Bewertung: 4.5 / 5
Ein Makel lässt sich fast immer finden: Kennedys Affären, Luthers Antisemitismus, Einsteins indirekter Beitrag zum Bau der Atombombe. So bleibt vielleicht eine Handvoll historischer Persönlichkeiten, deren Heldenstatus im Allgemeinen nicht bestritten wird. Jeanne d'Arc etwa, oder Mahatma Gandhi. Oder aber Abraham Lincoln, der Sklavenbefreier, die Lichtgestalt der Amerikaner. Und als der amerikanische Patriot, als der er sich bezeichnet, wird Robert Redford natürlich den Teufel tun, die weiße Weste des großen Republikaners im Historiendrama Die Lincoln Verschwörung (2010) auch nur ansatzweise zu beschmutzen. Doch zumindest traut sich der 75-Jährige, in seiner achten Regiearbeit einen Prozess in Frage zu stellen, der eigentlich nicht in Frage gestellt werden dürfte.
Der Präsident ist tot. Erschossen wurde er, hinterrücks und aus nächster Nähe, von einem Schauspieler namens John Wilkes Booth (Toby Kebbell). Zeitungsberichte informieren über die Jagd nach dem Täter und seinen Helfern, die, wie zuvor ein Zusammenschnitt zeigte, auch dem Außenminister und dem Vizepräsidenten nach dem Leben trachteten.
Wahrscheinlich las auch der junge Anwalt Frederick Aiken (James McAvoy) in der Zeitung erstmals von Mary Surratt (Robin Wright): der Mutter eines noch flüchtigen Mitverschwörers, der Pensionsbesitzerin, die das Gros der Attentäter beherbergte. Der Frau, die er nun vor Gericht verteidigen soll.
Die Begeisterung des Bürgerkriegsveteranen hält sich naturgemäß in Grenzen. Nicht nur, weil sich deshalb, wie es sich eben für ein ordentliches Gerichtsdrama gehört, selbst Menschen aus seinem engsten Umfeld über kurz oder lang von ihm abwenden. Viel mehr scheint sich seine Mandantin trotz ihrer Unschuldsbeteuerung nicht verteidigen lassen zu wollen: Alles, was sie entlasten würde, ließe sich gegen ihren Sohn verwenden. Zudem weiß die Frau bereits vor Beginn des Schauprozesses, was ihrem Verteidiger erst nach und nach immer deutlicher bewusst wird: dass nicht die Frage nach Schuld oder Unschuld über das Schicksal von Mary Surratt entscheidet.
Die ansehnlichen Kostüme und die üppige Ausstattung sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Redford in seinem Drama Fragen diskutiert, die sich weder im Jahr 1865 noch in der Gegenwart einfach beantworten lassen: Wie weit darf die Staatsgewalt zum Wohle des Staates gehen? Was verdient im Ernstfall den Vorrang - der Einhalt der Verfassung, die sich eine Nation gab oder der Erhalt der Nation an sich? Redford sieht davon ab, dem Publikum seinen Meinung aufzudrängen, argumentiert aber geschickt genug, um seine Position deutlich zu machen.
Anhand des gut recherchierten Drehbuchs von James D. Solomon legt der Oscarpreisträger indirekt, aber eindringlich nahe, dass sich Geschichte wiederholt - und dass die Menschheit offenbar nicht im Stande ist, aus ihr zu lernen. Auf dieser zweiten Ebene bewegt sich das Drama so sicher wie das starke Ensemble in den detailgetreuen Kulissen. Dadurch läuft Redfords Gerichtsdrama zu keiner Zeit Gefahr, lediglich eine John-Grisham-Geschichte im historischen Gewand zu sein.
Die Lincoln Verschwörung bekommt 4,5 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Annekatrin Liebisch)