Bewertung: 4.5 / 5
Stalkerfilme gibt es viele, man denke nur an Eine verhängnisvolle Affäre oder auch Fatale Begierde. Da glaubt man kaum, dass es zum Thema noch etwas Überraschendes und Frisches geben könnte. Weit gefehlt! Was Joel Edgerton mit seinem Regiedebüt The Gift vor wie hinter der Kamera abliefert, beginnt wie ein scheinbar vorhersehbarer Stalker-Psychothriller, wandelt sich aber im Verlauf zu einem spannenden Psychodrama, das noch mehr fesselt als der noch recht typische wirkende Einstieg.
Das junge Ehepaar Simon (Jason Bateman) und Robyn (Rebecca Hall) will in einer kleinen Vorstadt von Los Angeles noch einmal neu anfangen, neben einem schönen neuen Haus steht auch die Familiengründung auf dem Plan. Überraschend läuft ihnen Simons alter High School-Kamerad Gordo (Joel Edgerton) über den Weg, und schon bald wird klar, dass die abgestellte Flasche Wein als Gastgeschenk vor der Tür nur der Anfang einer ziemlich anhänglichen bis furchterregenden Vergangenheit ist...
Trailer zu The Gift
The Gift Kritik
Tut euch selbst den Gefallen und lest möglichst keine sonstigen Inhaltsbeschreibungen und meidet Seiten, die gern mal zu viel spoilern! Je unbefangener man The Gift zu sehen bekommt, umso besser, entsprechend werden wir auch hier nichts spoilern, was euch wichtige Überraschungsmomente nehmen könnte. Denn so typisch der Film als Stalker-Psychothriller mit einem äußerst seltsam bis gruselig wirkenden Gordo (Edgerton) beginnt - der schon zu Schulzeiten von Simon "Weirdo" geschimpft wurde - so untypisch wendet sich irgendwann das Blatt.
Der Einstieg in The Gift lässt nichts an Thrillerelementen aus, was man aus anderen Stalkerfilmen nicht schon kennt, wartet aber auch im Kleinen mit reichlich überraschenden Wendungen auf. Die Spannung ergibt sich daher schon zu Beginn aus dem Spiel mit der Erwartungshaltung des Zuschauers. Manches wirkt vorhersehbar, manches tritt auch tatsächlich und dennoch schockierend ein, anderes wiederum nicht oder bekommt im Verlauf plötzlich eine neue Wendung. Doch all das kennt man schon, auch wenn es auch hier sehr gut umgesetzt wurde.
Zu etwas Besonderem wird The Gift erst so richtig ab der zweiten Hälfte des Films, die einem das Gefühl gibt, plötzlich einen ganz neuen Film zu sehen, der die Charaktere dramatisch tiefer auslotet und zeigt, wie eine gute Story in einem reich bespielten Genre tatsächlich noch aussehen kann. Und das ohne dabei abzusacken, die Thrillspannung bleibt auf hohem Niveau. Diese zieht sie sich vor allem aus der langsamen, authentisch wirkenden Entblätterung von Hintergründen und Charakteruntiefen mit ihren entsprechenden Konsequenzen - rasante Thrillmomente oder besonders kunstvolle düstere Artkino-Stimmung darf man hier also nicht erwarten.
Gesteigert wird das Ganze noch durch eine enorm hoch wirkende Authentizität der Charaktere und Entwicklungen, was sowohl der natürlich wirkenden Art der Inszenierung wie auch den hervorragenden Darstellern zu verdanken ist. Denn hier kommt es auf mimische Details, Nuancen, real wirkende Dramatik ohne überzogene Marotten an. So wirkt Joel Edgertons Gordo höchst seltsam durch irritierende Aktionen wie auch Nichtaktionen. Er bekommt keinen seltsamen Tick, schräge Klamotten oder ähnliches aufgedrückt, und das ist auch genau richtig so. Auch Jason Bateman (Kill the Boss) und Rebecca Hall (Prestige - Die Meister der Magie) wirken sehr natürlich und authentisch als Paar sowie in ihren Reaktionen auf die Geschehnisse, es tut dem Film gerade für seine Wirkung gut, keine Topstars mit allzu markanter Eigennote gewählt zu haben.
The Gift Fazit
Es geht in The Gift nicht um aufblitzende Schlitzermesser oder einen blutigen Showdown, sondern um ein Katz und Maus-Spiel, das nach Schein und Sein fragt. Und das auf höchst psychologischer, realistisch anmutender Ebene, auch wenn es durchaus mal brutal zugeht. Doch jegliche Gewalt hat hier einen sehr menschlich nachvollziehbaren Hintergrund, so perfide sie auch manchmal wirken mag. Wer den Film in seiner grundlegenden Aussage verstanden hat, wird auch mit seinem dazu psychologisch und dramatisch perfekt passenden Ende glücklich sein. Kaum zu glauben, aber Joel Edgertons The Gift fügt dem Thema Stalkerfilme tatsächlich noch etwas erfrischend Neues hinzu, hier steckt mehr drin als Trailer und Filmanfang vermuten lassen.