
Bewertung: 4 / 5
"Je grausamer es ist, desto früher wird es zu Ende sein."
Dass die Westernepoche entgegen der geläufig romantisierten Darstellung keine einfache Zeit war, liegt auf der Hand, dazu muss man sich nur die Lage der größtenteils gesetzlosen Länder in West- und Südamerika sowie den Bürgerkrieg vor Augen führen. Schwer hatten es vor allem Indianer sowie insbesondere Frauen, die skrupellosen Verbrechern regelmäßig hilflos ausgeliefert waren und jegliche Ungerechtigkeiten über sich ergehen lassen mussten, was zu oft einfach unter den Tisch gekehrt wird. Erfreulich ist daher, wie konsequent sich der düstere Western "The Keeping Room" dieser Thematik zuwendet - und in welch überragender Qualität er seine berechtigte Kritik an damaligen Missständen ausführt.
Trailer zu The Keeping Room - Bis zur letzten Kugel
Während der Bürgerkrieg seinen Lauf nimmt und die Männer an der Front kämpfen, sind die Familien sich selbst überlassen und müssen sich, in der Hoffnung auf Rückkehr, selbst durchschlagen. So ergeht es auch der Südstaatlerin Augusta (Brit Marling), die zwangsläufig die Sorge um ihre Schwester Louise (Hailee Steinfeld) und ihre Sklavin übernehmen muss. Doch eines Tages verirren sich zwei vom Krieg verrohte, desertierte Südstaatler - Moses (Sam Worthington) und Henry (Kyle Soller) - in die Siedlung und beginnen, auf der Suche nach Reichtümern sowie Befriedigung, zu plündern, zu vergewaltigen und zu morden. In ihrem Haus verschanzt, versuchen die drei Frauen, sich ihnen verzweifelt zu erwehren - doch dabei sind die beiden ehemaligen Soldaten nur die erste Welle von denen, die mit Ende des Krieges über die Bevölkerung herfallen werden.
Nach der Sichtung von "The Keeping Room" war ich schockiert, wie sträflich unterbewertet der Film gemeinhin ist. Aber klar, wer nicht in der Lage ist, sich von der grandiosen, dichten Atmosphäre des Filmes tragen zu lassen, ruft hier schnell mal ganz kunstfeindlich: "Langweilig!". Und doch schafft es der Film mit seiner unangenehm bitteren, beinah apokalyptischen Stimmung extreme Spannung aufzubauen, die ihn in Kombination mit seinem äußerst intelligenten Drehbuch ziemlich unter die Haut gehen lässt. Es gibt - abgesehen von Randfiguren - nur fünf wichtige Personen im Film, die ihn durch die kammerspielartige und clever verstrickte Inszenierung perfekt tragen, über 90 Minuten lang.
Die Story schafft es, mit minimalistischen Mitteln eine harsche Epochen- und Gesellschaftskritik auszuformulieren sowie zeitgleich ein überragend eingängiges und realistisches Bild der historischen Situation zu zeichnen. Besonders in der ersten Filmhälfte kommt man dem Leben damals auf interessante Art näher: Die Handlung ist ruhig erzählt, nimmt sich Zeit, verlässt sich auf ihre Atmosphäre und gelangt gerade deshalb zu einer heftigen, treffenden Wucht.
Diese wird von den grauenvollen Ereignissen auf den Punkt gebracht, dank denen der Film eine gelungene Intensität mitbringt. Es ist nicht das, was gezeigt wird, sondern das, was passiert, die bitteren Ereignisse, die sich so unangenehm anfühlen und die Heftigkeit des Werkes ausmachen. Aber auch die Gewalt ist, besonders in einer Szene, passend hart, wenngleich hier zu viel Offscreen abläuft, wodurch der Sprung zu einer noch krasseren Wirkung verpasst wurde.
Nichtsdestotrotz ist die FSK 16 eine angebrachte Einstufung. Die Vergewaltigung ist nicht ohne und auch der ein oder andere Schusswechsel läuft blutig ab, weswegen ich den Film ebenso ab 16 freigeben würde (Brutalität: 5/10 für 16).
Einen großen Anteil an dem bedrückenden Gefühl, das der Film hinterlässt, haben die grandiosen Bilder, welche von dem dezenten, wundervoll melancholischen Soundtrack umrahmt werden. Die Kameraführung ist ruhig, wirkt teils klaustrophobisch, teils in weitem Grauen verloren und transportiert perfekt die damals herrschende Einsamkeit. Zusätzlich bietet der Streifen starke, künstlerisch angehauchte Bilder, die all die Geschehnisse greifbarer, beeindruckender machen, sei es die düstere Leere der Nacht oder das erschütternde Grauen einer brennenden Kutsche.
Die Musik verstärkt die Eindrücke und Atmosphäre um ein Weiteres, während sie die atemberaubenden Landschaftsaufnahmen passend untermalt und unterstützt. Aber auch die Emotionen des Filmes kann sie hervorheben, wenn die traurige Grundstimmung durch ebenso schwermütige Melodien pointiert wird.
Die Dialoge möchte ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, insbesondere ihr Symbolcharakter ist mehr als zu beachten. Denn sie bieten nicht nur einige tiefgründige, kritische sowie überdenkenswerte Ansätze und sind herausragend geschrieben, sondern etablieren auch mehrere interessante, vielschichtige Doppeldeutigkeiten. Dazu muss man sich nur mal den Namen von Sam Worthingtons Charakter ansehen oder einen Blick hinter die Fassade des Endes werfen - wenngleich diese Symbole im Film leider zu weit ausgewalzt werden. Anstatt in diesen Punkten konsequent auf die Intelligenz des Zuschauers zu vertrauen, werden verschiedene, an sich sehr gute Motive, unnötig ausgeführt, wodurch ihnen leider die Subtilität verloren geht.
Nichtsdestotrotz perfektioniert diese Symbolik die Charakterzeichnung. Vor allem die beiden Soldaten werden dadurch gleichzeitig zur handelnden Person wie auch zur tragenden Botschaft, was im Film noch mehrfach deutlich wird. Am besten gelingt dies bei Moses und einer weiteren Person, die gegen Ende gezielt vermenschlicht und zwiespältig dargestellt werden. Die anderen wichtigen Figuren können da ebenso mithalten, jeder erhält eine ausformulierte Charakterisierung und Persönlichkeit, da sich angenehm viel Zeit für die verschiedenen Individuen genommen wird.
Die Schauspieler spielen ihre Charaktere derweil hervorragend, sodass die Geschichte zu jedem Zeitpunkt glaubwürdig ist und die Figuren einem im Verlauf immer wichtiger werden. Brit Marling als Augusta und Sam Worthington als Moses stechen dahingehend am meisten heraus, besonders letzterer spielt den vom Krieg verrohten Bösewicht tadellos. Allerdings braucht sich ebenso keiner der Nebendarsteller zu verstecken, auch sie liefern gute Darstellungen ab, die dem Film seine Konsistenz geben.
Wenn ich das nun in einem abschließenden Fazit zusammenfasse, frage ich mich erneut, warum "The Keeping Room" auf mehreren Seiten nur durchschnittlich abschneidet. Es muss doch auch noch Leute geben, die düstere Ansätze und ein ruhiges Erzähltempo zu schätzen wissen. Der Film hat es nämlich definitiv verdient, gesehen, gelobt zu werden, wo er doch so viele wichtige Themen anspricht - und das auch noch auf derartig hohem Niveau.
Als Western erhält er deshalb 9 Punkte, als Kriegsfilm 8,5 Punkte, als Thriller sowie auch als Drama 9 Punkte. Insgesamt bekommt er
8,5 von 10 Punkten.
