Bewertung: 5 / 5
Am 16.12.2012 wird ein Paar in einem öffentlichen Bus in Delhi von 6 Männern überfallen, brutal zusammengeschlagen und die Frau wird bestialisch vergewaltigt und verstümmelt. Die erste Staffel von Delhi Crime beschäftigt sich mit den polizeilichen Ermittlungen zu diesem Fall. Die Namen der Beteiligten wurden - obwohl sie mittlerweile in der breiten indischen Presse breit getreten wurden (trotz Schutz der Persönlichkeitsrechte usw.) - verändert, einiges wurde aus dramaturgischen Gründen zugespitzt, inklusive einer anfangs melodramatisch überhöhten Mutter-Tochter-Geschichte, welche aber erfreulicherweise recht schnell zu einem Rand-Thema degradiert wird.
Alles in allem ist die Serie extrem akribisch recherchiert und zeichnet minutiös das Bild eines im System zerriebenen Polizeiapparates, welches zu allem Überfluss auch noch zwischen die Fronten verschiedener politischen Agendas gerät. Gleichzeitig wird ein Indien portraitiert, das eben nicht der Kolonialnostalgie oder dem typischen Bollywoodpomp frönt, sondern nüchtern und sachlich dokumentiert, dass es sich eben um ein Vielvölkerstatt handelt mit den verschiedensten politischen, religiösen und standesmäßigen Unterschieden. Dabei kommt auch noch der ttasächliche Fall zu keinem Zeitpunkt zu kurz. Hier wird mit allerhand Themen jongliert, alles extrem verdichtet und auf den Punkt zum Siedepunkt gebracht. Mit 7 Folgen ist die Serie weder zu kurz noch zu lang und endet auf dem absoluten Höhepunkt.
Trailer zu Delhi Crime
Die darstellerischen Leistungen steigern sich von Folge zu Folge, und je höher der Druck auf allen Beteiligten wird, desto höher peitschen sich alle Beteiligten vor und hinter der Kamera zu Höchtsleistungen, keiner kommt hier ungeschoren davon, es gibt keine Gewinner, aber gewinnen oder etwas zu verändern ist nie das Ziel gewesen, wie einem extrem schmerzlich am Ende vorgeführt wird.
Aber eines nach dem anderen:
Als die beiden Opfer gefunden werden, dauert es eine gefühlte Ewigkeit bis sie ins Krankenhaus kommen, was von der politischen Opposition dafür benutzt wird, sich in Position zu bringen, und die bisherige Regierung zu diskreditieren. Man versucht, indem die Presse und Medien instrumentalisiert wird, eine Art mittleren Umsturz herbeizuführen und den Polizeiapparat unter die eigene Kontrolle zu bekommen. So kommt es, dass ein (in Indien fast) alltägliches Verbrechen plötzlich eine derart enorme Aufmerksamkeit erfährt, dass der Druck auf der Polizei ins Unermessliche steigt, die nun plötzlich auch noch um die eigene Unabhängigkeit an allen Fronten (im wahrsten Sinne des Wortes) kämpfen muss. In einem Land, das so gar nicht den westlichen Polzeisehgewohnheitsstandards entspricht, entwickelt sich plötzlich eine atemlose Hetzjagd durch das ganze Land bis hin in Regionen hinein, in denen der terroristische Ausnahmezustand herrscht, und das alles unter enormem Zeitdruck.
Während also ein Täter nach dem anderen gefasst wird, und jeder geständig ist, und bei jedem Geständnis ein grausigeres Detail mehr ans Licht kommt, kämpft das Opfer verzweifelt (und letztendlich hoffnungslos) ums Überleben. Eine Polzeiabsolventin wird eigens für sie und ihre Familie abgestellt, und in der Zeit, die sie nicht im Krankenhaus ist, muss sie mit ihren Kolleginnen die erste Linie gegen gewaltbereite Demonstranten bilden (sozusagen als Schutzwall, da es ja um das Thema Frauen geht und man mit weiblichen Polizisten an erster Front den Demonstranten eine extrem zynische Mauer entgegenstellt) und zudem den Verhören der Vergewaltiger beiwohnen. Man sieht unter anderem an dieser Person, wie der Polzeiapparat komplett zerrieben wird und hoffnungslos untergeht, dass es keine wahre Hoffnung gibt. Und das wird letztendlich dadurch unterstrichen, dass am Ende als "Glanzpunkt" eine andere bereits vorher erwähnte Vergewaltigung noch einmal thematisiert wird, welche weil es politisch damals keinen Sinn gemacht hatte, da es nicht in Delhi geschah, einfach kein großes (wenn überhaupt) Publikum bekam und stillschweigend behandeltwurde, so dass hier auch aufgezeigt wird, dass das hier bei Leibe keine Einzeltat per se ist.
Es ist schwer, diese erste Staffel wirklich zu bewerten, da hier sehr viel verhandelt wird, fast ein bißchen zu viel, aber es ist alles auf den Punkt. Zwei dreimal vergreift sie sich in der Inszenierung / im Ton, aber einmal dient es nur dazu, eine Richtung zu etablieren und den Plot in diese gewünschte Richtung zu treiben. Und das andere Mal gibt es einen Erklärungsansatz, der diese Taten der Moderne, der Armut und dem geringen Bildungsstand im Allgemeinen zuschreibt. DAS ist definitiv zu kurz gedacht und gegriffen, denn dass Frauen als Objekte angesehen werden, degradiert werden, ist definitiv kein Armutsproblem, es gibt genug in Indien auch bekannt gewordene Fälle, in denen diese Gewalt ganz klar eben auch in höheren Gesellschaftsschichten gelebt wird. Ein sehr bekanntes (inhaltlich und inszenatorisch aber deutlich unterlegenes) Werk Namens "No One Killed Jessica" geht dieses Thema sehr aggressiv, reisserisch und plump an, was in diesem Zusammenhang aber deutlich der richtige Weg ist. Der in Delhi Story angedeutete Erklärungsansatz ist aber letztendlich kein allgemeingültiger Ansatz - auch nicht in dieser Serie, wie sich später nochalant noch herausstellen wird - der Erklärende ist ein grüblerischer Mann, der früher mal Lehrer werden wollte, und die Serie gibt uns als Erklärung an, dass es sich hierbei auch lediglich nur um die Gedanken dieses Mannes handeln könnte.
Und bei all diesem Pessimismus behält immer wieder einer der Polizisten kühlen Kopf und tut trotz aller Widrigkeiten auch mal das Richtige, beispielsweise als der letzteTäter gefasst wird und sich noch als Kind herausstellt. Hier setzt sich eine Polizistin durch, ihn als Jugendlichen anzuklagen, damit er nicht im erwachsenen Gefängnis selbst ständig vergewaltigt wird. Wie gesagt, keine einfachen Lösungen.
Letztendlich muss ich zugeben, dass mich diese Serie mit zunehmender Dauer regelrecht zerstört hat. Welches Bild da eines Landes gezeichnet wird, ist das eine. Die persönlichen Schicksdale das andere. Auch die Diskussion über die Todesstrafe ergibt sichbei solch einer Tat einfach mal gar nicht. Nach etwa der Hälfte war ich geneigt, dies zur ersten Kritik zu machen, die keine Wertung bekommt. Doch je näher wir dem Ende kamen, je verzweifelter jeder sich gegen das Unvermeidbare stemmte, je mehr man auf ein Happy End (irgendwie) hoffte, je zerriebener jeder Beteiligte wurde, und dass dann am Ende nach einem wirklich gespenstischen Schlussbild trotzdem doch noch ETWAS Gutes bei rumkam:
Diese erste Staffel dieser Anthology-Serie ist für mich zweifelsohne und mit haushohem Abstand die beste und wichtigste Serie des Kalenderjahres 2019. Und sie gehört für mich genauso in meine Alltime Top 3, zusammen mit The Wire und Fargo.