Bewertung: 4 / 5
Sie sitzt jeden Tag da und wartet, dass er erwacht. Seit Wochen schon liegt ihr Mann im Koma. Sie pflegt ihn zuhause, ärztliche Versorgung kann sie sich nicht leisten. Es ist Krieg in Afghanistan und der Mann war Soldat. Nun muss sie sehen, wie sie und die Kinder überleben. Und eines Tages beginnt sie zu sprechen. Sie erzählt ihm alles. Alle Geheimnisse, alle Sorgen und Nöte. Denn zum ersten Mal kann sie frei reden.
Der Stein der Geduld ist ein der persischen Mythologie entliehenes Bild. Die Sage erzählt von einem Stein, der sich alle Sorgen eines Menschen anhört, bis er aufgrund der Last am Jüngsten Tag in tausend Stücke zerbricht. Regisseur und Autor Atiq Rahimi nutzte die Metapher bereits in seiner gefeierten Buchvorlage, um einer unterdrückten Frau, die für viele Frauen in diesem Kulturraum steht, eine Stimme zu geben. Wie in einem Kammerspiel fängt die Kamera auch hier die wenigen Figuren in engstem Raum miteinander ein und leitet den Zuschauer durch die Stimme und die visualisierten Erinnerungen der Hauptdarstellerin Golshifteh Farahani, die durch ihr faszinierendes und intensives Spiel ein Schicksal schmerzhaft erlebbar macht. Wie in einem Sog folgt man der Figur und realisiert nach und nach das ganze Ausmaß der Unterdrückung, Fremdbestimmung und Unfreiheit, die Frauen in Afghanistan erleiden müssen. Präzise beobachtet und sorgfältig arrangiert hat in diesem spärlichen Setting alles seine ganz genaue Bedeutung, sodass kein Bild zuviel erscheint. Ein wichtiges filmisches Plädoyer für die Emanzipation.
Trailer zu Stein der Geduld
Starke Bilder, eine eindrucksvolle Hauptdarstellerin, die sich alles Leid von der Seele redet und damit zu sich und zu ihren bisher stets unterdrücken Träumen und Sehnsüchten findet, ersetzen konkrete Szenen von Krieg und Tod. Das allgegenwärtige Grauen wird durch die Worte beschworen. Da genügen die wenigen Szenen, in denen dann doch Tote, im Hof aufgehängt wie Schlachtvieh, zu sehen sind oder Männer mit Gewehren in die zerstörte Wohnung der jungen Frau drängen. Über weite Strecken folgt diese Verfilmung des Romans von Atiq Rahimi, der in Frankreich und Deutschland sehr erfolgreich war, den Traditionen der oralen Erzählkunst, die in "1001 Nacht", dem aus dieser Gegend der Welt stammenden Märchenzyklus, ihr großes Vorbild hat.
Der Film entwickelt einen unheimlichen Sog, der bis zum überraschenden Ende anhält und wenig Raum lässt für Hoffnung auf ein Hollywood Happy End. Ein kleiner Wermutstropfen allerdings, der das Urteil des Ausschusses jedoch nicht grundsätzlich beeinflussen konnte, ist eine nicht an allen Stellen gelungene Synchronisation. Dennoch ist diese gelungene Literaturverfilmung insgesamt so schlüssig und überzeugend, dass sie hochverdient das höchste Prädikat zugesprochen bekommen hat.
Prädikat: besonders wertvoll
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung