Anzeige
Anzeige
Anzeige

Kritik: Der weiße Tiger von MobyDick

MobyDick | 08.02.2021

Hier dreht sich alles um die Der weiße Tiger von MobyDick. Tausch dich mit anderen Filmfans aus.

Was denkst du?
Ich stimme den Anmelderegeln beim Login zu!
9 Kommentare
Avatar
MobyDick : : Moviejones-Fan
08.02.2021 11:18 Uhr
0
Dabei seit: 29.10.13 | Posts: 7.688 | Reviews: 254 | Hüte: 620

Ganz starkes Stück Kino, das unter normalen Umständen für eine Menge Preise im engsten Rennen sein sollte

Dünyayi Kurtaran Adam
MJ-Pat
Avatar
luhp92 : : BOTman Begins
10.02.2021 20:06 Uhr | Editiert am 10.02.2021 - 20:09 Uhr
0
Dabei seit: 16.11.11 | Posts: 17.379 | Reviews: 180 | Hüte: 634

Yess. Gestern gesehen und ich wüsste jetzt nicht, was ich noch ergänzen sollte. Ich kann mich deinen Worten nur anschließen. Selbst solche Kleinigkeiten wie die aufblitzende Homoerotik (die Szene, in der Balram und Ashok zusammen singen), die eventuell noch hätte verdeutlicht werden können, habe ich sehr ähnlich empfunden.

Auch ich habe mich gerade beim Lesen gefragt, auf welchem Weg man das feudal- und sklavenartige Kastensystem sowie die Niedrigstellung der Frau abschaffen könnte. Es bräuchte evetuell wohl echt eine Art bürgerrechtliche und egalitäre Revolution wie in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts, nur frage ich mich, ob Indien über ein so starkes Bürgertum verfügt, welches eine solche Revolution antreiben könnte. Und wenn schon nichts Revolutionsartiges, dann zumindest eine sozialdemokratische Partei, die dann auch wirklich dem Namen nach handelt. Und der Staat müsste - wie auch in den westlichen Staaten geschehen - die ganzen Familienbande aufsprengen. Im Film sieht man ja sehr gut, welchen rückständigen, negativen Einfluss die Familien haben, sowohl in der oberen als auch der unteren Kaste.

P.S.: Bezeichnend für das Jahr 2021 und die aktuelle Situation, dass ich erst am 9. Februar den ersten Spielfilm des aktuellen Jahres gesehen habe.

"Dit is einfach kleinlich, weeste? Kleinjeld macht kleinlich, Alter. Dieset Rechnen und Feilschen und Anjebote lesen, Flaschenpfand, weeste? Dit schlägt dir einfach auf de Seele."

Avatar
MobyDick : : Moviejones-Fan
11.02.2021 12:44 Uhr | Editiert am 11.02.2021 - 12:56 Uhr
0
Dabei seit: 29.10.13 | Posts: 7.688 | Reviews: 254 | Hüte: 620

luhp92

Ich denke, dein Vorschlag setzt voraus, dass die französische Revolution von Erfolg geprägt war, was sie aber bei leibe nicht war, nach dem Wiener Kongress wurde ja alles wieder auf Null gesetzt, die Bewegungen 1848 in Deutschland beispielsweise wurden auch niedergeschlagen. Erst das nächste Jahrhundert änderte sich was an der ganzen Situation, weil die Veränderung von oben herbei geführt werden konnte, auch deshalbd weil die ganzen Thronfolger und Herrscher irgendwelche weltfremden Mimosen waren. Man denke nur an den russischen Zaren, den osmanischen Herrscher, die europäischen Adelshäuser.

ich denke, das englische Parlament und die Industrialisierung an sich hat mehr zu der heutigen Gesellschaft geführt als die französische Revolution welches in ein Terrorregime überleitete (daher ja auch der heutige Begriff Terror)...

Und damit so etwas funktionieren kann, braucht man sowas wie Aufklärung und Bildung, etwas was in diesen Ländern ja (bewusst ?) zurück gehalten wird, bzw. wenn mal einer an der Macht ist, plötzlich revidiert und zurück gefahren wird. Edit: Und selbst dann hast du noch gebildete aufgeklärte Arschlöcher

... auch hier der disclaimer: mein Geschichtsunterricht liegt ein paar Jahre zurück, verzeiht also bitte die historische evtl Inakuratesse wink

Dünyayi Kurtaran Adam
Avatar
eli4s : : Moviejones-Fan
17.02.2021 19:22 Uhr | Editiert am 17.02.2021 - 19:24 Uhr
0
Dabei seit: 22.02.12 | Posts: 2.702 | Reviews: 31 | Hüte: 115

Der Seitenhieb gegen Slumdog Millionaire hat mir auch im Film gut gefallen. Vorgestern gesehen. Kann vieles von dem, was du sagst zustimmen. Der Film ist spannend, obwohl ich am Anfang Sorge hatte, dass es so eine märchenhafte "Tellerwäscher wird Millionär-ist es nicht toll??" Geschichte wird und zu sehr auf dem Einzelschicksal rumreitet. Dabei hat er diese "Diener-Mentalität" echt gut rübergebracht und die festgefahrenen Traditionen, die alte Hierarchien zusätzlich festigen. Also nicht nur durch die oberer Klasse, sondern auch das Denken innerhalb der eigenen Klasse (der Eltern etc.), wie du ja besprichst.

Was ich bemerkenswert fand ist, dass der Protagonist kein Sympathieträger ist und dass die Implikation seiner Geschichte eine sehr düstere ist. Das hat mich überrascht.

Es geht ja nicht nur arm gegen reich, sondern auch arm gegen arm. "Arm" ist also nicht gleich gut. Die (moralische) Korruption zieht sich von oben bis unten durch und wird ja sogar vom Protagonisten als einzige Weg nach oben dargestellt. Das fand ich schon verstörend und im Kontext der Figur im Film auch nachvollziehbar.
Auch scheint er nicht wirklich eine Veränderung des Systems anzustreben. Er scheint eher zu sagen, er dreht den Spieß um. Er ist jetzt oben und wird seine Macht ausnutzen, wie die die er verdrängt. Auch dann auf staatlicher Ebene - er macht ja auch den Konflikt auf zwischen dem Westen und eben primär Indien und China.
Obwohl er ja dann seine "Angestellten" scheinbar besser behandelt und so weiter - das geht ja aber nicht wirklich weit. Das gibts ja schon. Am kapitalistischen System und Machtgefälle ändert sich ja nicht viel. Bekommt er ja auch zu spüren, als er von den Chinesen ignoriert wird. Ich hatte erst gedacht, dass er vielleicht, oben angekommen, das System von innen verändern will, aber er wechselt ja eigentlich nur die Seiten.

Insofern denke ich - aber das ist vielleicht nur ein Formulierungsproblem - dass die Themen des Films und die Darstellung nicht gleich die Aussage des Films ist. Ich denke, die Aussage des Films zielt auf die Lösung/Lücke im System ab:
Wie schaffen wir es Möglichkeiten zu schaffen, diesen Zustand zu verändern, OHNE auf Gewalt zurückzugreifen.
Hier hatte ich ein bisschen ein Problem, weil der Film suggeriert, dass es so weitergehen wird. Er prangert an und warnt, was auch schon viel ist. Einen Lösungsvorschlag hat er aber nicht wirklich. Vielleicht war mir das aber auch nur zu niederschmetternd...

Auf jeden Fall steckt viel drin. Guter Film!!

Den Vergleich zu Nightcrawler kann ich gerade nicht nachvollziehen. Da liegt der Themenschwerpunkt doch woanders?
Und homoerotische Untertöne habe ich auch nicht wahrgenommen, wäre auch für das Thema nicht wirklich relevant?

MJ-Pat
Avatar
luhp92 : : BOTman Begins
17.02.2021 20:22 Uhr | Editiert am 17.02.2021 - 20:25 Uhr
0
Dabei seit: 16.11.11 | Posts: 17.379 | Reviews: 180 | Hüte: 634

@MobyDick

Die Französische Revolution setzte allerdings trotz des Wiener Kongresses die Grundpfeiler der Freiheit und des Bürgerrechts, Napoleon trug diese dann in Europa hinein und verankerte sie durch seine Gesetzesbücher, von dem wiederum heutige Gesetzesbücher stark beeinflusst sind. Die gescheiterte, deutsche Revolution 1848 hätte es ohne den französischen Vorgänger ja auch gar nicht erst gegeben.

Russland verlor Monarchie und Ständegesellschaft ebefalls durch eine Revolution, also von unten und nicht von oben. Im deutschen und osmanischen Reich waren sie Opfer des verlorenen Ersten Weltkrieges. Die britische Monarchie konnte sich als Sieger halten, Großbritannien hat nichtsdestotrotz eine lange Tradition des Parlamentarismus (Bill of Rights), da hast du Recht.

Die Industrialisierung beziehungsweise Marxismus/Sozialismus als Reaktion darauf, auf dessen Basis dann Sozialdemokratie und Kommunismus entstanden, spielen natürlich ebenfalls eine große Rolle. Das ist die sozialistische Seite vieler heutiger Staats- und Gesellschaftssystem.

Allerdings sind die meisten dieser Staaten ja keine rein sozialistischen Staaten, sondern sind gleichzeitig geprägt vom Liberalismus, der auf Errungenschaften des britischen Parlamentarismus sowie der US-amerikanischen Unabhängigkeit und der französischen Revolution zurückgeht. Bzw. analog zu Marx die liberalen Staatstheoretiker wie Hobbes und Locke. Und gerade die Aufklärung ist unweigerlich verbunden mit dem liberalen Gedanken und steht mitunter Pate für all diese liberalen Gesellschaftsumwälzungen.

Um den Bogen zurück zu Indien zu schlagen, durch den britischen Imperialismus wurden Konzepte wie Liberalismus oder der Nationalstaat dann auch in deren Kolonien transportiert, was dann wiederum (Gandhi war paradoxer-/ironischerweise eben Akademiker/Gelehrter an einer britischen Universität) zur indischen Unabhängigkeit,Nationgründung und Demokratie führte.

Gereicht hat das offensichtlich nicht, um das Kastensystem zu sprengen. Vielleicht wurde Indien zu lange als Kolonie von Großbritannien kleingehalten und es ist sicherlich auch wahr, wie du schreibst, dass Aufklärung nicht radikal vorangetrieben wurde/wird und es an Bildung mangelt. Daran müsste die indische Regierung anknüpfen. Was wäre sonst eine Alternative, wenn es von oben - seit mittlerweile 70 Jahren - nicht klappt? Eine sozialistiche Revolution würde wahrscheinlich straight in Richtung Stalin oder Mao Zedong kippen. Bliebe also nur etwas wie die Französische Revolution.

P.S.: Ich würde dem Schulunterricht da keine allzu große Bedeutung beimessen, vieles habe ich mir (und hast sicherlich auch du dir) selbst erarbeitet oder im Austausch mit anderen Menschen.

"Dit is einfach kleinlich, weeste? Kleinjeld macht kleinlich, Alter. Dieset Rechnen und Feilschen und Anjebote lesen, Flaschenpfand, weeste? Dit schlägt dir einfach auf de Seele."

MJ-Pat
Avatar
luhp92 : : BOTman Begins
17.02.2021 20:45 Uhr | Editiert am 17.02.2021 - 20:48 Uhr
0
Dabei seit: 16.11.11 | Posts: 17.379 | Reviews: 180 | Hüte: 634

@eli4s
"Auch scheint er nicht wirklich eine Veränderung des Systems anzustreben."

Er vollzieht schon einen Wandel von dieser Diener-/Besitzebene hin zu einem kapitalistischen Arbeitsverhältnis. Der Taxifahrer Balram versteht sich, aus der unteren Kaste kommend, ja automatisch als Eigentum der Familie aus der oberen Kaste. Und bis auf die Ehefrau sieht das die Familie der oberen Kaste genauso. Quasi wie im Feudalismus mit Bauern und Adel oder einer Sklavenhaltergesellschaft, natürlich nicht so absolut wie da, Balram erhält schließlich auch Lohn, aber vom Prinzip her.

Der Taxiunternehmer Balram dagegen sieht sich als Arbeitgeber, behandelt seine Untergebenen als Angestellte/Arbeitnehmer und nicht als (Familien-)Besitz oder gemäßg irgendeiner Kaste, er gewährt ihnen sogar Arbeitsschutz und Arbeitsrechte (wie im Zuge der Industrailisierung erkämpft, siehe meine Diskussion mit MobyDick).

"Dit is einfach kleinlich, weeste? Kleinjeld macht kleinlich, Alter. Dieset Rechnen und Feilschen und Anjebote lesen, Flaschenpfand, weeste? Dit schlägt dir einfach auf de Seele."

Avatar
eli4s : : Moviejones-Fan
17.02.2021 21:12 Uhr
0
Dabei seit: 22.02.12 | Posts: 2.702 | Reviews: 31 | Hüte: 115

@luph92

ja, schon. aber damit (wie man auch in westlichen Demokratien sieht) ist das Problem ja nicht aus der Welt. Wie er ja selbst im Film mal sagt: eigentlich gibt es nur 2 Klassen: arm und reich.

Und diese berühmte Schere geht ja weiter auseinander in dem kapitalistischen System auch ohne/ nach der Überwindung des Kastensystems. Insofern mag man das als Fortschritt zu dem Kastensystem sehen, aber letztlich kein Fortschritt bewegt man sich immer noch innerhalb des eigentlichen Problems, wie unten beschrieben.

Avatar
MobyDick : : Moviejones-Fan
17.02.2021 21:24 Uhr
0
Dabei seit: 29.10.13 | Posts: 7.688 | Reviews: 254 | Hüte: 620

Eli4s

Also eines der elementaren Elemente der Erzählung ist der nicht ganz (un)reliable Narrator, da wird was gesagt, aber was anderes gezeigt, so dass man nicht alles für bare Münze nehmen kann. Das was man sieht, ist das wie es passiert. Und da ist es am Ende tatsächlich so, dass er sich zwar hochboxt, aber am Ende eben doch ein soziales Gewissen offenbart. Ob das damit zusammen hängt, dass er ein großes Opfer gebracht hat oder allgemein durch seine Sozialisierung zu einem besseren Menschen wird, ist da schon nebensächlich.

Den neuen Ost-West Konflikt habe ich mal bewusst in meiner Kritik ausgeblendet, da das zwar ganz klar auch thematisiert wird, aber für den gemeinen Inder ja nur eine hohle Phrase und ein leeres Versprechen ist, womit ihm nicht im Geringsten geholfen wird. Und das enttarnt der Film mE ziemlich deutlich u d macht den Inder zum Feind des Inders, und nicht den Ami oder den Chinesen oder wen auch immer. Da gibt es ganz andere Probleme, und selbst der Chinese kann ja damit völlig zu Recht nichts anfangen. Aber auch hier viele Lesarten möglich.

Auch zur unterschwelligen Homoerotik, diese ist durchaus angebracht, um das Parasit-Wirt-Verhältnis, gegenseitige Abhängigkeiten sowie eine stückweite Abnabelung durch ein erstarktes Selbstwertgefühl aufzuzeigen. Aber der Film ist auch so pickepackevoll, dass allein die mickrige Andeutung schon genug hergibt.

Und letztlich zum Nightcrawler, auch da geht es eben um einen Kerl, der mit allen Mitteln aus seiner Kaste nach oben möchte und da sehr skrupellos bis zur Schmerzgrenze agiert. Und so verhält es sich ja auch bei unserem Protagonisten hier, nur dass wir hier tatsächlich auch ein Wachsen des Charakters mitbekommen, der zudem letztlich tatsächlich von Nutzen für die Gesellschaft ist, wenn auch im Kleinen.

Zur Grundaussage und den Lösungsansätzen: auch da macht er es sich nicht einfach oder kommt mit einem erhobenen Zeigefinger daher, und lässt zig Lesarten zu. Alleine dass wir hier nach Lösungsmöglichkeiten diskutieren zeigt das ja auf ;)

Alles in allem wie gesagt sehr starkes Stück und daher auch meine glasklare Empfehlung, ruhig mal weitere Prestigeprojekte aus Netflixindien zu schauen so lange sie das noch so drehen dürfen : der Pate von Bombay ist zumindest in der ersten Staffel ganz ganz starkes Genrekino, auch mindestens qualitativ auf Augenhöhe mit White Tiger, und Delhi Crime ist für mich neben Fargo und The Wire für mich die beste Serie weltweit in diesem Jahrtausend.

Luhp92

Stimme dir weitestgehend zu, auch bzgl deiner Argumentation ggü eli4s smile

Nur mein Halbwissen ist wirklich größtenteils Schulwissen, hatte Geschichte als abifach ;)

Dünyayi Kurtaran Adam
MJ-Pat
Avatar
luhp92 : : BOTman Begins
19.02.2021 22:46 Uhr
0
Dabei seit: 16.11.11 | Posts: 17.379 | Reviews: 180 | Hüte: 634

@eli4s
Ja, es ist natürlich weiterhin noch ein langer und schwieriger Weg, aber schonmal ein Anfang in die richtige Richtung.

@MobyDick
Ich hatte Geschichte auch als Abifach (2012), die Klausur habe ich meine ich über das Kaiserreich und Bismarck geschrieben^^ Leider ist das Schulsystem in NRW so dämlich, dass man im Grundkurs nur bis 1945 kommt und die Geschichte danach einfach komplett wegfällt. Das muss dringend reformiert werden (aber gut, der Schulstoff müsste ohnehin allgemein reformiert werden).

"Dit is einfach kleinlich, weeste? Kleinjeld macht kleinlich, Alter. Dieset Rechnen und Feilschen und Anjebote lesen, Flaschenpfand, weeste? Dit schlägt dir einfach auf de Seele."

Neues Thema
AnzeigeY