Hamnet Kritik

Bewertung: 4 / 5

Hamnet ist ein leises, aber zutiefst berührendes Drama, das die Grenzen zwischen historischer Faktentreue und dichterischer Freiheit mit großer Sensibilität verwischt. Der Film versteht sich ausdrücklich nicht als biografisches Werk über William Shakespeare, sondern als poetische Annäherung an das, was hinter der Entstehung seines berühmtesten Stücks "Hamlet" hätte stehen können: der Verlust seines Sohnes. Gerade in dieser Freiheit liegt die Stärke des Films - er erzählt nicht, was geschehen ist, sondern was hätte gefühlt werden können.

Im Mittelpunkt steht Agnes (Anne) Hathaway, Shakespeares Frau, die in Hamnet als eigenständige, spirituell und emotional außergewöhnlich feinfühlige Frau gezeichnet wird. Sie lebt mit ihren Kindern in Stratford-upon-Avon, während ihr Mann häufig in London am Theater arbeitet. Als ihr Sohn Hamnet erkrankt, ist Shakespeare abwesend - eine Distanz, die nach dessen Tod zu einer tiefen inneren Zerrissenheit führt, auch zwischen den Eheleuten. Der Film entfaltet daraus ein eindrucksvolles Porträt von Trauer, Liebe und der Suche nach Sinn in einer Zeit, in der Worte noch keine Erlösung versprachen.

Jessie Buckley spielt Agnes mit einer beeindruckenden Mischung aus Erdverbundenheit, Verletzlichkeit und stiller Kraft. Ihre Darstellung ist der emotionale Kern des Films und trägt die gesamte Geschichte. Sie war zuvor u. a. in Frau im Dunkeln und Die Aussprache zu sehen und beweist hier erneut ihre außergewöhnliche Fähigkeit, innere Konflikte wortlos spürbar zu machen. Neben ihr überzeugt Paul Mescal (Gladiator 2, Aftersun) als Shakespeare mit einer stillen Intensität, die weniger auf Gesten als auf feine Nuancen in Blick und Stimme setzt.

Hamnet gewinnt an Tiefe durch die behutsame Verbindung zu "Hamlet", dem wohl bekanntesten Werk Shakespeares. In Hamlet ringt der dänische Prinz mit dem Tod seines Vaters, mit Schuld, Vergänglichkeit und der Frage, was Wahrheit ist - Themen, die im Film gespiegelt werden, nur in umgekehrter Richtung: Hier ist es der Vater, der den Sohn verliert und sich durch Kunst dem Unbegreiflichen nähert. Diese Parallele, die der Film nie direkt ausspricht, sondern in Andeutungen entfaltet, macht ihn so besonders intensiv.

Visuell überzeugt Hamnet durch eine erdige, fast haptische Ästhetik, die das elisabethanische England mit authentischer Schwere einfängt. Die Kamera verweilt lange auf Gesichtern, Händen, Atemzügen, alles wirkt nah, sinnlich und zugleich universell. Der Film will spüren lassen.

Zwei Stunden, die uns entführen. Hamnet ist kein klassischer Historienfilm (trug Shakespeare einen Ohrring?), sondern ein emotionales Gedicht über Verlust, Liebe und schöpferische Wandlung auf Langstrecke. Die Mischung aus künstlerischer Freiheit, herausragendem Schauspiel und poetischer Bildsprache macht ihn zu einem der eindringlichsten Literaturfilme der letzten Jahre - ein Werk, das wegen seiner Schwere lange nachhallt.

Hamnet Bewertung