Bewertung: 4 / 5
Im Jahr 1974 wanderte der deutsche Filmemacher Werner Herzog von München nach Paris, um so die todkranke von ihm verehrte Filmhistorikerin Lotte Eisner zu retten. In ihrem Bestseller "Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry" erzählt die Autorin Rachel Joyce eine ganz ähnliche Geschichte und schickt einen unscheinbaren, über 60-jährigen Antihelden auf den Weg von seinem Heimatort zu dem über 600 Meilen entfernten Hospiz, wo eine alte Freundin von ihm im Sterben liegt.
Hettie MacDonald hat in Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry ein Roadmovie im Wanderschritt angelegt, bei dem der Titelheld eine Reihe von interessanten Menschen trifft, die ihm helfen und ihn inspirieren. Es gelingt ihr, deutlich zu machen, dass Harold Fry vor allem eine innere Reise unternimmt, durch die er sein eigenes Leben, sein Verhältnis zu seiner Frau und seine Schuldgefühle wegen des Schicksals seines drogensüchtigen Sohnes mit einem reiferen und tieferen Verständnis verarbeiten kann.
Mit Jim Broadbent hat Macdonald einen Hauptdarsteller gefunden, der diese Verwandlung mit sehr subtilen schauspielerischen Mitteln ausdrückt. Mit einer ähnlichen Tiefe und Verletzlichkeit spielt auch Penelope Wilton seine Ehefrau, die durch Frys Pilgerreise in eine Krise gestürzt wird und dabei, obwohl sie zu Hause bleibt, eine ähnlich existentielle Veränderung durchmacht wie ihr Ehemann.
Macdonald gelingt es, die Natur und die britischen Landschaften so in Szene zu setzten, dass sie stimmig den Gemütszustand des Protagonisten widerspiegeln. Dabei übertreibt sie es vielleicht ein wenig mit der religiösen Symbolik und auch die durchbrechenden Sonnenstrahlen bei Frys Erleuchtungsmomenten erhellen ein wenig zu oft die Leinwand. Doch von diesen kleinen kritischen Einwürfen abgesehen ist es Macdonald gelungen, mit Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry eine zutiefst menschliche Erweckungsgeschichte auf die Leinwand zu bringen.
Prädikat: besonders wertvoll
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung