Bewertung: 3.5 / 5
Nathalie ist Ende 50, Philosophielehrerin und Autorin philosophischer Lehrbücher. Sie lebt mit ihrem Ehemann, einem Philosophiedozenten, und ihren beiden erwachsenen Kindern in einem etablierten, intellektuell geprägten Haushalt in Paris. Nathalie kümmert sich um ihre labile, besitzergreifende Mutter, fördert einen talentierten, ehemaligen Schüler, sie führt den Haushalt und scheint mit ihrem Leben in Einklang. Doch dann beginnen unerwartete Ereignisse sämtliche Bereiche ihres Alltags umzuwälzen: ihr Verlag stuft Nathalies Lehrbücher als unzeitgemäß und nicht weiter tragbar ein, ihr Lieblingsschüler schlägt einen anderen geistigen Weg ein. Dann verstirbt Nathalies Mutter und ihr Mann verlässt sie für eine jüngere Frau. Nun steht Nathalie vor der Aufgabe, ihr Leben neu ordnen zu müssen.
In ihrer fünften Regiearbeit zeichnet die Filmemacherin Mia Hansen-Løve das Porträt ihrer Protagonistin und demonstriert dabei ein außerordentlich feines Gespür für leise Töne und prononcierte Nuancen. Hansen-Løve erzählt die einschneidende Phase aus dem Leben einer Frau jenseits der 50 äußerst präzise und ohne jegliche Dramatisierung mit pointierten Dialogen.
Trailer zu Alles was kommt
Im ruhigen, unaufgeregten Erzählfluss von Alles was kommt spiegeln sich der unaufhörliche Fluss der Zeit und die damit verbundene Unaufhaltsamkeit von Veränderungen wider. Diese Veränderungen führen für Nathalie zu Verlust, zum Alleinsein, aber auch zu einer neu erlangten Freiheit wider Willen, mit der sie sich erst arrangieren muss. Mit ihrer unwiderstehlichen Art verleiht Isabelle Huppert der Hauptfigur facettenreiche Konturen und lässt sie zwischen Selbstsicherheit und Unsicherheit, zwischen Stärke und Fragilität, zwischen Entschluss und Zweifel pendeln.
Die Kamera fängt das auf. Stand Natalie lange im Zentrum des Bildes, rückt sie unmerklich in die Peripherie. Räume öffnen sich, auch landschaftlich. Entfremdung und Fremdbestimmung sind beendet. Natalie könnte sich jetzt frei fühlen, doch mit der unverhofften Freiheit will und kann sie wenig anfangen. Leere breitet sich in ihrem Innern aus, über die auch die Treffen mit ihrem Muster-Schüler nicht hinwegtrösten kann. Der hat sich mit seiner Freundin und einer Diskussionsgruppe aus Deutschland auf einem alternativen Bauernhof in der Provence zurückgezogen. Hier erlaubt sich der Film einen schonungslosen, beinahe gehässigen Blick auf eine Generation, die sich von der Gesellschaft entfernt, die sie vorgibt, verändern zu wollen.
Die unaufdringliche Dramaturgie des Films hebt sich positiv von gängigen Modellen ab und mündet in ein Ende, das auch den Zuschauer selbst zu Reflexionen über das (eigene) Leben einlädt. Mit seinem großen erzählerischen und filmischen Gespür für das, was das Leben mit sich bringt, ist Alles was kommt eine klug inszenierte, gut beobachtete Charakterstudie, die den Zuschauer mit auf seine berührende Reise nimmt.
Prädikat: wertvoll
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung