müssen. Zum einen wären es Charaktere, weswegen eben auch die Marvel-Filme funktionieren. Zum anderen wären es Geschichten, weshalb Fight Club so ungalublich gut ist. im besten Falle korrespondieren beide miteinander, und wir bekommen einen Film wie Es war einmal in Amerika. Doch in Drive ist es weder die Handlung, oder die Charaktere die in irgendeiner Form für mich funktionieren. Klar kann ich dann im Hintergrund nach Details oder ähnlichem Suchen, doch wenn die Oberfläche mich schon nicht tangiert, warum sollte es der Subtext tun?

Consider that a divorce!

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