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Evolution des Storytellings

Geschichtenerzählen: Von der Höhle bis Hollywood

Geschichtenerzählen: Von der Höhle bis Hollywood
6 Kommentare - Fr, 11.04.2025 von MJ-Caminito
Geschichten - seit jeher ein zentraler Bestandteil unserer Kultur. Vom ersten Wort am Lagerfeuer bis hin zu den virtuellen Welten von heute haben sie unsere Sicht auf die Welt geformt. Und sie werden uns auch in Zukunft begleiten.
Geschichtenerzählen: Von der Höhle bis Hollywood

Stell dir vor: Du sitzt an einem prasselnden Lagerfeuer, irgendwo in der endlosen Weite der Urzeit. Die Dunkelheit hat sich wie ein schwerer Vorhang über die Welt gelegt, der schwarze Himmel spannt sich über dir - geheimnisvoll und durchzogen von funkelnden Sternen, die wie stumme Zeugen auf die Erde hinabsehen. Das Feuer knistert leise, wirft zuckende Lichtreflexe in die Nacht und seine Wärme hüllt dich ein wie eine schützende Decke. Um dich herum sitzen Menschen, dicht aneinandergeschmiegt gegen die Kälte, ihre Gesichter vom Feuerschein erleuchtet, ihre Blicke schweifen zum Erzähler, dessen Worte die Dunkelheit durchdringen.

Ein tiefer Atemzug, ein erster Satz und plötzlich öffnet sich eine neue Welt. Es geht nicht mehr nur um das Hier und Jetzt. Mit jeder Silbe, jedem Wort, formt sich ein Bild vor deinem inneren Auge. Fremde Länder, gewaltige Kreaturen, große Helden und tragische Liebende treten aus dem Nichts hervor und nehmen Platz in deiner Vorstellung. Das Lagerfeuer ist nun das Tor zu deinem Reich der Fantasie.

Die Wurzeln des Geschichtenerzählens

Dieser uralte Akt des Erzählens ist tief in uns verwurzelt, ein archaisches Ritual, das seit Jahrtausenden unsere Identität formt. Schon lange bevor wir schreiben konnten, gaben wir Erfahrungen, Wissen und Träume in Form von Geschichten weiter. Sie lehrten uns, warnten uns, stärkten unser Gemeinschaftsgefühl und halfen uns, in einer oft unverständlichen Welt einen Sinn zu erkennen.

Von den ersten Höhlenmalereien, die Jagdszenen und Mythen in Stein brannten, bis hin zu den bildgewaltigen Epen, die heute auf IMAX-Leinwänden Millionen begeistern - das Bedürfnis, Geschichten zu erleben, ist ein universales, zeitloses menschliches Verlangen. Es ist mehr als nur ein kulturelles Phänomen, es ist eine tief verwurzelte Sehnsucht. Die Sehnsucht, zu verstehen. Zu fühlen. Zu verbinden. Und vielleicht - für einen kurzen Moment - selbst Teil einer größeren Geschichte zu sein.

Im Gegensatz zu heute waren die ersten Geschichten, die unsere Vorfahren erzählten, mehr als bloße Ablenkung vom Alltag - sie waren überlebenswichtig. In einer Welt voller Gefahren, in der das falsche Geräusch in der Nacht oder der falsche Tritt im Unterholz den Tod bedeuten konnte, waren Worte wie ein unsichtbares Schutzschild. Die Erzählung wurde zur Waffe, zur Warnung, zum Wegweiser. Wer wusste, wo das Raubtier lauerte, welche Pflanzen giftig waren oder wie man einem heranstürmenden Mammut entkam, musste erzählen.

So wurde der Jäger, der am Feuer von seinem Kampf mit dem Bären berichtete, nicht nur zum Helden, sondern auch zum Lehrmeister. Seine Geschichte war eine Lektion. Vielleicht rettete sie das Leben der Zuhörer, vielleicht prägte sie die Entscheidungen der nächsten Jagdgruppe. Wer gut zuhören konnte, lernte zu überleben. Und wer eine gute Geschichte erzählen konnte, wurde zu mehr als einem bloßen Stammesmitglied, er wurde zu einem Anführer.

Denn das Erzählen war Macht. Es bedeutete Einfluss. Es formte Weltbilder und prägte den Zusammenhalt einer Gemeinschaft. Geschichten schufen Identität, vermittelten Werte und ließen aus Einzelschicksalen kollektive Erinnerung entstehen. In ihnen lebten Mut, Trauer, Hoffnung und Triumph weiter, auch noch lange nachdem der eigentliche Moment vergangen war.

Schon damals zeichnete sich ab, was bis heute gilt: Gute Geschichten sind nicht nur Informationen, sie sind Transformation. Sie verändern, formen, berühren und geben uns das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein.

Eine fließender Prozess

Es war ein langer Weg von den kalten Höhlenwänden der Steinzeit bis zu den leuchtenden Kinoleinwänden unserer Gegenwart. Wie ein fließender, organischer Prozess. Was einst am Lagerfeuer in flüsternden Stimmen weitergegeben wurde, verwandelte sich mit der Zeit in gesprochene Legenden, dann in niedergeschriebene Mythen und schließlich in Bilder, die sich bewegten und sprachen. Die uralten Fragen, die schon unsere Vorfahren bewegten - Wer bin ich? Wohin führt mein Weg? Was ist gut, was ist böse? - hallen auch heute noch durch unsere Kinosäle und Streamingdienste.

Ein Gerüst, das diese ewigen Fragen aufgreift, ist die sogenannte „Heldenreise“, die der US-amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell in seinem Werk Der Heros in tausend Gestalten entschlüsselte. Dieses archetypische Erzählmuster zieht sich wie ein roter Faden durch Geschichten der gesamten Menschheitsgeschichte: Von Gilgamesch über Odysseus bis hin zu Luke Skywalker.

Die Heldenreise beginnt stets mit einem Ruf, einer Einladung zum Abenteuer, einem Bruch mit dem Gewohnten. Der Held zögert, sträubt sich, doch schließlich tritt er hinaus in das Unbekannte. Dort begegnet er Mentoren, stellt sich Prüfungen, durchschreitet finstere Täler, erlebt den tiefsten Sturz und kämpft sich wieder empor - gestählt, gereift, verwandelt. Am Ende kehrt er zurück in die alte Welt, bringt Wissen, Erlösung oder Veränderung mit sich.

Man findet dieses Muster in zahllosen Klassikern wieder: In Star Wars folgt Luke Skywalker der klassischen Struktur fast wie auf Schienen. Auch Neo in Matrix, Frodo in Der Herr der Ringe oder Vaiana in Vaiana beschreiten diesen Weg. Und obwohl sich die Settings, Figuren und Konflikte unterscheiden, bleibt das emotionale Rückgrat identisch, weil es tief in unserem kollektiven Bewusstsein verankert ist. Weil wir als Zuschauer diese Reise nicht nur sehen, sondern spüren. Denn jeder von uns ist - bewusst oder unbewusst - selbst ein Held oder eine Heldin auf einer ganz eigenen Reise.

Zeitlose Geschichten

Doch warum ist es so, dass manche Geschichten die Zeit überdauern, während andere längst im Nebel des Vergessens verschwunden sind? Warum sprechen uns bestimmte Erzählungen über Jahrhunderte hinweg an, ganz gleich, in welchem Zeitalter wir leben oder welcher Kultur wir entstammen?

Ein Paradebeispiel dafür ist Shakespeares Romeo und Julia - eine Tragödie, die seit über 400 Jahren immer wieder auf Bühnen, Leinwänden und in Klassenzimmern neu zum Leben erwacht. Und das nicht, weil sie alt ist, sondern weil sie ewig jung bleibt.

Denn Romeo und Julia erzählt nicht einfach eine Liebesgeschichte. Sie erzählt von JENER Liebe, die keine Bedingungen kennt, keine Rücksicht auf Herkunft, Konvention oder Vernunft nimmt. Es ist die Geschichte zweier Seelen, die sich in einer feindlichen Welt finden und dabei mit voller Wucht gegen die Mauern der Gesellschaft prallen.

Die Themen, die Shakespeare dabei behandelt, sind universell und zeitlos: Die verzehrende Kraft der Leidenschaft, die lähmende Macht von Hass und Tradition, das tragische Schicksal. Fast jeder kennt das Gefühl, gegen äußere Erwartungen kämpfen zu müssen oder hat sich schonmal danach gesehnt, aus einem starren System auszubrechen.

Hinzu kommt Shakespeares meisterhafte Sprache, die in ihrer poetischen Kraft bis heute fasziniert - und Figuren, die lebendig sind wie wir selbst. Romeo und Julia sind keine bloßen Rollen, sie sind Archetypen: Die jugendliche Rebellion gegen eine kalte Welt, die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft, die Tragik eines viel zu frühen Endes.

Und genau deshalb bleibt ihre Geschichte unvergessen. Weil sie uns berührt, erschüttert und aufwühlt. Und weil sie zeigt, dass das Menschliche in uns mit all seiner Liebe, seinem Schmerz und seiner Sehnsucht, keine Verfallszeit kennt.

Komm mit auf die nächste Seite und lass dich weiter hineinziehen in die faszinierende Reise des Erzählens. Dorthin, wo Wirklichkeit und Fantasie verschwimmen.

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6 Kommentare
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Caminito : : Moviejones-Fan
14.04.2025 20:30 Uhr | Editiert am 14.04.2025 - 20:31 Uhr
0
Dabei seit: 25.02.25 | Posts: 25 | Reviews: 0 | Hüte: 3

@MrBond: Gerade dieser Gedanke, dass Effekte nur Mittel zum Zweck sein sollten, hat mich auch oft beschäftigt. Wenn sie dem Storytelling dienen, können sie echte Gänsehautmomente erzeugen, man denke nur an den ersten T-Rex in Jurassic Park! Aber sobald sie zur „Hauptattraktion“ werden, gerät das Gleichgewicht ins Wanken.

Ich finde es auch bezeichnend, wenn man beim Schauen den Eindruck hat: „Hier wurde der Effekt zuerst entworfen und dann krampfhaft eine Szene drum herum gebaut.“ Da fehlt dann oft das emotionale Fundament. Ein bisschen wie ein Feuerwerk ohne Anlass, schön anzusehen, aber ohne Tiefe.

Das ist wirklich eine Gratwanderung, wie du sagst und leider scheinen viele Produktionen heutzutage eher auf dem „Pfad des Staunens“ zu wandeln als auf dem des Erzählens.

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MrBond : : Imperialer Agent
14.04.2025 09:45 Uhr
0
Dabei seit: 03.12.14 | Posts: 3.749 | Reviews: 24 | Hüte: 597

@Caminito

"Und ja, heute sind visuelle Effekte oft so selbstverständlich geworden, dass sie ihre Magie manchmal verlieren. Es sei denn, sie werden klug und emotional eingesetzt. Das ist dann auch wieder Storytelling auf höchstem Niveau."

Da Light & Magic momentan noch sehr präsent in meiner Erinnerung ist, hier noch eine kleine Ergänzung dazu. Ein Mitarbeiter von ILM betonte, dass Visuelle Effekte lediglich unterstützend für das Storytelling gemacht würden. Dass das eine Gratwanderung ist, ist mir in den letzten Jahren diverse Male aufgefallen. War es doch jener "Pfad der Tugend", der meiner Meinung nach, des öfteren verlassen wurde und ich den Eindruck gewann, dass man so manches Mal die Story um die Effekte herum baute. Man überlegte sich quasi einen tollen Spezialeffekt und dachte erst im zweiten Schritt darüber nach, was für eine Geschichte drum herum erzählt werden könnte... oder es wurden Effekte nicht des erzählerischen Mehrwerts wegen eingebaut, sondern einfach nur, weil es möglich war.

Sehe ich so aus als ob mich das interessiert?!"

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Caminito : : Moviejones-Fan
12.04.2025 20:50 Uhr | Editiert am 12.04.2025 - 20:51 Uhr
1
Dabei seit: 25.02.25 | Posts: 25 | Reviews: 0 | Hüte: 3

@Pixeler: Vielen Dank für dein tolles Feedback! Es freut mich sehr, dass du den Artikel schätzt und meine Bemühungen, respektvoll zu bleiben, würdigst! Du hast absolut recht, provokative Worte können oft mehr Aufmerksamkeit erzeugen, aber ich versuche immer, die Balance zu finden.

Was du zu den heutigen Geschichten sagst, stimmt auch. In der Masse geht einiges verloren und gerade die schnelle Verfügbarkeit von Content lässt es oft an Tiefe und Magie fehlen. Weniger wäre manchmal wirklich mehr. Nostalgie hat ihren ganz eigenen Wert, sie erinnert uns an die besonderen Momente, die unsere Zeit geprägt haben. Die Herausforderung liegt dann darin, neue Geschichten zu erzählen, die diese Essenz einfangen und gleichzeitig den Blick auf die Zukunft nicht verlieren.

Es ist spannend, wie du die Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft siehst. Unsere eigene Geschichte wird weitergeschrieben, aber es ist gut, ab und zu innezuhalten und zu reflektieren.

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Pixeler : : Moviejones-Fan
12.04.2025 18:58 Uhr | Editiert am 12.04.2025 - 18:59 Uhr
0
Dabei seit: 11.07.23 | Posts: 21 | Reviews: 0 | Hüte: 1

Da hast du dir richtig Mühe gegeben, ein wirklich gut geschriebener Artikel.
Du gibst dir auch stets Mühe keinem auf die Füsse zu treten mit deinen Worten.
Wobei provokative Worte oftmals mehr Resonanz erzeugen.

Was kann man deinen Worten noch hinzufügen? Das ist alles sehr stimmig.

Die heutigen Geschichten verlieren alleine schon durch die Masse an Content an Magie.
Ich denke nicht, dass es weniger gute Geschichten gibt, aber es ist vieles sehr kurzlebig geworden. Weniger war mehr, die Nostalgie bleibt, die Menschheit sieht nach vorne in eine ungewisse Zukunft und unsere eigene Geschichte geht ihren Lauf.

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Caminito : : Moviejones-Fan
12.04.2025 14:21 Uhr
2
Dabei seit: 25.02.25 | Posts: 25 | Reviews: 0 | Hüte: 3

@MrBond: Vielen lieben Dank für dein schönes Feedback, das freut mich riesig!
Du hast es toll auf den Punkt gebracht: Es sind diese frühen, oft unfreiwillig bahnbrechenden Momente, die sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben. Die "Frogs" aus Raumpatrouille Orion als kleiner Schockmoment der 60er sind da ein fantastisches Beispiel - heute fast schon nostalgischer Kult, damals aber ein echter Mindblow. Genau wie der heranrasende Zug in den Anfängen des Kinos oder die ersten Spezialeffekte, die ganze Generationen zum Staunen gebracht haben.

Und ja, heute sind visuelle Effekte oft so selbstverständlich geworden, dass sie ihre Magie manchmal verlieren. Es sei denn, sie werden klug und emotional eingesetzt. Das ist dann auch wieder Storytelling auf höchstem Niveau.

P.S.: Erwischt! Ich hab da aus Versehen "Moana" und "Vaiana" vermischt - die eine Gehirnhälfte war wohl in den USA, die andere in der deutschen Synchro. Wird korrigiert!

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MrBond : : Imperialer Agent
12.04.2025 12:17 Uhr
0
Dabei seit: 03.12.14 | Posts: 3.749 | Reviews: 24 | Hüte: 597

Schön geschrieben - mit Herz und Seele. Auch spannend, die Pionier-Stationen, die das Geschichtenerzählen durchlaufen hat. Schönes Beispiel, der herannahende Zug in bewegtem Bild. Etwas, was das menschliche Auge bis dato nicht zu sehen bekam. Ähnlich auch solche Momente, als Spezialeffekte immer häufiger Bestandteil des Storytellings würden. Man begann Dinge zu zeigen, die im realen Leben undenkbar wären. Unvergessen z.b., als zum ersten Mal "Raumpatrouille Orion" ausgestrahlt wurde und Fernsehzuschauer panisch zum Telefonhörer griffen und die Polizei alarmierten, als sie die gruseligen außerirdischen "Frogs" umher huschen sahen. Heute können wir nur noch darüber lächeln. Ist der visuelle Effekt doch zur Normalität geworden, die zwar manchmal noch ein "Wow" provoziert, als eigentlich nichts mehr besonderes ist. Es sind eben die Pionier-Episoden, die in Erinnerung bleiben. Der interaktive Film ist, seit es fotorealistische Videospiele gibt, die den Spieler als Protagonist in fremde Welten eintauchen lässt, auch keine Überraschung mehr. Bleibt abzuwarten, was uns die Zukunft als nächstes bringt. Ein "Holodeck", wie in Star Trek? Die Oasis, wie in Ready Player One? Was wird KI für eine Rolle spielen?

P.S.: "Moana in Vaiana" widerspricht sich ein bisschen. Deutsch oder Amerikanisch?

Sehe ich so aus als ob mich das interessiert?!"

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