Bewertung: 4.5 / 5
Nach zweijähriger Wartezeit hat Netflix endlich die vierte und leider letzte Staffel von Sex Education veröffentlicht. Nachdem uns Staffel 3 mit einigen schmerzvollen Trennungen zurückgelassen hatte, lassen die Charaktere in Staffel 4 die Highschool hinter sich. Der neue Alltag heißt College, an den sich der Großteil der ehemaligen Moordale-Schüler nun gewöhnen muss. Keine leichte Aufgabe, werden die Teenager doch wie gewohnt mit familiären als auch intimen Problemen konfrontiert...
"Sex Education" Season 4 Trailer 1 (dt.)
Das große Wiedersehen
Wie es bei ins Herz geschlossenen Serien nach langjähriger Wartezeit so ist, gerät die erste Folge der neuen Staffel zum großen Wiedersehen. Nicht nur aus Zuschauersicht, sondern auch unter den Charakteren der Serie und es ist wirklich eine Freude, Otis (Asa Butterfield), Eric (Ncuti Gatwa), Maeve (Emma Mackey), Aimee (Aimee Lou Wood), Ruby (Mimi Keene) und wie sie alle heißen, noch einmal zusammen in Aktion zu sehen. Zu Beginn der Staffel wirkt es wirklich so, als hätte Netflix noch einmal alle kreativen Kräfte mobilisiert, um den Fans von Sex Education den bestmöglichen Abschied von den Figuren zu schenken.
Der Auftakt von Staffel 4 bietet all das, was man über die vergangenen drei Staffeln schon an Sex Education lieben gelernt hat: wichtige Themen heranwachsender Menschen sowie deren Familien werden bedacht, aber stets humorvoll und teilweise sogar mit satirischer Überhöhung inszeniert und auch vor Nacktheit wird nicht zurückgeschreckt - bei allen Geschlechtern.
Staffel 4 schafft es dabei, Colleges und Universitäten mit einem großen Augenzwinkern zu inszenieren, gleichzeitig aber in einem den Wunsch auszulösen, selbst noch einmal frisch an einer Universität anzufangen - oder einfach nur so eine coole Uni gehabt zu haben. Für Lacher sorgen zudem die gut beobachteten Unterschiede zwischen alten und neuen Lehrmethoden, während das gerade in jüngeren Altersgruppen gestiegene Umweltbewusstsein mit Nachdruck, aber eben auch humorvoll inszeniert wird - denn kein Mensch ist perfekt. Das ist sowieso eine der größten Botschaften der Serie und dieser vierten Staffel: Egal wie fehlbar manche Menschen sind, zu einer schlechten Person macht es sie nicht und niemand ist nur eindimensional.
Aufklärungsunterricht in Serienform
Seinen Titel trägt Sex Education natürlich nicht ohne Grund. Die Serie schafft das, was Sexualkundeunterricht in der Schule gerne geleistet hätte und hat auch über intime Probleme hinaus viel zum Leben zu sagen. So geht es in Staffel 4 unter anderem um das Modell Fernbeziehung sowie die damit verbundenen Herausforderungen, toxische Männlichkeit, den Druck in unserer Leistungsgesellschaft, Angstzustände, Trauerverarbeitung, das toxische Ausmaß von Cancel Culture sowie psychische Manipulation und Missbrauch und wie lange die vornehmlich weiblichen Opfer diesen mit sich herumtragen.
Ein Großteil der vierten Staffel dreht sich zudem um die Herausforderungen alleinerziehender Mütter sowie die Vereinbarkeit von Mutterschaft und der zuvor eingeschlagenen Karriere. An anderer Stelle wird dagegen die Zerrissenheit queerer und zugleich religiöser Menschen sowie die Rückständigkeit vieler Religionen thematisiert.
Wirklich toll inszeniert sind zudem die Schwierigkeiten, mit denen sich transsexuelle Menschen im Teenageralter konfrontiert sehen, seien es die Auswirkungen vom Einnehmen von Testosteron, die langen Wartezeiten auf geschlechtsangleichende Maßnahmen und die damit verbundenen mentalen Probleme, aber eben auch die positiven Effekte dieser Operationen. Wenn es eine Serie schafft, marginalisierten Menschen das Gefühl zu geben, gesehen zu werden, dann ist es Sex Education.
Insbesondere in Staffel 4 bietet die Serie aber so viele und unterschiedliche Figuren und Handlungsstränge, dass hier wirklich für alle etwas dabei ist und sich jeder von uns in irgendeiner Figur wiedererkennen wird. Dass alle Figuren zudem genug Raum bekommen, gleicht bei der hohen Anzahl an Charakteren wirklich einer Meisterleistung, wie auch das organische Weiterspinnen der Handlungsstränge vergangener Staffeln.
Ein Serienfinale auf allerhöchstem Niveau
Wichtige gesellschaftliche Themen anzusprechen ist das eine, dies aber nie mit dem erhobenen Zeigefinger zu tun, das andere und das gelingt Sex Education wirklich hervorragend. Gelungen ist zudem das tonale Wechselspiel aus Ernst und Humor, auch wenn der Score hin und wieder etwas zu stark auf die Tränendrüse drückt. Nichtsdestotrotz hat uns Staffel 4 angesichts mancher Schicksalsschläge zu Tränen gerührt. Alleine die Beerdigungsszene in der sechsten Folge ist - auch dank der Rückkehr mancher Figuren der ersten drei Staffeln - wunderschön und schmerzhaft zugleich.
Die Höchstwertung vergeben wir nur nicht, weil manche Handlungselemente etwas zu erzwungen wirken, manche Dinge innerhalb der Serie - Stichwort Gendern - zu perfekt wirken und uns die im Verlauf der Staffel eintretenden spirituellen Einbildungen einer Figur eher zum Lachen gebracht haben.
Ansonsten können wir an Staffel 4 wirklich nichts aussetzen. Alle Schauspieler gehen einmal mehr voll in ihren Rollen auf und der stets stimmungsvolle und mal poppige, mal rockige Soundtrack wird in nächster Zeit bei uns in Dauerschleife laufen. Natürlich ließen sich in der Theorie problemlos noch weitere Staffeln umsetzen, denn die Probleme der Figuren verschwinden ja nicht nach Abschluss ihrer Hochschulausbildung. Andererseits würde es einer Mammutaufgabe gleichen, die inzwischen immer bekannter werdenden Darsteller alle zwei Jahre für einen mehrmonatigen Dreh zu gewinnen.
Angesichts dessen ist das Ende der Serie wirklich schön gesetzt und alle Charaktere bekommen den Handlungsrahmen, den sie verdienen und der nach vier Staffeln auch sinnvoll erscheint. Am Ende dieser vierten Staffel hatten wir wirklich das Gefühl, mit diesen ausnahmslos tollen und vielschichtigen Figuren eine Reise erlebt zu haben. So freudig die Wiedersehen zu Beginn dieser vierten Staffel waren, so herzzerreißend gerät am Ende der ein oder andere Abschied. Sowohl zwischen den Figuren als auch von uns Zuschauern. Wir gehen jetzt erstmal ein Pferd umarmen.
Wiederschauwert: 100%