Kein Tag vergeht, ohne dass Netflix, Disney+ oder Prime Video stolz ihre „Top 10“ präsentieren: die angeblich beliebtesten Filme und Serien der Stunde. Solche Rankings sind längst zu einem wichtigen Marketinginstrument geworden, ein Titel, der weit oben steht, bekommt automatisch Aufmerksamkeit, wirkt „im Trend“ und wird eher angeklickt. Doch wie belastbar sind diese Charts eigentlich?
Netflix war in den letzten Jahren vergleichsweise am offensten und stellte zeitweise Wochencharts bereit, die auf „gestreamten Stunden“ basierten. Später änderte man die Metrik auf „Views“ – eine Zahl, die entsteht, wenn man die gesamte Sehdauer durch die Laufzeit eines Titels teilt. Klingt technisch, macht aber deutlich: Schon die Definition dessen, was ein „View“ ist, ist nicht selbsterklärend.
Disney+ und Prime Video halten sich noch stärker bedeckt. Zwar tauchen auch hier Top-10-Listen auf, doch es bleibt unklar, ob gezählt wird, sobald jemand zwei Minuten einschaltet, ob nur komplette Abrufe zählen oder ob Algorithmen im Hintergrund die Reihenfolge mitbestimmen.
Hinzu kommt die Zeitdimension: Manche Rankings spiegeln nur die letzten 24 Stunden wider, andere summieren eine ganze Woche oder sogar 28 Tage. Solche Unterschiede erschweren Vergleiche zwischen Plattformen – ein Platz 1 bei Netflix kann etwas völlig anderes bedeuten als ein Platz 1 bei Disney+.
Rohdaten wie absolute Zuschauerzahlen, regionale Verteilungen oder demografische Informationen bleiben ohnehin Betriebsgeheimnis. Was die Unternehmen veröffentlichen, ist eine gezielte Auswahl – und damit zugleich ein Kommunikationsinstrument.
Gibt es Belege für Manipulation der Charts?
Eine naheliegende Frage lautet: Wenn die Anbieter ihre Methoden nicht offenlegen, ist dann nicht Tür und Tor für Manipulation geöffnet?
Einerseits gibt es bislang keine belastbaren Beweise dafür, dass Netflix, Disney+ oder Prime Video ihre Charts systematisch fälschen. Weder Whistleblower-Enthüllungen noch unabhängige Analysen haben Manipulationen nachweisbar aufgedeckt. Es scheint also keinen CEO zu geben, der eine Rundmail verfasst, dass eine bestimmte Serie jetzt erstmal drei Wochen auf die "1" muss, und die jemand dann nach außen leaken kann.
Andererseits kritisieren Analysten regelmäßig die Intransparenz: Die Zählweisen sind unklar, die Kriterien uneinheitlich, und gerade bei Eigenproduktionen entsteht der Verdacht, dass Rankings als Marketinghebel genutzt werden. In Foren und Kommentarspalten, kursieren Spekulationen, dass bestimmte Titel „hochgepusht“ würden – doch handfeste Belege fehlen. Bei Moviejones haben wird das ja zuletzt bei Titeln wie Schneewittchen und Ironheart kritisch diskutiert.
Der Schneewittchen-Effekt: Ein Praxisbeispiel
Analysieren wir das Thema einfach mal am Beispiel der Disney-Neuverfilmung Schneewittchen, die 2025 auf Disney+ startete. Was findet man im Netz dazu?
Laut FlixPatrol, einem Aggregator für Streaming-Charts, belegte der Film kurz nach Veröffentlichung in über 50 Ländern den Spitzenplatz, ein klares Signal für weltweite Beliebtheit. Auch in Deutschland war Schneewittchen sofort auf Platz 1 der internen Disney-Rankings.
Zusätzliche Zahlen kamen von Samba TV: Demnach stiegen die Abrufe in den ersten fünf Tagen nach dem Start auf Disney+ um 405 Prozent im Vergleich zur vorangegangenen Premium-Video-on-Demand-Phase. Und Nielsen, das traditionsreiche US-Marktforschungsunternehmen, maß in der ersten Woche über 581 Millionen gestreamte Minuten allein in den USA. Auch in den Folgewochen blieb der Film in den Top 10.
All das deutet klar auf einen Streaming-Hit hin, und zwar unabhängig von Disney selbst, denn Nielsen und Samba TV sind externe Messgrößen.
Doch der Vergleich mit JustWatch zeigt, wie unterschiedlich Datenquellen sein können: JustWatch basiert ausschließlich auf Nutzerinteraktionen, etwa wenn jemand den Film in seine Watchlist setzt oder nach ihm sucht. Für Schneewittchen (2025) lag dort kein Ranking vor, stattdessen tauchte der Klassiker von 1937 in den Charts auf.
Wer sind Nielsen, Samba TV und FlixPatrol?
Nielsen ist der Quotenklassiker aus den USA. Das Unternehmen misst über Panels die Sehdauer in Minuten und veröffentlicht wöchentliche Streaming-Charts – allerdings nur für die USA und nur auf Basis von Smart-TVs. Mobile Geräte bleiben unberücksichtigt.
Samba TV arbeitet mit Smart-TVs weltweit und nutzt sogenannte „Automatic Content Recognition“, um zu erkennen, was gerade läuft, egal ob Streaming, lineares Fernsehen oder Konsole. Dadurch liefert Samba TV zeitnahe, plattformübergreifende Daten, allerdings ebenfalls nur für bestimmte Geräte und Märkte.
FlixPatrol hingegen wertet schlicht die öffentlich sichtbaren Top-10-Listen der Plattformen aus. Damit lassen sich globale Rankings in Echtzeit vergleichen, doch die Daten sind nur so verlässlich wie die Listen selbst.
Alle drei Quellen sind also Ergänzungen, keine ersetzt die vollständige Offenlegung durch die Streamingdienste.
Wie sollten Konsumenten und Medien also die Charts lesen?
Für Zuschauer mag es verlockend sein, die „Top 10“ als objektive Rangliste der beliebtesten Inhalte zu betrachten. Doch genau das sind sie vermutlich nicht. Rankings sind Teil der Plattform-Logik, werden wohl selektiv veröffentlicht und sind nur eingeschränkt vergleichbar.
Für Medien und Analysten bedeutet das: Man sollte immer mehrere Quellen nutzen. Offizielle Charts geben Hinweise auf PR-getriebene Trends, externe Anbieter wie Nielsen oder Samba TV liefern Messungen von tatsächlicher Nutzung, und JustWatch spiegelt das allgemeine Interesse im Netz wider. Aber: Im Zusammenspiel entsteht ein Bild, das näher an der Realität liegt!
Hier geht ja auch nur im die offene Kommunikation. Intern werden die Daten sicher in das kleinste Detail analysiert. Was schauen die Menschen, die ihr Abo verlängern? Was schauen die neuen Kunden als erstes? Welche Filme werden zu Ende geschaut? Welche Serien werden abgebrochen? Doch diese spannenden Daten sehen wir nicht. Bzw. wir sehen sie indirekt: Wird eine Serie verlängert, dann lief sie gut. Wird eine Serie abgesetzt. Tja, dann lief sie wohl nicht so gut.
Ein ironisches Fazit für Fans:
Wir werden die exakten Daten wohl nie zu sehen bekommen. Und vielleicht ist es gut so. Denn in der Realität bedeutet das: Ihr könnt einfach selbst entscheiden oder fühlen, ob ein Film ein Streaming Hit ist!
Mögt ihr den Film und er steht auf Platz 1 - dann ist er ganz klar ein Hit! Ihr könnt ihn guten Gewissens feiern!
Mögt ihr den Film nicht und er steht auf Platz 1 - dann ist er ganz klar ein Flop - denn die Chartposition ist reine PR! Ihr könnt ihn guten Gewissens in den Kommentarspalten zerreißen.
Der Gesprächsstoff wird uns also niemals ausgehen.