Bewertung: 4.5 / 5
Frauen zu verstehen fiel Männern wohl nie leicht. Aber Jahrtausende lang fiel es zumindest leichter. Bis ins 20. Jahrhundert hinein hatte die Medizin nämlich eine universelle Diagnose für beinah jede unerklärliche Regung des weiblichen Gemüts: Ungehorsam gegenüber dem Vater? Hysterie! Unzufriedenheit in der Ehe? Hysterie! Der Ruf nach Frauenwahlrecht? Hysterie! Die Symptomatik dieser mysteriösen, vorwiegend bei Frauen auftretenden Krankheit einzugrenzen, gestaltete sich schwierig, nicht jedoch deren Behandlung: Die Stimulation der weiblichen Geschlechtsorgane, natürlich zu rein medizinischen Zwecken, erwies sich schon früh als wirkungsvoll. Dass Londonerinnen jeden Alters in Tanya Wexlers viktorianischer Komödie In guten Händen für eine Therapie Schlange stehen, ist also nicht weiter verwunderlich...
Die Praxis von Frauenarzt Dr. Robert Dalrymple (Jonathan Pryce) brummt: Etwa ein Viertel der Londonerinnen leidet unter dieser mysteriösen Krankheit Hysterie. Und die Hälfte davon dürfte in Dalrymples Wartezimmer sitzen, um sich von dem Arzt mit dem hervorragenden Fingerspitzengefühl behandeln zu lassen. Zu viel für einen Mann! Ein Assistent muss her, und zwar schnell.
Trailer zu In guten Händen
Mit dem jungen idealistischen Arzt Mortimer Granville (Hugh Dancy), der später als Erfinder des Vibrators in die Geschichte eingehen sollte, scheint der perfekte Kandidat gefunden - nicht nur für die Praxis, sondern auch für Dalrymples Vorzeigetochter Emily (Felicity Jones). Doch zwei Dinge stehen Mortimers glücklicher Zukunft im Hause Dalrymple im Weg: Zum einen die hartnäckige Sehnenscheidenentzündung, die sich der Mediziner bei seinen Bemühungen, händisch den sexuellen Frust, äh, die Hysterie der Patientinnen zu kurieren, zuzog. Zum anderen die Gefühle, die er im Laufe der Wochen für Dalrymples "missratene" Tochter Charlotte entwickelt.
Mit leuchtenden Augen und Hang zur Theatralik gibt Maggie Gyllenhaal die eigentliche Heldin des Kostümfilms, die mit ihrer ausgeprägten Schlagfertigkeit und ihrem noch ausgeprägteren Gerechtigkeitssinn so gar nicht in die steife Gesellschaft des ausklingenden 19. Jahrhunderts passen will. Wie könnte sich ein Mann mit Verstand nicht in sie verlieben? Vor lauter Freude über die scharfsinnigen Kabbeleien (Buch: Stephen und Jonah Lisa Dyer) zwischen Charlotte und Mortimer vergisst man als Zuschauer fast, dass Tanya Wexler in ihrem Film ja eigentlich auch von der Erfindung des Vibrators erzählen will. Als Mortimers Freund und Tüftler Edmund St. John-Smythe ruft Rupert Everett den Handlungsstrang hin und wieder ins Gedächtnis, stets in Verbindung mit herrlich trockenen, gern doppeldeutigen Bemerkungen.
So viel sich in dieser Emanzipationskomödie auch unterhalb der Gürtellinie abspielen mag - das Niveau bleibt stets darüber. Nie werden die Bilder explizit oder die Witze wirklich schlüpfrig, dennoch ist die sexuelle Aufladung deutlich spürbar. Denn Wexler und ihr Produzentinnenteam verstehen eine ganze Menge von der fast vergessenen Kunst des Andeutens: Sie wissen genau, wie viel oder wie wenig gesagt und gezeigt werden muss, um das Publikum auf angenehme Weise zu stimulieren. Das weibliche und das männliche.
In guten Händen bekommt 4,5 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Annekatrin Liebisch)