Diese Kritik enthält SPOILER
"I view Oppenheimer as the most important person who ever lived."
Trailer zu Oppenheimer
Diese ob ihrer Einfalt entlarvende Aussage lässt zwei Schlüsse zu: Möglichkeit 1: Sie stammt von einer Person mit einem sehr eingeschränkten Horizont. Möglichkeit 2: Die Person weiß, wie unsinnig diese Aussage ist und tätigt sie lediglich, um ihren anstehenden Film zu promoten.
Der vorliegende Film legt nun allerdings nahe, dass Nolan diesen Satz absolut ernst gemeint hat und somit Möglichkeit 1 zutreffend ist. Oppenheimer ist für Nolan das größte Genie und die Bewunderung für ihn ist in jeder Szene spürbar. Da werden die zeitgenössischen Physiker, die in Fachkreisen allesamt mehr Anerkennung genießen (Link), als Oppy-Fanboys gezeigt, die dessen genialen Gedanken kaum folgen können, sei es Einstein, der von der Entwicklung abgehängte, tatterige Greis, oder Bohr, der von Oppenheimer darüber aufgeklärt werden muss, was aus dem Inhalt seines Gesprächs mit Heisenberg für das deutsche Nuklearprogramm gefolgert werden kann. Die größte Demütigung erfährt indes Heisenberg selbst, indem Nolan ihn von Matthias Schweighöfer darstellen lässt.
Das alles mag für Wissenschaftspuristen ärgerlich sein, ist aber natürlich kein Genickbruch für einen fiktiven Film (Hand aufs Herz, den Absatz hab ich hauptsächlich eingefügt, um einen Schweighöfer-Diss unterzubringen^^). Schwerwiegender ist da die moralische Absolution, die Nolan dem Objekt seiner Verehrung zuteil werden lässt.
Das fängt schon mit der Struktur des Films an. Nolan ergänzt die Haupthandlung durch einen zweiten Erzählstrang um den Politiker Lewis Strauss und dessen anstehende Vereidigung als Kabinettsmitglied unter Eisenhower. Strauss wird hier - von Downey jr. exzellent als kleingeistiger, selbstbezogener Wicht verkörpert - als klassischer Antagonist des Films etabliert, der bei allen Verfehlungen, die sich Oppenheimer im Laufe des Films auch leisten mag, ganz klar die verachtenswerteste Figur bleibt. Spätestens wenn die Anhörung über Oppenheimers Sicherheitsfreigabe, die das Kernstück der Erzählung bildet, als gemeine Intrige des Bösewichts entlarvt wird, liegen die Sympathien des Publikums eindeutig bei Oppenheimer, der sich einem unbegründeten und unfairen Prozess ausgesetzt sieht.
Der Film endet dann mit dem doppelten Triumph Oppenheimers, der indirekt dafür verantwortlich ist, dass Strauss in der Senatsabstimmung scheitert, während er selbst im Weißen Haus durch die Verleihung des Enrico-Fermi-Preises rehabilitiert wird. Wie konstruiert dieses Ende und die Einflechtung des kompletten Strauss-Plots in den Film sind, wird deutlich, wenn man dies mit den historischen Fakten abgleicht. Anders als dargestellt hat die Beziehung zu Oppenheimer in der Strauss-Anhörung in Wirklichkeit eine unbedeutende Rolle gespielt, dieser ist vielmehr hauptsächlich über eigene Falschaussagen und politische Ränkespiele gestolpert. Es stellt sich somit die Frage, wieso Nolan ein mit Oppenheimer kaum zusammenhängendes Ereignis zu einem derart großen Bestandteil seines Films gemacht hat und es liegt nahe, dass er eben unbedingt einen Antagonisten in die Story quetschen wollte, der die Sympathien auf Oppenheimers Seite ziehen soll.
Als Grundlage für sein Drehbuch beruft sich Nolan auf die Biografie "American Prometheus". Ich habe das Buch nicht gelesen und kann daher nicht beurteilen, ob es so nachsichtig mit Oppenheimer ist wie der Film suggeriert oder Nolan den Inhalt hier verfälscht wiedergibt.
Zieht man andere Quellen wie "Heller als tausend Sonnen" von Robert Jungk zu Rate wird jedoch klar, wieso es ein Problem ist, Oppenheimer in einem derart positiven Licht zu zeigen:
"Im Lichte der Jungkschen Untersuchung erscheint Oppenheimer als geltungsbedürftiger Ehrgeizling, der die Atombombe baut, um seine schwindende Potenz als Wissenschaftler zu kompensieren und um sich auf diese Weise eine Position in der Rangliste der großen Atomforscher zu sichern." (Link)
Der Film wiederum präsentiert als Oppenheimers Hauptantrieb wiederholt seine angebliche Ansicht, dass man unbedingt den Nazis mit dem Bau einer solchen Waffe zuvorkommen müsse. Eine Motivation, die durch eine von Oppenheimer höchstpersönlich im Jahr 1965 getätigte Aussage widerlegt werden kann:
"I was more worried about the campaign in Africa and the campaign in Russia when I went to New Mexico than I was about the Germans making a bomb. I thought they might very well be winning the war." (Link)
Ob die beiden Atombombenabwürfe Oppenheimer tatsächlich so sehr verfolgt haben wie der Film suggeriert, darf ebenfalls in Zweifel gezogen werden, da Oppenheimer den Ruhm als "Vater der Atombombe" sichtlich genoss:
"Eine seiner Sekretärinnen war viele Stunden damit beschäftigt, jede Nachricht, jeden Artikel, jede Karikatur, jedes Photo über ihren Chef in Ausschnitt-Büchern zu sammeln und zu ordnen. Der Ruhm war eine schöne Sache, und Oppenheimer, so asketisch er auch mit seinem mageren, fast kantig gewordenen Gesicht wirkte, genoß ihn sichtlich." (Link)
Er drohte dem Schriftsteller Heinar Kipphardt mit einer Klage, weil er in dessen Stück "In der Sache J. Robert Oppenheimer" fälschlicherweise als tragische Figur, die ihre Taten bereue, dargestellt wird (also ähnlich wie in Nolans Film!):
"Bereut hat Oppenheimer seine Rolle bei der Entwicklung der Atombombe entgegen weitverbreiteten Annahmen nie. Im Gegenteil: In den 1960er-Jahren drohte er sogar mit gerichtlichen Schritten gegen den deutschen Schriftsteller Heinar Kipphardt, weil ihn dieser in einem Stück als tragischen Helden skizzierte, der mit den Folgen seiner Arbeit haderte." (Link)
Nun ist es nicht so als würde Nolans Werk negative Punkte vollständig ausblenden. Die Art und Weise ihrer Einbettung in den Filmkontext lässt sie jedoch in der Fülle an Fakten und Figuren untergehen. So ist der Zuschauer beispielsweise gerade noch dabei die stakkatoartig eingeworfene Information aufzunehmen, dass Oppenheimer den US-Militärs haarklein erklärt hat, in welcher Höhe die Bombe optimalerweise detonieren sollte, damit sie die größte Anzahl an Menschenleben fordert, wird aber direkt wieder in die nächste, damit nicht zusammenhängende Szene geworfen, so dass die Information umgehend wieder verfliegt. Die unnötig verwirrende Erzählstruktur, der wilde Schnitt und der manchmal Dialoge übertönende Score können als bewusst eingesetzte Stilmittel gesehen werden, um solche hastig eingeworfenen Informationsbrocken teilweise zu verschleiern.
Fast alle problematischen Aspekte der Person werden als kurze Anekdoten abgehandelt, während der ungerechten Anhörung, die Oppenheimer als Opfer stilisiert, sehr viel Raum eingeräumt wird. Diese Gewichtung der einzelnen Punkte sorgt für einen unausgewogenen Eindruck und einen üblen Beigeschmack.
Da passt es ins Bild, wie eindeutig negativ hier zwei andere historische Figuren wegkommen. So gibt Gary Oldman in einem darstellerischen Karriere-Tiefpunkt eine Truman-Karikatur, während Benny Safdie seinen Edward Teller durch und durch unsympathisch anlegt.
FAZIT
Nolan erliegt seiner Faszination für den von ihm bewunderten Wissenschaftler und setzt dementsprechend in seiner Erzählung die falschen Schwerpunkte. Wenn die größte Tragik in einem Film über Oppenheimer darin besteht, dass diesem die Sicherheitsfreigabe entzogen wurde, ist etwas schief gelaufen.