Bewertung: 4 / 5
Gesellschaftskritische Themen sind festivaltauglich und so lief Okja dieses Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes. Die Eigenproduktion von Netflix ist inzwischen auf dem Streamingportal zu sehen und berührt ein Thema, das uns alle betrifft. In knapp zwei Stunden erlebt der Zuschauer ein Wechselbad der Gefühle, ausgelöst durch das kleine Mädchen Mija (Seo-Hyun Ahn) und ihr Riesenschwein Okja. Eine innige Freundschaft, die einer großen Gefahr ausgesetzt ist, deren Urheber der Großteil der Menschen ist. Mit Herz, Witz und viel Dramatik gezeichnet, gelingt Regisseur Bong Joon-ho eine wundervoll-anrührige Geschichte, die zum Nachdenken anregt und nichts beschönigt.
Okja Kritik
Die kleine Mija (Seo-Hyun Ahn) lebt mit ihrem Großvater in den waldigen Bergregionen Südkoreas und hat eine beste, große Freundin: Das Riesenschwein Okja, das dem Großvater, einem Bauern, einst zur Aufzucht überantwortet wurde. Hinter dem Geschäft steht ein internationaler Großkonzern namens Mirando Corporation und dessen Chefin Lucy (Tilda Swinton), der über diese genmanipulierten Superschweine den Fleischmarkt revolutionieren will. Okja ist gegenüber anderen Schweinen wahrhaftig beeindruckend und soll auf der Parade der Superschweine in New York ausgezeichnet werden - doch dagegen hat nicht nur Mija etwas, auch eine militante Tierrechtsorganisation um ihren Anführer Jay (Paul Dano) will den Moment nutzen, um die Menschen aufzuklären...
Trailer zu Okja
Okja beginnt friedlich. Die Macher gönnen sich viel Zeit, den Zuschauer in die Welt von Mija und Okja zu entführen und diese Herangehensweise ist das Fundament, aus dem alle später folgenden Szenen ihre Intensität ziehen. Wir haben es mit einer besonderen Beziehung von einem Mädchen zu einem Nutztier zu tun, für das es sogar um die Welt reist, um es zu beschützen. Und da gibt es einiges an Bedrohung, nicht zuletzt die nach außen hin wohlwollende, aber dennoch auf Profit und Maximum orientierte Mirando Corporation.
Ein schlauer Kniff war es, eben keine normalen Schweine, die geläufig und für ihre Gerüche berüchtigt - aber entgegen der landläufigen Meinung äußerst reinliche Tiere - sind, sondern eine genmanipulierte Kreatur in den Mittelpunkt zu stellen. Zwar ist Okja mit ihren Maßen weit davon entfernt, auf der Skala der beliebtesten Haustiere zu rangieren, dennoch ist der Mix aus Schwein, Flusspferd und der fetten kleinen Ratte, die sich in Chihiros Reise ins Zauberland immer umherfliegen lässt, überaus liebenswert gelungen. Die Tapsigkeit kleiner Elefanten, das Ruhebedürfnis von Katzen und wachsame Augen, die viel mehr Intelligenz vermuten lassen als wir es Tieren üblicherweise zutrauen - kein Wunder, dass die kleine Mija glücklich ist, eine solche Freundin zu haben.
Neben der CGI-Züchtung sind es vor allem die Darsteller, die die Geschichte hinter Okja zum Leben erwecken. Ob Tilda Swinton in einer Doppelrolle, Jake Gyllenhaal als korrumpierter Zoologe oder Paul Dano als idealistischer Tierrechtler, sie alle zeigen unterschiedliche Facetten und machen das Thema damit wirklichkeitsnah, weil vielschichtig. Gerade Gyllenhaals Rolle verdeutlicht wunderbar die Zwickmühle, die als Speziesismus umschrieben wird: Katzen streicheln, aber Kälber essen. Darf man sich dann noch Tierfreund nennen? Überhaupt werden in knapp zwei Stunden Laufzeit so einige Inhalte thematisiert, ob Gentechnik, Radikalismus, Globalisierung, Überbevölkerung und schlussendlich Massentierhaltung. Die teils überzeichneten Charaktere und die zugrundeliegende Story wollen darauf mitnichten Antworten geben: Okja bietet vor allem eine interessante Diskussionsgrundlage und überlässt es dem Zuschauer, die durchaus hohe Komplexität und sein Zutun in dem Konstrukt zu reflektieren. Besonders gut gelungen ist dabei der Transport des Themas auf globale Ebene. Ob internationale Darsteller, die Erzählung der Geschichte sowohl in Südkorea als auch den USA und die regelrecht atypische Musikuntermalung, die an griechische bzw. französische Harmonien angelehnt ist, erinnert ausdrücklich daran, dass wir es mit globalen Zusammenhängen zu tun haben.
Ein großes Lob an Netflix, die dieses Thema, das eigentlich viele Menschen beschäftigt, aber viel zu stiefmütterlich behandelt wird, auf die Tagesordnung setzt. Okja erinnert uns daran, dass das Steak oder die Currywurst ein fühlendes Lebewesen war, die auf diesem Planeten in milliardenfacher Anzahl jedes Jahr verwertet werden, um auf unserem Teller zu landen. Und so wie Mija im Film auch keine Vegetarierin ist, nur weil Okja ihre beste Freundin ist, geht es vielleicht vor allem darum, die Haltung der Tiere und unseren unbändigen Hunger nach Fleisch zu überdenken. Vielleicht muss man kein "perfekter" Veganer sein und kann dennoch etwas gegen dieses unfassbare Leid tun, das in dreckigen, dunklen Ställen mit jedem Bissen in ein 1,50 €-Schnitzel unterstützt wird. Wo auch immer wir ansetzen, Okja ist ein wertvoller Beitrag zur Aufklärung.