
Bewertung: 0.5 / 5
Spoiler- & Contentwarnung:
Slurs, Gewalt, Folter, Tod
Die Grenze der Satire:
"Deadpool"
Eine (entnervte) Analyse.
Trailer zu Deadpool
Die Mängel moderner Superheldenfilme zeigen sich vor allem in den Werken, die verzweifelt darauf hoffen, ihnen überlegen zu sein. Denn klar: Vom Wunsch allein wird nichts, und wer so viel Kraft dem Wünschen opfert, hat keine Kapazitäten, das Ergebnis zu erkämpfen. Doch wenn das Problem all der Fließbandware maßgeblich in der Inszenierung liegt, rettet Heucheln nicht vor denselben Fehlern. Kein Shot wird schöner dadurch, sich nicht so ernst zu nehmen, kein Witz besser davon, um jeden Preis besonders sein zu wollen. Ob mittels Metahumor oder übertriebener Anstößigkeit, weder "The Boys" noch "Deadpool" sind weit von dem Einheitsbrei entfernt, den sie zu parodieren meinen. Und gerade letzterer erscheint darin so unangenehm offensichtlich, so selbstgefällig, dass er einen Großteil des MCU qualitativ locker unterbietet.
Zwar ist Satire, wie jede Kunstform, niemals mehr als der eigenen Schönheitsregel unterworfen, findet insofern aber auch genau darin ein inhärentes Unterscheidungsmerkmal. Insbesondere, wenn Film das Medium ihrer Präsentation sein soll: Was ansprechend gestaltet ist, überzeugt satirisch. Verleitet zum Lachen, regt zum Reflektieren an. Die Mittel dafür sind vielfältig, seien es Überzeichnung, Provokation oder Selbstreferenzialität. Und "Deadpool" erfüllt sie alle - aber nicht, ohne sich bis zur Unkenntlichkeit darin zu wälzen.
Schon der Vorspann stellt die Figuren und Producer unter verschiedenen Abwertungen und Beleidigungen vor, als wolle er gleich ankündigen, wie witzig und parodistisch der folgende Film ist. Fünf Minuten später spricht die titelgebende Figur das erste Mal in die Kamera; lacht nun bitte, denn Dääädpuhl weiß, dass er in einem Film ist. Ständig verweist er auf andere Werke, zieht über verschiedene Helden her und verschont sogar den eigenen Schauspieler nicht. Die Fiktion und Plotrelevanz einiger Figuren wird ebenso aufs Korn genommen, man ist eben Meta, sich seiner selbst bewusst.
All die Begleitumstände, aus denen "Deadpool" entstanden ist, werden somit explizit zum Teil des Werkes erhoben. Dass es gedauert hat, bis Ryan Reynolds nach dem zu Unrecht verhassten "X-Men Origins: Wolverine" seinen eigenen Film bekam, dass das Budget gering und die Erwartungen noch niedriger waren. "Deadpool" steht kontinuierlich im Dialog mit sich selbst: Bis es noch die letzten Zuschauenden verstanden haben, wiederholt er, in einem Umfeld von Superhelden bloß keiner zu sein. Auch im Angesicht seiner neuen Kräfte nicht, schließlich war Wade Wilson schon in den Comics eher Antiheld und Parodie oder so. Im Finale darf Dääädpuhl das dann noch einmal demonstrieren, indem er während Colossus pathetischer Rede, was es ausmache, ein Held zu sein, einfach seinen Erzfeind erschießt und selbstverständlich sofort den nächsten Joke daraus dreht.
Sogar der letzte Shot wird von den immerwährenden Metakommentaren entweiht, mit einem erneuten Fazit über das Heldentum, weil Klischees zu porträtieren der Parodie scheinbar nicht genug ist und sie deswegen um jeden Preis verbalisiert werden müssen. Stattdessen wird nach Rückblenden vorgespult, wird die Kamera von Kills weggeschoben und all das stolz vor den Zuschauenden ausgebreitet. "Fourth-wall break inside a fourth-wall break. Thats like sixteen walls", tönt der Film - und fasst die eigene Trivialität darin perfekt zusammen.
Nur Selbstzweck bleibt von all den Metaebenen, die "Deadpool" eröffnen möchte. Und würde man sich dafür nicht als unfassbar intelligent verkaufen, wäre das auch kein Problem, schließlich ist Kunst an sich ebenfalls reiner Selbstzweck. Doch wie bei Satire liegt in diesem kleinsten gemeinsamen Nenner auch die Vergleichbarkeit: Dääädpuhl kann zwar die vierte Wand brechen, weiß damit aber nichts auszudrücken. Anders als beispielsweise "Funny Games", der unter anderem mittels Zurückspulen reale und fiktive Gewalt voneinander abgrenzt, oder "The Wolf of Wall Street", der mit dem Verweis auf Martin Scorseses Mafiaepen die Zuschauenden zu Mittragenden und seine Protagonisten zu Verbrechern erklärt. Nicht wie er mit der Leinwand interagiert, sondern bloß dass es geschieht, ist für "Deadpool" von Besonderheit. Der Film bleibt damit genau vor dem Schritt stehen, welcher ihn interessant machen könnte, feiert sich in seiner selbstverliebten Banalität aber dennoch dafür.
Eine Arroganz, die man sich nicht leisten kann. Denn alles in "Deadpool" ist aufgesetzt, und nur das unterscheidet ihn vom MCU: Dass er es als cleveren Joke verkauft, genauso plump, genauso hässlich, genauso schlecht inszeniert zu sein. Dabei ist der Schein doch die einzige Abgrenzung, wenn gefühlt jedes zweite Wort ein Fluch ist, alles auf eine sexuelle Anspielung hinausläuft, Figuren sich in missbräuchlichen Hintergrundgeschichten übertrumpfen wollen, Drogen nehmen und Nihilsmus preisen, bis auch jeder das R-Rating verstanden hat. Man glaubt damit, ein parodistisches Element zu adeln, versteckt damit jedoch nur, dass man mit R-Rating darüber hinaus nichts anfangen kann.
Sexszenen, die als Tabubruch und Provokation gedacht sind, offenbaren sich schnell als nur allzu gefällig gestaltet, wenn Brüste und Genitalien aufs Genaueste verdeckt werden, während man doch den Ruf aufbauen möchte, grenzüberschreitend zu sein. Selbst die Folterszenen kaschieren ihre Gewalt, wenngleich sie darin überraschend kompetent agieren: Weiche Übergänge schwächen eine Montage von Misshandlungen ab, ergänzt von Kontrasten in der Musik. Nur um direkt im Anschluss von einer drückenden Bodyhorrorszene gebrochen zu werden. Zumindest, bis ihr das nächste Voiceover die Kraft raubt, weil man sich ja bloß nicht zu ernst nehmen möchte.
Der emotionale Moment im Finale wird von leeren Zeichentrickfiguren über Dääädpuhls Geliebter beschmutzt, der Love-Song zum Schluss natürlich mehrfach angekündigt und gememet. Sogar die typische Post-Credit-Scene wird mitgenommen, aber selbstverständlich nur als Joke. Denn indem man ständig das Offensichtliche artikuliert, ist man ja so anders als sonstige Marvelfilme.
Aber nein, das ist man nicht. Spätestens dann nicht mehr, wenn sich "Deadpool" in deepen Charakterszenen plötzlich doch viel zu ernst nimmt, wenn man dringend Handlung, Drama und Payoff braucht. Ein rührseliger Höhepunkt, so für das große Gefühl. Und Action, blutig, so wegen cleverer Parodie. Menschen als Kanonenfutter rechtfertigen, sie dann in Zeitlupe abschlachten. Gern auch drei auf einmal, mit demselben Schuss und nicht ohne sich zu würdigen. Jede Idee, die formal interessant sein könnte - zum Beispiel ein Shot auf ein Loch in Dääädpuhls Arm, durch das, nach Verlagerung der Tiefenunschärfe, ein sich näherndes Motorrad zu erkennen ist -, steht einzig und allein im Zeichen von "Deadpools" Anstößigkeit.
Der Rest ist verwackelt und zerschnitten, grau, farblos und scheitert am Centerframing. Mal unterbrochen von einer CGI-Explosion in Zeitlupe, könnte die spätere Materialschlacht auf einem zerfallenden Schiff auch direkt aus "Avengers: Age of Ultron" stammen. Wäre da nicht Ryan Reynolds, der Zuschauende mit seinen ständigen Kommentaren daran erinnert, was für eine Besonderheit sie hier stattdessen sehen. Unter subtilen Hinweisen auf beispielsweise den sexuellen Kontext des Wortes "fist", versteht sich.
Dabei ist das doch gerade die Schwachstelle hinter den üblichen Effektgewittern von Marvel: Dass sie in ihrer austauschbaren Ästhetik und der andauernden Selbstironie, den ewigen Onelinern, keinerlei inszenatorischen Druck aufbauen können. Aber dennoch einen Großteil des Filmes ausmachen, dennoch einziges Mittel der Konfliktlösung sind, dennoch mit Bedeutung vollgestopft werden. Während das Wortspiel mit Dääädpuhls Namen ("knock em dead, pool boy") kurz davor noch einmal betont hat, was für ein Witz doch alles ist.
Die wenigen Motive, denen künstlerische Kohärenz gewährt wird, wirken darin wie verloren. Ein Zirkelschluss mit Wades Bild in der Bar, die Herkunft seines Mutanten-Namens als morbider Witz zwischen den Figuren. Überfordert Dääädpuhl das Anstarren auf der Straße ob seiner Gestalt, spiegeln das schneller werdende Schwenks mit fließenden Übergängen. Auch der Kommentar, dass ihm rot stünde - bis das im Angesicht seines Kostüms mehrfach breitgetreten wird. "Deadpool" ist eben Kino, das im Bemühen um Selbstironie weder sein Publikum noch das Medium ernst nimmt, das Kunst und Gestaltung sogar so weit verachtet, als dass es sie auf ein Mittel zum Zweck reduziert. Um mit dem Versuch, dem Durchschnittspublikum vor den Kopf zu stoßen, bloß niemandem vor den Kopf zu stoßen. Kalkulierter kann ein Film, können Parodie und Satire nicht sein.
1 von 10 Enten.
