Bewertung: 4 / 5
Wenn ein eigenproduzierter und zudem starbesetzter Film neu auf Netflix erscheint, wird er üblicherweise direkt prominent auf der Startseite platziert, um möglichst viele Nutzer darauf aufmerksam zu machen. Als ich am Starttag von "Blonde" die Netflix-App öffnete, war dort von dem mit Ana de Armas durchaus prominent besetzten Marilyn Monroe-Biopic jedoch weit und breit nichts zu sehen, so dass ich gezwungen war, ihn über die Suchfunktion aufzustöbern. Wenn man den Film gesehen hat, ist es durchaus verständlich, dass Netflix sein in der Mehrzahl wohl eher seichte Unterhaltung bevorzugendes Publikum gar nicht dazu verleiten möchte, dieses Werk eventuell aus Versehen anzuklicken.
Das macht bereits der visuell bestechende Anfang von "Blonde" klar, der dem Horrorgenre näher steht als einem handelsüblichen Biopic. Beim Thema Biopic sollte man dann auch direkt anmerken, dass dies hier eindeutig ein fiktionales Werk ist, das natürlich wichtige Eckdaten aus Monroes Leben behandelt, aber sehr frei damit umgeht und in einigen Szenen auch deutlich ins Spekulative abdriftet, was so bereits in der literarischen Vorlage von Joyce Carol Oates verankert war. Da der Film allerdings selbst schon früh die Möglichkeit einer psychischen Erkrankung seiner Hauptfigur ins Spiel bringt und zeitweise deutlich ins Surreale abdriftet, lässt er auch die Lesart zu, dass sich besagte Szenen auch nur in ihrer Vorstellung abspielen.
Trailer zu Blond
Der Film versteht sich in erster Linie als eine empathische Annäherung an die Person hinter der Kunstfigur. Man kann Dominik sicher vorwerfen, dass er sich dabei zu sehr auf das Leiden von Norma Jeane versteift und ihre aktiven Versuche, aus den einengenden Strukturen auszubrechen - etwa die Gründung ihres eigenen Produktionsstudios - nicht thematisiert. So wirkt Norma Jeane hier zumeist wie das passive Opfer, das von ihrem Umfeld stetig in Richtung Abgrund getrieben wird.
Diesen Abwärtsstrudel inszeniert er gleichwohl herausragend. Der Film wechselt immer wieder von Schwarzweiß zu Farbe und ändert das Seitenverhältnis, womit er den inneren Zustand der Hauptfigur mitteilt. Fühlt sie sich in der Ehe mit Joe DiMaggio durch dessen Eifersucht eingeengt, wechselt der Film von Cinemascope zum 4:3-Format; wenn es zu Beginn der Ehe mit Arthur Miller scheint, als würde sich doch noch alles zum Guten wenden, taucht Dominik diese Momente des Glücks in lichtdurchflutete Bilder, die in starkem Kontrast zum restlichen Film stehen. Auch die Filmszenen werden nicht nur pflichtschuldig nachgestellt, sondern elegant mit der Handlung verwoben; besonders gelungen ist die Überblendung von einer Sexszene zur Aufführung von "Niagara".
Dominik zieht inszenatorisch sämtliche Register und schießt mit einigen Ideen auch über das Ziel hinaus (sprechender Fötus), aber es gelingt ihm hervorragend, eine unbehagliche und verstörende Atmosphäre zu kreieren, die weite Teile des Films durchzieht. Dazu tragen auch der ätherische Score von Nick Cave und Warren Ellis sowie das Sounddesign, das selbst aus dem Explodieren von Blitzlichtbirnen der Fotografen eine Bedrohlichkeit evoziert, bei. Als problematisch erweisen sich die sprunghafte Erzählung und der fehlende narrative Fokus, die zwar gewollt sein dürften, aber bisweilen dafür sorgen, dass manche Szene in der Luft hängt. Dass der Film dennoch funktioniert, verdankt er der hervorragenden Performance von Ana De Armas. Sie stellt die ikonischen Szenen von Marilyn Monroe perfekt nach, überzeugt insbesondere aber durch die immer durchscheinende Verletzlichkeit ihrer Figur.
Thematisch wird die voyeuristische Ausbeutung, der sich Monroe zeitlebens ausgeliefert sah, deutlich herausgearbeitet, besonders beispielhaft an ihrer wohl ikonischsten Szene über dem U-Bahnschacht in "Das verflixte 7. Jahr", deren Begleitumstände hier regelrecht unangenehm in Szene gesetzt werden. Wüsste man nicht, dass Dominik bereits seit zehn Jahren an der Umsetzung dieses Projekts gearbeitet hat, könnte man den Film glatt als Produkt von #metoo ansehen, da er einige der dadurch angestoßenen Aspekte aufgreift. Dabei kommen nur die wenigsten Personen, von denen zwar kaum eine namentlich adressiert wird, die sich aber dennoch eindeutig ihren realen Vorbildern zuordnen lassen, positiv weg, wobei Dominik auch vor großen Namen wie Darryl F. Zanuck, Billy Wilder und ja, auch JFK, nicht Halt macht.
Abschließend noch ein Wort zum NC-17-Rating. Das hat ehrlich gesprochen keine Berechtigung, denn da hat man in Filmen mit R-Rating sicherlich schon Expliziteres gesehen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es bei der Entscheidung nicht in erster Linie um das ging, was dargestellt wird, sondern welche historische Figur in besagte Szenen involviert ist. Wer sich aufgrund des Ratings also einen Porno mit Ana De Armas versprochen hat, sollte die fast drei Stunden lieber anderweitig nutzen.
Fazit
"Blonde" ist ein unstrukturiertes Monstrum eines Films, das eher einen Eindruck des Innenlebens von Norma Jeane vermitteln möchte, als dass es eine Geschichte im konventionellen Sinn erzählt. Inszenatorisch und schauspielerisch neben "Elvis" bislang das Highlight des Jahres.