Bewertung: 4 / 5
"Bleibt entspannt", meint die Stimme aus dem Radio. "Was soll euch in einer Stadt passieren, die bereits 46 Mal zerstört wurde?" Ja, was wohl? Damit, dass eine junge Frau mit gebrochener Nase auf der befahrendsten Brücke Belgrads aus einem Taxi heraus- und in die reißende Save hinunterspringt, rechnet ja keiner. Drei Menschen werden Zeuge dieser spontanen Verzweiflungstat, die zum Wendepunkt in ihren eigenen Geschichten werden soll - und zur Ausgangsbasis der festivalerprobten Tragikomödie Belgrad Radio Taxi.
Der Schock sitzt noch in seinen Knochen, als Gavrilo (Nebojsa Glogovac) zurück in sein Taxi steigt. Und er wird noch größer, als er den Säugling auf seinem Rücksitz bemerkt. Während der Vater wider Willen beginnt, die Krankenhäuser nach der womöglich verletzten Mutter des Mädchens abzuklappern, bittet die eine Unfallzeugin die andere, sie ein Stück mitzunehmen. Anica (Anica Dobra), so erfährt man bald, trauert um ihren kleinen Sohn, der vor vier Jahren überfahren wurde, Biljana (Branka Katic) hingegen hat den Tod ihrer Jugendliebe noch immer nicht überwunden.
In kurzen Episoden verfolgt Regisseur und Autor Srdjan Koljevic die Wege seiner drei Hauptfiguren. Hin und wieder kreuzen sie sich, meist, ohne dass es die Protagonisten bewusst begegnen. Gern wählt Koljevic jene Berührungspunkte, um kurz von der einen Figur abzulassen, um sich ein paar Minuten an die Fersen der anderen zu heften. Ein weiteres Bindeglied stellt der Radiosender dar, den alle drei Hauptfiguren hören: Ein Kanal, der keine Zukunft hat, dafür aber einen Moderator, der mit lakonischen Bemerkungen die Grundstimmung des Films greifbar macht.
Obwohl er all seine Hauptfiguren mit einer traumatischen Vergangenheit ausstattete, betrachtet Koljevic sie bei ihrem Tun in der Gegenwart mit erstaunlich nüchternem Blick. Die großen Gefühlsausbrüche, die Tränen und die Schreie, die von Figuren mit ähnlichem Hintergrund normalerweise zu erwarten sind, bleiben aus. Gut möglich, dass sie diese Phase durchlebten, früher, als der Schmerz noch frisch war. Doch in diesem Moment, in dem das Publikum Gavrilo, Anica und Biljana begegnet, leben sie einfach ihr Leben weiter. Selbstverständlich schwingt immer eine gewisse Melancholie mit. Doch die gehört zu den Charakteren genau so, wie sie zu den Balkan-Pop-Oldies gehört, die aus dem Radio schallen.
So wirken die Figuren trotz des konstruierten Plots stets zugänglich und realitätsnah. Und genau das erhält das Interesse an ihnen auch über kleine Längen und Unzulänglichkeiten hinweg aufrecht. Natürlich steht ganz außer Frage, dass der grummelnde Taxifahrer das Baby bald ins Herz schließt: Was soll schon mit einer Story passieren, die sicherlich schon mehr als 46 Mal verfilmt wurde? Ganz einfach: Sie könnte plötzlich ein klein wenig glaubwürdiger klingen.
Belgrad Radio Taxi bekommt 4 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Annekatrin Liebisch)
