Bewertung: 4 / 5
Tár ist kein Film für jedermann und jederfrau, zu experimentell und schwermütig wirkt er in nicht nur manchen Momenten. Eine grandiose Cate Blanchett zeigt jedoch einmal mehr, welche gigantische Darstellerin in ihr lebt, bebt und brodelt, und zieht - als Tár - die Zuschauer in einen spannungsreichen Sog aus Bewunderung und Ehrfurcht.
Tár Kritik
Lydia Tár (Blanchett) gilt als eine der größten lebenden Dirigenten und steht als erste Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker, einem der Orchester, im Zentrum der Aufmerksamkeit. Als Künstlerin und ebenso renommierte Dozentin einem hohen psychologischen Druck ausgesetzt, spielt plötzlich auch ihr Privatleben eine Runde Mikado mit ihr, sodass ihr auf Perfektion und Effektivität durchorganisiertes Dasein einer schier unüberwindlichen Hürde entgegensteuert...
Trailer zu Tár
Tár, unter der Regie von Todd Field (Little Children), konnte bereits 2022 auf den ersten internationalen Festivals erlebt werden und sammelte mehrere Nominierungen sowie Preise ein. So gewann Blanchett u.a. die Coppa Volpi als beste Hauptdarstellerin beim Filmfestival in Venedig. Es ist nicht das erste Mal, dass die Ausnahmedarstellerin komplexe, schwierige Charaktere zum Leben erweckt, und einmal mehr seien ihr alle Preise gegönnt, die auf dieser Reise möglich sind.
Es ist nicht bloß das Schauspiel, das Auswendiglernen eines Textes, was diesen schwermütigen Film und die Darstellung dieser unnahbaren Person so faszinierend macht. Blanchett übersteigert diese Fähig- und Fertigkeiten mühelos, sie ist Lydia Tár. Der anspruchsvolle, mehrminütige Einstand nebst Filmcredits erfordert vom Zuschauer zwar ein Mindestmaß an Zuwendung und Interesse, andererseits wird man beschenkt mit einer Fülle an Wissen und Blanchetts faszinierender Präsenz - die im Laufe des Films auch körperlich auf hohem Niveau spielt und die Rolle zugleich greifbar als auch distanziert macht.
Tár ist dahingehend kein leichter Stoff, weil auch generös mit Fachbegriffen und Persönlichkeiten gearbeitet wird, die dem gemeinen Homo sapiens sapiens inskinorensis nicht bekannt sein dürften. Ein intelligenter Film, der die professionelle Komponente mit einem stolpernden Privatleben kombiniert, wobei Tár trotz aller Unzulänglichkeiten eine faszinierende Frau bleibt.
Das heranziehende Drama inkl. Cancellation Culture-Konflikt wird so beiläufig wie tonangebend im Film eingeflochten und Társ Rolle bietet Stoff für interessante Diskussionen. Ebenso ihr Verhalten und die Auswirkungen. Besonders hervorheben möchten wir auch die Kameraarbeit von Florian Hoffmeister sowie das Spiel mit dunklen, warmen Tönen, die Blanchetts kühle, klar akzentuierte Rolle trotz aller Widrigkeiten in ein warmes Setting einbetten und diesen "Übermenschen" bodenständig und zerbrechlich wirken lassen.
Mit Tár erleben wir eine beeindruckende schauspielerische Leistung, zu der sich auch die Nebenrollen wie Nina Hoss, Noémie Merlant und - in einer kleineren Rolle - Mark Strong zählen dürfen. Das Setting in Berlin ist erfrischend lokal, der Film dennoch nicht zu provinziell für uns Deutsche, was leider bei internationalen Großproduktionen gerne mal passiert. 158 Minuten keine leichte Kost, die sich aber lohnt, insbesondere wenn man ein Herz für Klassik hat.