Bewertung: 4 / 5
"Blonde" ist der kontroverseste Film des Jahres 2022 - aber eben auch mit der beste. Eine albtraumhafte Dekonstruktion Hollywoods, die sich explizit typischer Konventionen eines Biopics verwehrt. Ja, "Blonde" versteht das Aufarbeiten einer historischen Person als künstlerisches Inszenieren, statt bloß geschichtliche Eckdaten wiederzugeben.
Und so scheut sich das Werk nicht davor, das Gezeigte von der Überlieferung abweichen zu lassen - mehr noch, es vertraut auf die Mündigkeit der Zuschauenden, seine Zeichen zu deuten. Denn jene Szenen des Filmes, die den historischen Tatsachen entsprechen, sind in schwarzweiß gehalten; und die es nicht tun, sind bunt. Die Assoziation ist klar: Schwarzweißaufnahmen tragen intuitiv eine Verbindung zu vergangenen Zeiten in sich, erinnern an geschichtlich überlieferte Bilder. Verwendet der Film hingegen Farben, so entrückt allein dieser Kontrast vom historischen Kontext und weckt ergänzend eine Verknüpfung zur Fantasie der Zuschauenden. Zur Grenzenlosigkeit unserer Vorstellung, die eben nicht auf dunkel und hell limitiert ist - wie sich "Blonde" auch nicht dem zweifelhaften Anspruch historischer Korrektheit unterwirft.
Viel mehr verwendet Andrew Dominik das Leben der Marilyn Monroe, inklusive der Gerüchte um sie, um dem verklärten Bild der Stars und Sternchen Hollywoods den Glanz zu rauben. Mal abstrakt, mal plakativ, mal von erschreckender Eleganz. Der Film drückt den Finger in eine mit Tabus belegte Wunde, die da heißt, verehrte Vorbilder zu hinterfragen. Zu akzeptieren, dass ihre Umstände keineswegs begehrenswert waren. Denn auch Berühmtheiten sind Opfer eines verkommenen Systems und eben doch nicht vollständig unschuldig, haben ihre hässlichen Seiten und dennoch eine ganz eigene Ästhetik.
Eine Ästhetik, der "Blonde" einen Großteil seiner Laufzeit widmet. Die das Werk symbolträchtig mit seiner Protagonistin verknüpft, wenn die Blitzlichter von Kameras das Schwarzweißbild fluten und Zuschauende, im Takt ätherischer Klavierklänge, nicht minder als Monroe selbst blenden. Wenn sich Sexszenen in Abstraktion verlieren, mehr porträtiertes Gefühl als das Abfilmen eines Aktes sind. Und ihr Höhepunkt allein über die Bildsprache - das Auflösen der Szenerie in einen Wasserfall - formuliert wird.
So fängt bereits die Inszenierung immer wieder die Emotionen Monroes ein. All das Visuelle widmet sich ihrer Person: Fühlt sie sich eingeschränkt, ist das Bild schmal, oft nur in 4 zu 3. Spricht ihre Mutter darüber, dass Monroe in einer kleinen Schublade schlafen musste, komprimiert sich das Gezeigte sogar bis ins 1 zu 1-Format. Hingegen füllt das Bild den gesamten Bildschirm, sobald sich die Figur frei und froh fühlt, sobald Hoffnung in ihrem Herzen keimt. Nahezu nie lässt die Kamera Monroe aus den Augen, nur manchmal verliert sie den Fokus, wenn die Schauspielerin unter Drogen steht. Erneut, um sinnbildlich ihre Situation aufzugreifen. Sucht sie hektisch nach einem Geldschein, begleitet sie eine wackelige Handkamera, hat sie ihr Ziel erreicht, steht das Bild still. Es ist der formvollendete Rahmen für Ana De Armas überzogenes Schauspiel, das insbesondere die abstrakten Szenen des Filmes perfekt ergänzt. Schließlich sollte "Blonde" nie eine Dokumentation von Monroes Leben sein.
Trailer zu Blond
Und dennoch vermittelt der Film eine Charakternähe, an der konventionelle Biopics reihenweise scheitern. Eben weil Andrew Dominik seine Prioritäten der Kunst zu widmen wusste - ungeachtet all der Beschwerden, die der Regisseur wahrscheinlich selbst prophezeit hatte. Denn auch wenn "Blonde" reihenweise Skandale auslöste, zählt er mit Leichtigkeit zu den besten Filmen aus 2022.
8 von 10 Enten.