Bewertung: 4 / 5
Wenn man Tage oder Wochen später noch an einen Film denkt. Wenn kurze Erinnerungen aufblitzen, Momentaufnahmen, und man sich an bestimmte Szenen oder Personen erinnert. So ging es uns kurz nach dem Besuch von Brimstone, obwohl oder vielleicht sogar gerade weil er wenig überraschend die Kritiker- und Zuschauergemeinde gespalten hat. Ein langer dramatischer Westernritt mit einer tollen Dakota Fanning und einem hassenswerten Guy Pearce fasziniert auf weiter Strecke, so man die unbestritten brutalen Szenen übersteht beziehungsweise das ganze Werk von Regisseur Martin Koolhoven auf sich wirken lässt, ohne jede Regieentscheidung zu hinterfragen.
Brimstone Kritik
Liz (Fanning), eine stumme junge Frau, ist auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit. In der Ehe mit dem Witwer Eli (William Houston) sucht sie Geborgenheit, Sicherheit, Vergessen, und als Hebamme im Dorf genießt sie Vertrauen. Eines Tages lässt sich ein Reverend (Pearce) in dem kleinen Ort nieder und all das Böse aus Liz´ Vergangenheit holt sie mit einem Schlag wieder ein: Auf der Flucht vor diesem Mann, der sie erniedrigen will, geht Liz an ihre Grenzen und muss erkennen, dass die Zeit des Versteckens vorbei ist...
Trailer zu Brimstone
Beim Schauen von Brimstone ("Schwefel") wird man unweigerlich an seine Grenzen geführt. Auf der einen Seite der unermessliche psychologische Druck, dem sich Liz aussetzen muss, auf der anderen Seite die ungeschönte Darstellung und brutalen Szenen, die in den USA ein R-Rating nach sich zogen. Brimstone ist tatsächlich äußerst gewalttätig und zudem verschreckend ob der bigotten Weltsicht des Reverends, der sich partout nicht abschütteln lässt. Guy Pearce bringt die kranke Raserei des Mannes derart grauenvoll auf den Punkt, dessen ganzes Gebaren auf religiösem Fundamentalismus beruht und umso hassenswerter ist.
Überhaupt ist die Darstellung der mitunter wirklich gravierenden Todesarten und Kämpfe nichts für Zartbesaitete, doch gerade diese Konsequenz macht Brimstone zu einem kraftvollen Leidensepos, das nichts beschönigt. Auch die interessante Inszenierung mit zeitlichen Sprüngen und Kapiteln lässt das 148 Minuten lange Werk greifbar werden. Die gewählte Endszene ist dabei in Ordnung, jedoch hätte dem Film noch etwas mehr Dramatik verliehen werden können, wenn der Cut ein paar Minuten früher geschehen wäre - etwas, was auch bei Der Herr der Ringe - Die Rückkehr des Königs gern diskutiert wird.
Auf der anderen Seite gefiel uns das Werk gerade deswegen, weil es wirklich Menschen in Ausnahmesituationen zeigt und demgegenüber Menschen, die ausnahmslos barbarisch vorgehen. Für viele zu sadistisch und auch zu lang, mag man die Herangehensweise von Regisseur Martin Koolhoven kritisieren, doch es gab und gibt solche Ungetüme wie den Reverend, warum also beschönigen, was real ist? Brimstone erinnert in seiner unfassbaren Rohheit und eben auch Unabsehbarkeit an Romane wie "Wolfsruf" (Somtow) oder "Das Lied von Eis und Feuer" (Martin), wo ebenfalls nichts und niemand sicher ist, die gerade deswegen so nachklingen und Eindruck hinterlassen. So manche negative Stimme fokussiert sich auch stark auf die Unterdrückung der Frau im Film und übersieht dabei, dass es sich bei Liz um eine absolut starke Persönlichkeit handelt. Fanning spielt schüchtern, neckisch, verzweifelt, kraftvoll, ergriffen ... und ist damit als Gegenpol zu Pearce in seiner Unmenschlichkeit eine der beiden Säulen des Films. Er ist der Inbegriff der Bigotterie und ein Symbol dafür, was bei so manchen Religiösen falsch läuft, wenn die Auslegung von Versen nach persönlichem Gutdünken zu Besessenheit führt.
Das Leben schuldet einem nichts, bloß weil man nett ist oder ehrfürchtig - und das beweist Brimstone mit erschreckender Deutlichkeit. Das Leben ist wahrlich kein Ponyhof und Menschen stehen auf gruselige Erzählungen: Das Alte Testament ist ein einziger Horrortrip, man denke nur an Abel, Lots Töchter oder Isaak (der grade noch mal Glück hatte) - warum also aufregen, wenn in Filmen Unaussprechliches thematisiert und eben nicht weggeblendet wird? Polarisierende Werke wie Brimstone mögen einen gewissen animalischen Voyeurismus befriedigen, aber sie erzählen auch eine Geschichte, eine Geschichte über Leid, Verlust und absoluten Kampfwillen, die einen am Ende ergriffen zurücklassen.