Bewertung: 4.5 / 5
Berlin Alexanderplatz ist eine deutsch-niederländische Romanverfilmung des Regisseurs Burhan Qurbani aus dem Jahr 2020. Diese Kritik ist spoilerfrei.
Trailer zu Berlin Alexanderplatz
Alfred Döblin schrieb im Jahr 1929 den erfolgreichen Roman Berlin Alexanderplatz. Rainer Fassbinder setzte in den 1980er Jahren die Geschichte als mehrteilige Fernsehadaption um. Burhan Qurbani erzählte die bekannte Geschichte unter Einbezug aktueller politischer Themen neu und orientierte sicher daher nur lose am Original von Döblin.
Der afrikanische Flüchtling Francis verliert während der Flucht übers Mittelmeer seine Freundin Ida und kommt alleine in Europa an. In einem Flüchtlingslager in Berlin erledigt er einfache Arbeiten und hat enorm mit seinem Flüchtlingsstatus zu kämpfen. Eines Tages kommt ein gewisser Reinhold in das Lager und wirbt um Arbeitskräfte, den ein guter Mann braucht nicht nur ein Bett und Brot sondern er braucht auch eine Wohnung, ein Auto und natürlich eine Frau. Francis willigt ein und unterstützt fortan Reinhold bei seinen illegalen Geschäften.
Berlin Alexanderplatz ist keine leichte Kost, allein seine Laufzeit von 183 Minuten macht dies recht deutlich. Die Geschichte ist in fünf Teile aufgeteilt, welche aber keinen wesentlichen Einfluss auf die Erzählungen haben. Erzählt wird die Geschichte durch eine Figur, welche der der Zuschauer erst nach knapp der Hälfte des Films kennenlernt.
Um mit einem kritischen Punkt anzufangen: Der Film hat sich zu Recht als lose Neuerzählung der bekannten Geschichte betitelt. Denn mit Berlin und insbesondere mit dem Alexanderplatz hat der Streifen relativ wenig zu tun. Es könnte vermutlich auch jeder andere Ort in Deutschland gewesen sein, wobei sich Berlin als eine Art Brennpunkt möglicherweise anbietet. Vom Alex sieht man jedoch leider wirklich nur sehr wenig, dieser nimmt einzig eine symbolische Rolle ein.
Damit ist aber ehrlich gesagt das kritischste erzählt, denn der 39 jährige Burhan Qurbani hat nicht nur eine packende Geschichte geschrieben, sondern diese auch exzellent umgesetzt. Bei deutschen Produktionen gehen verständlicherweise bei vielen Kinogängern die Alarmglocken an, aber dieser Film ist frei von diversen Klischees welche deutsche Filme mit sich bringen, keine Dialoge wirken aufgesetzt, die Inszenierung ist richtig packend mit diversen Kniffen und lassen die gut drei Stunden nicht unnötig lang vorkommen. Stattdessen bekommt der Zuschauer eine offenbar authentische Einschätzung über die Reise des jungen Afrikaners. Während er anfangs beispielsweise nur Englisch kann wird sein Deutsch stetig besser sodass gegen Ende fast nur noch in deutscher Sprache geredet wird. Aber natürlich entwickelt sich der Protagonist nicht nur sprachlich weiter sondern er verändert sein komplettes Auftreten.
Wer jedoch ein Musterbeispiel für Integration erwartet, der wird enttäuscht. Dieser Film ist rau, dreckig, gewalttätig und teilweise sehr freizügig. Man bekommt hier sicher eine sehr extreme (und fiktive) Geschichte eines Flüchtlings erzählt, aber trotzdem wird beim Zuschauer das Nachdenken angeregt, was integrationsmäßig läuft und wie sich Neuankömmlinge hier in Deutschland fühlen könnten.
In der Besetzung finden sich unter anderem Welket Bungué, Jella Haase, Albrecht Schuch sowie Joachim Król. Insbesondere Schuch und Bungué spielen großartig, aber auch ihre Kollegen fügen sich wunderbar in das Gesamtbild ein. Die Filmmusik von Dascha Dauenhauer ist wie ein dicker Mantel welcher sich um das Werk legt und es vereint. Die Kamera von Yoshi Heimrath beinhaltet immer wieder längere Einstellungen, welche eine eindringlichere Wirkung mit sich bringen.
Möglicherweise hätte man das Ende, den Epilog erzählerisch noch anders gestalten können und es ist fraglich, ob sich der Ablauf in der Realität tatsächlich so zugetragen hätte. Andererseits hätte man sonst jedoch die Empfindungen mancher Zuschauer sicher überstrapaziert.
Alles in allem ist Berlin Alexanderplatz ein großartiger Film aus Deutschland geworden, welcher ohne Weltkriegs- bzw. Nachkriegsthemen auskommt, nervige Klischees komplett vermissen lässt und stattdessen eine knallharte, mitreißende und zugleich hollywoodfreie Geschichte aus einem aktuellen politischen Anlass erzählt.
Am 16. April 2020 startet der Film im regulären Kinoprogramm. Im Rahmen der Berlinale war er bereits Ende Februar und am 1. März zu sehen.