Vor zwei Wochen hatten wir die Gelegenheit, Alles Geld der Welt im Kino zu sehen und wir waren über die Qualität des Films positiv überrascht. In die Schlagzeilen kam jener Film in den vergangenen Monaten aber nicht aufgrund eben jener Qualitäten, sondern vor allem durch die Nachdrehs mit Christopher Plummer, der Kevin Spacey aufgrund bekannter Umstände ersetzte, und die Debatte ums liebe Geld für diese Nachdrehs.
Nun ist dieser Film in einer entscheidenden Kategorie ein Oscar-Anwärter und das diskutierten wir genüsslich, deren Gedanken wir mit euch teilen wollen.
So grundlegend wichtig die MeToo-Diskussion ist, entstehen mitunter auch beängstigende Momente in ihrer schier unhaltbaren Masse an Anschuldigungen. Kritische Fragen und Zweifel werden dabei mit ungläubigem Staunen und Konter wahrgenommen, denn wenn eine Anschuldigung im Raum steht, muss die wohl stimmen. Ohne im Vorfeld einen Kotau hinzulegen und gebetsmühlenartig zu wiederholen, dass man volles Verständnis dafür hat, dass Täter (?) sofort öffentlich gebrandmarkt werden, ist man auch ganz und gar unwürdig, an der Debatte überhaupt teilzunehmen. Weil XY das so sagt, ist Franco nicht nur ein Blowjob-Liebhaber sondern zugleich aggressiv, Dustin Hoffmann fingert in fremden Höschen rum und erzählt überaus dreckige Witze am Set und schwule Partyhengste wie Spacey, die ihre Macht Minderjährigen und geringeren Setmitarbeitern demonstrieren, werden derart seziert, dass man sich fragt, ob diese öffentliche Hinrichtung wirklich im Verhältnis steht.
Wohlgemerkt ist es richtig und gut, diese Fälle zu benennen! Aber ein legitimer Weg ist auch der Weg zur Polizei im Zuge von MeToo, wo Fälle beidseitig untersucht werden. Doch der Anreiz, seine Nemesis persönlich auch öffentlich zu vernichten, ist ungleich betörender. Jemanden für alle Zeit aus dem kollektiven Gedächtnis zu radieren ist inzwischen nicht mehr Lebensaufgabe, sondern mit wenigen getippten Zeichen erledigt.
Bei immer neuen Fällen größerer und kleinerer Couleur verschwimmen die Grenzen so unfassbar, dass die Grenze Täter/Täter? eben nicht mehr leicht zu ziehen ist, vor allem nicht von uns, der Öffentlichkeit. Während der WM sitzen 80 Mio. Fußballtrainer vor deutschen TVs: Jetzt sitzen Hunderte Mio. Richter weltweit vor den Tablets und Smartphones und arbeiten sich sekundenschnell an wildfremden Menschen ab, wo die Schuldfrage eben nicht geklärt ist, über deren Schuld aber kollektives Einverständnis herrscht. Kurzum, so grundlegend wichtig diese Debatten auch sind, werden sie völlig doppelzüngig und kritiklos geführt. Indem Aussagen in die Öffentlichkeit gelangen und prompt ungeprüft von jener zu weiten Teilen als Wahrheit eingestuft werden. Mögliche (!) Täter sind von einer Sekunde auf die andere vogelfrei.
Und das hat weder etwas mit Recht zu tun, noch werden hier Angeklagte (wohlgemerkt nicht Verurteilte) geschützt, weil der Spruch "In dubio pro reo" ausgehebelt wird - und Zweifel gibt es.
Worauf wir hinauswollen? Bei Alles Geld der Welt waren wir erstaunt, wie toll die Leistung von Christopher Plummer war, der nur wenig Zeit hatte, sich auf diese Rolle vorzubereiten. Gleichzeitig fragten wir uns, ob diese Leistung allein auf Plummer zurückzuführen ist bzw. wie viel Kevin Spacey noch in der Rolle steckt. Rein aus neutralen Gesichtspunkten wäre es über die Trailer hinaus interessant zu sehen, wie stark sich die Darstellung von J. Paul Getty unterscheidet. Diese Frage ist umso wichtiger, da inzwischen die Karriere von Kevin Spacey komplett ruiniert ist und am gestrigen Tag Christopher Plummer als beste Nebenrolle für die Oscars nominiert wurde. Wenn dieser jetzt noch den Preis mit nach Hause nimmt, bekommt die Geschichte sogar noch das i-Tüpfelchen aufgesetzt.
"Alles Geld der Welt" Trailer 1 (dt.)
Hätte Plummer den Oscar verdient? Auf jeden Fall, so wie ein paar andere nominierte Kandidaten. Aber der Zweifel bleibt eben haften, dass dieser Oscar auch zum Teil Spacey zusteht, der wohl nicht minder gut gespielt hat und sogar eine komplette Transformation zu J. Paul Getty durchlebte. Worum geht es schließlich bei den Oscars? Die besten Schauspieler, Schauspielerinnen und filmischen Leistungen zu honorieren!
"Alles Geld der Welt" Trailer 3 (dt.)
Oder doch eher das Fähnchen schön in den Wind der öffentlichen Meinung zu halten?
Wenn wir konsequent verlangen, dass Menschen beruflich zerstört werden, weil sie im Privatleben möglicherweise Schweine sind, dann sollte ein Großteil der Bevölkerung ganz schnell seinen Posten räumen. Wenn Menschen sich falsch verhalten, gibt es rechtsstaatliche Mittel und nicht die öffentliche Denunzierung. Spätestens wenn die letzte Staffel House of Cards läuft, werden sich Fans der Serie wünschen, er wäre dabei gewesen, statt die Serie derart erzwungen zu beenden.
Um einen Vergleich zu bringen: Persönlich haben wir Charlton Heston für seinen Waffenwahn stets verabscheut, aber das ändert nichts daran, dass er ein grandioser Schauspieler war und beeindruckende Meisterwerke der Filmwelt bereicherte. Dank sozialer Medien sind die meisten Menschen inzwischen unfähig zu hinterfragen und zu trennen, denn alles, was vom scheinbar allgemeingültigen Konsens abweicht, kommt einer Gotteslästerung gleich. Willkommen Mittelalter 2.0, willkommen Fahrenheit 451! Denn genau da bewegen wir uns hin.
Doch inzwischen ist die Causa Spacey ein alter Hut, wen interessiert sein Fall in dieser schnelllebigen Welt schon? Viel aktueller ist da doch gleich die Debatte um James Franco. Dem zugekifften Haudegen, der 2011 eine der schlechtesten Oscar-Präsentationen überhaupt ablieferte. Vor wenigen Tagen wurde er noch bei den Golden Globes für The Disaster Artist abgefeiert ... nur hatte er bei der Veranstaltung auch einen Pin angesteckt, um Solidarität mit Frauen zu zeigen. Das blieb nicht unkommentiert und prompt standen auch gegen ihn Anschuldigungen im Raum (wohlgemerkt gab es schon vor einigen Jahren Stimmen, die ihm etwas vorwarfen). Anschuldigungen, die genau wie immer nur einen Teil der Geschichte erzählen und die Angeklagten sofort medial in die Defensive bringen und direkt die öffentliche Zerstörung einleiten. Gehen diese Geschichten uns etwas an? Nein! Wenn etwas Illegales passiert ist, dann gibt es dafür die Justiz. So einfach ist das. Wo Franco bei den Globes - wohlgemerkt dem Gradmesser der Oscars - kürzlich noch gefeiert wurde, ist bei den Oscars nun nichts mehr von ihm und kaum etwas von The Disaster Artist zu sehen. Warum? Weil sich ein paar übereifrige ZuschauerInnen echauffieren würden, dass jemand bei einer Veranstaltung für filmische Leistungen für filmische Leistungen ausgezeichnet werden könnte?! Was macht das aus den Oscars, die nie politisch sein wollen, aber in solchen Fällen reflexartig Position beziehen und direkt ausschließen, dass sich Anschuldigungen eventuell in einiger Zeit als unhaltbar herausstellen könnten?
Wer weiß, vielleicht hat Violet Paley recht mit ihren Anschuldigungen gegen Franco, aber wir alle können dies nicht beurteilen. Wir wissen nicht, ob es diesen besagten rabiaten Blowjob-Moment gab. In diesem Fall kennen wir nur ihre Behauptung, die zu einer sofortigen öffentlichen Vorverurteilung führt. Ist das in Ordnung? Wie kam es denn überhaupt zu dieser besagten Szene und warum saß Paley in Francos Auto? Haben sie über Filme geredet oder hat Franco sie gezwungen, während auf magische Weise seine Hose aufsprang? Wie kam es zu jenem Moment in einer Branche, in der auch Frauen gerne mal ein paar Meter weitergehen, um eine begehrte Rolle zu ergattern? Nur mal nebenbei erwähnt, so wichtig wie echte Gleichberechtigung ist, sollte auch nicht vergessen werden, dass Frauen nicht automatisch Engel sind und es auch viele weibliche Arschlöcher gibt. Wie glaubwürdig ist eine Frau, die bereits in der Vergangenheit mehr als nur einen fragwürdigen Tweet veröffentlicht hat (der dann bloß ein Joke gewesen sein soll)? Vielleicht hat Paley sich bewusst darauf eingelassen und das Ergebnis lief nicht so, wie von ihr erhofft, jetzt also passend die Retourkutsche. Auch das ist möglich, aber wir wissen es nicht!
Diese ganzen öffentlichen Diskussionen, die derart exzessiv geführt werden, schaden echten Opfern. Denn wer sich direkt medial ins Rampenlicht begibt, sollte auch skeptisch beäugt werden. Wollen wir alles moralische Fehlverhalten nun ächten und eventuell in Zukunft sogar staatliche Reglementierungen ertragen müssen, die uns sagen, was noch von wem noch künstlerisch tragbar ist? Die Debatte um Filme mit Spacey, ob man die nun vielleicht nie wieder guten Gewissens schauen darf, zeigt die verlogene Doppelmoral, obwohl Woody Allen weiterhin Narrenfreiheit hat.
Was uns fehlt, ist das rechte Maß und vor allem Konsequenz in jeder Richtung. In Zeiten sozialer Medien scheint alles erlaubt zu sein, was Aufmerksamkeit generiert. Dabei werden potentielle Opfer selbst zu Tätern, die teils schlimmere Dinge tun, als ihnen möglicherweise angetan wurde. In diesem Fall hat es Franco erwischt, dessen Karriere einen empfindlichen Knick bekommen hat, kurz vorm Höhepunkt seiner Karriere.
Ob er es verdient hat, als ekliger Macho, der Frauen benutzt, wie es sich ihm bietet, wer weiß. Aber eine wirkliche Auseinandersetzung mit den angeblichen Taten, Hinterfragen und darauf folgende Stellungnahme offizieller Stellen und deren öffentliche Verbreitung: Wo bleibt das? Entweder um Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen bzw. Anschuldigungen zu entkräften, die Leben ruinieren können? Die bloße Tatsache, dass Sucht nach Ruhm, das Aufbauschen von Fällen und Rufmord in dieser ganzen Debatte auch ein Motiv sein könnten, wenn man einen Vorfall direkt medial verbreitet, sollte zumindest in Betrachtung gezogen werden.
Cute #TIMESUP pin James Franco. Remember the time you pushed my head down in a car towards your exposed penis & that other time you told my friend to come to your hotel when she was 17? After you had already been caught doing that to a different 17 year old?
— Violet Paley (@VioletPaley) 8. Januar 2018