Bewertung: 3.5 / 5
Ein Hirsch-Hybrid-Kind als Hauptstar einer postapokalyptischen Comicadaption - das klingt erstmal nach Kinderserie. Doch das ist Sweet Tooth keineswegs, mit Robert Downey Jr. und seiner Frau als Produzenten lässt die neue Netflix-Serie doppelt aufhorchen. Kann der Mix aus Hanna-like Kids-Star, entsprechenden Verbündeten und Bösewichten, und doch auch etwas tiefer schürfenden Storylines für Erwachsene in einer an auch I Am Mother erinnernden Situation gelingen?
Sweet Tooth Review
Behütet und isoliert wird der Hirsch-Hybridjunge Gus (Christian Convery) von seinem Vater innerhalb eines eingezäunten Gebiets im ehemaligen Yellowstone Nationalpark aufgezogen, mit der wichtigsten Regel: Gehe niemals hinter den Zaun. Doch wie man sich denken kann, je älter der Junge wird, desto stärker wird die Neugier. Als dann noch ein einschneidendes Erlebnis hinzukommt, macht sich Gus auf, die postapokalyptische Welt hinter dem Zaun zu erkunden, mit vor allem einem Ziel: Seine Mutter und Hybriden wie ihn selbst zu finden...
Trailer zu Sweet Tooth
Der Einstieg in Sweet Tooth ist stark, auch wenn man sich moralisch fragen kann, ob totale Isolation die Lösung in einer Postapokalypse ist: die Frage der Balance zwischen Sicherheit und Freiheit ist eine hochaktuelle Frage und nicht der einzige Faktor, der an die Corona-Pandemie erinnert. Hier ist es eine persönliche Frage, ob man das als Verarbeitungsfaktor bezüglich Timing für diese Serie positiv oder unangenehm erinnernd negativ bewertet.
Anders als in anderen Filmen und Serien zum Thema Viren-Postapokalypse erscheint die Welt in Sweet Tooth durch das Natursetting wenig düster und richtet den Fokus mehr auf die Charaktere und ihre Entwicklungsstory als einen grundsätzlichen Survivalkampf in einer Welt, in der Batterien rar geworden sind und jede gefundene Konservenbüchse oder gar ein Schokoriegel ein Highlight darstellen. Postapokalyptisch kämpferisch geht es dennoch zu:
Denn wie man das aus vielen Filmen und Serien zum Thema Mutation, Superpower kennt, sind die Hybriden auch hier die Verfolgten, sie werden durch ihr zeitgleiches Erscheinen von Virus und Hybridbabys schnell als Sündenböcke deklariert. Wie finster es bei der Jagd auf die Hybriden und der Angst vor Ansteckung mit dem Virus zugehen kann, verlagert sich in großen Teilen zuerst in einen parallelen Handlungsstrang um den Arzt Dr. Singh (Adeel Akhtar) und seine erkrankte Frau sowie Therapeutin Aimee (Dania Ramirez), welche sich um eine Hybriden-Kindergruppe kümmert.
Auf diese Weise erlebt Gus vorerst eine eher Abenteuerreise mit zwar auch Verfolgergefahr, doch vor dieser wird er flott gerettet vom zweiten Hauptstar Big Man / Großer Mann, wie Gus seinen Retter und neuen Begleiter Tommy Jepperd (Nonso Anozie) fortan nennt. Dieser hat eine zwielichtige Vergangenheit zu bieten, dessen eigentliche Untiefe erst gegen Ende so richtig enthüllt wird, ähnliches gilt für manch anderen Charakter.
Wie man sich schon denken kann, finden die drei Storybögen um Gus / Big Man, Dr. Singh & seine Frau sowie Aimee & die Kids gegen Ende auch zusammen und haben dabei so manche Überraschung als Offenbarung im Gepäck. Dennoch lebt Sweet Tooth Staffel 1 vor allem von der Story um Gus, die wohl kinderfreundlicher rüberkommt als in den Comics - wir kennen die Vorlage nicht und können daher nicht vergleichen. Spürbar ist aber, dass die erwachsene Singh-Story die wirklich gruseligen Parts bietet. Der Part um Aimee wiederum wird erst in der 2. Hälfte der Staffel bedeutsamer ausgespielt.
Convery macht als Haupt-Kinderstar seine Sache prima und er und Anozie bieten das typisch schräge unterhaltsame Mann-Kind-Duo, jedoch merkt man Sweet Tooth auch schnell an, welche Figuren wohl größere Teile der Story tragen werden und welche eher schmückendes Beiwerk sind. Denn im Verlauf wird das Duo zum Trio, wobei die Gruppe um die dritte Figur darstellerisch eher naja ist und auch die nun Dritte im Bunde erst später im Verlauf mehr Gehalt bekommt.
Auch insgesamt ist viel erahnbar in Sweet Tooth und erscheint vertraut aus anderen Filmen und Serien mit einem ähnlichen Thema, und doch ist es ein frischer Mix dieser Topics, der mit acht Episoden eine interessante Basis für die offensichtlich anvisierte zweite Staffel bietet - ihr ahnt es, das Ende bietet so manchen Cliffhanger, der aufgelöst werden will!
Kurz, trotz manch bekannter Themen und für manche vielleicht etwas zu unangenehmer Erinnerung an die aktuelle Lage kommt in Sweet Tooth ein spannender Mix aus postapokalyptischer Sci-Fi-Fantasyserie mit emotionalem Kinderdrama, Abenteuer, Mystery und Action zusammen, der sogar so manch wirkliches Horrorelement enthält. Qualitativ ist nicht alles erste Sahne und manches bleibt auch im Verlauf noch recht oberflächlich, was immer mal wieder zu einem etwas unausgewogenen Gefühl führt, und doch hält das Hauptduo sowie die Frage, wie genau alles zusammenhängt, genug bei der Stange, um weiterzuschauen. Da ist noch Luft nach oben für Staffel 2, die hoffentlich dann auch kommt!