
Bewertung: 4 / 5
Spoiler- & Contentwarnung:
Gewalt, Tod, Rassismus, Genozid
Die schönste Serie aller Zeiten:
"Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht - Staffel 1"
Eine (filmische) Analyse.
Trailer zu Der Herr der Ringe - Die Ringe der Macht
Man merkt es ihr an: Die erste Staffel von "Die Ringe der Macht" war die teuerste TV-Produktion aller Zeiten. Das sieht man in jedem Shot, fühlt man im Pacing der Szenen und spürt es in der bloßen Aufmachung der Serie. Es ist ein Märchen aus fernen Ländern, das im Groben zwar der Ästhetik der "Der Herr der Ringe"-Trilogie von Peter Jackson folgt, im Detail jedoch ein eigenes formales Wesen besitzt. Ein Märchen, das großteilig zwar auf den Werken von John R. R. Tolkien basiert, das Ausgangsmaterial aber hin zu einem zeitgenössischen Markt interpretiert. Eine neue alte Welt - mit alten Regeln, vertrauten Werten und neuen Leitmotiven.
Die Themen Tolkiens lassen sich leicht in "Die Ringe der Macht" ausmachen: Auch in der Serie geht es um Gut gegen Böse, um das Sehnen nach einem rechtmäßigen König und das Trauern um, das Besinnen auf alte Stärke und Vergänglichkeit. Es geht um tiefe, echte Freundschaft, die Berg und Tal überwindet, die das Gute, das Licht im Kampf gegen Verfall und Dunkelheit darstellt. So offenbart sich die namenlose Figur, die bildsprachlich wie narrativ zunächst als Sauron impliziert wird, in dem Moment als der Istar Gandalf, als er sich aktiv für das Gute entscheidet. Auch Galadriels Rolle definiert sich im Widerstreit gegen das Böse, über die Wunden, die es hinterlassen hat. Generations- und völkerübergreifende Traumta unter Elben und Menschen, entstanden aus der Furcht vor Krieg. Die Figuren, die Orte, die Länder; es ist eben "Der Herr der Ringe".
Aber es ist Amazons "Der Herr der Ringe", eines aus 2022. Eine dem Wortsinne entspreche Adaption: Die Anpassung eines grundlegenden Stoffes an ein neues Medium. Und als solche ergänzt sie Tolkiens Erzählungen um moderne Motive. Rassismus zum Beispiel - in "Die Ringe der Macht" gleicht die Ablehnung zwischen verschiedenen Völkern dem zeitgenössischen Diskurs um Menschenfeindlichkeit. Sogar gegenüber Orks, die im Angesicht ihrer Vaterfigur Adar gezielt vermenschlicht werden. Er bezeichnet sie als seine Kinder, kümmert sich um die Verwundeten und beschützt sie vor der Instrumentalisierung durch Sauron. Die Orks mystifizieren, verehren ihn dafür, und Galadriel, als Protagonistin der Serie, hasst ihn dafür.
Ihr immerwährender Kampf gegen das Böse stellt auch ihre Integrität infrage, wenn ihre Jagd nach Orks zu genozidalen Äußerungen führt und sie Adar als "dreckigen Ork" beschimpft, obwohl er seine Ethnie als "Uruk" definiert. Die Parallelen sind klar; auch in der Bildsprache schlagen sich die Ressentiments zwischen den Völkern nieder. Der Elb, der von weißen Menschen rassistisch angegangen wird, ist als zusätzliches Identifikationsmerkmal gezielt dunkelhäutig besetzt, und äußern sich die Elben abfallend über Menschen, schauen sie in der entsprechenden Szene auch formal auf diese hinab. Ebenso wie die schiefe Kameraperspektive Adar im Gespräch mit Galadriel an den unteren Rand des Bildes drückt, was sich nur in dem Moment kurz umkehrt, als seine Aussagen auch sie narrativ in die Ecke drängen.
Ganz bewusst bringt "Die Ringe der Macht" die Grenzen zwischen Gut und Böse ins Wanken. Galadriel ist in dieser Staffel noch lange nicht, was sie in den Filmen von Peter Jackson einmal wird - die weise, stoische Elbe, die dem Licht auch bei aller Dunkelheit und Verlockung hilft. Stattdessen verliert sie in jungen Jahren nur zu gern den Halt, wie ihr Bruder anmerkt; insbesondere über dessen Tod. Hat er ihr in der ersten Szene noch von der Finsternis im Wasser erzählt, davon, dass Boote schwimmen, weil sie nach oben schauen, und Steine versinken, weil sie nur hinabblicken, springt Galadriel in der ersten Folge schon von dem Schiff, welches sie in die unsterblichen Lande bringen soll, und ertrinkt in der nächsten Episode beinahe.
Den Worten ihres Bruders folgend, dass man die Dunkelheit erst berühren müsse, um sie zu erkennen, ist es später derselbe Fluss wie während dieses Gesprächs, an dem sich Galadriels Gefährte als Sauron zu erkennen gibt. In einem bildsprachlichen und narrativen Zirkelschluss greift das Ende der ersten Staffel Galadriels anfängliche Bedenken auf: Dass das im Wasser gespiegelte Licht genauso hell wie der Himmel leuchten würde, woraufhin sie nicht mehr wisse, wo oben und unten sei. Entsprechend dreht sich die Kamera in genannter Szene auf den Kopf und zeigt ihre Reflexion als dunkle Königin neben Sauron. Schließlich sagen ihr die Elben nicht umsonst voraus, dass sie es ist, die das Böse am Leben erhält.
Für Galadriel ist es eine Sucht. Sie muss kämpfen, nicht weil es das Richtige ist, sondern weil sie nicht aufhören kann. Ganz den Aussagen ihres Bruders entsprechend, kann sie dem endlosen Wettstreit mit der Dunkelheit, in welchem sie versinkt, nur entkommen, indem sie Sauron findet, das Böse berührt. Und doch schafft es Galadriel nicht, Sauron zu vergeben, auch wenn sie das Gegenteil predigt, auch wenn sie weiß, dass es Doppelmoral ist. Die Figur scheitert damit an ihrem innersten Konflikt, ist der Zündstoff des Brandes, den sie zu löschen versucht. Eine Antithese zur sogenannten Mary Sue, wenn Galadriels Schwäche darin liegt, immer stark sein zu wollen.
Passend dazu ist es Saurons Hand, die sie vor dem Ertrinken rettet. Wie sie ihn später vor dem Tod bewahrt, als ihn eine Lanze trifft. Denn auch Halbrand, der bewusst nebensächlich eingeführt wird, ist nicht inhärent böse, wie Galdriel selbst noch in den ersten Minuten der Staffel betont. Er sucht nach eigener Aussage schon lange nach Seelenfrieden, will von vorn anfangen und fürchtet, dahin zurückzukehren, wo er hergekommen ist. Weil er weiß, was er ist, was er getan hat, welche Vorgeschichte mit Adar und den Orks, für die er verstoßen wurde, ihn begleitet. Doch kaum glaubt er, in Númenor eine neue Heimat gefunden zu haben, zwingt ihn Galadriel zu ihrem eigenen Vorteil zurück nach Mittelerde - und hält damit das Böse in ihm am Leben, was er niemanden vergessen lassen wird.
Dabei deutet sich schon früh an, dass Halbrand deutlich mehr ist, als er zu erkennen gibt. Auf die Frage, wie er heißt, antwortet er mit "kommt darauf an", und von ihm stammt auch der Hinweis, dass das Aussehen täuschen kann. Er will Rache an Adar, welcher von sich behauptet, Sauron getötet zu haben, ist Schmied und kennt sich umfassend mit dem Bearbeiten von Erzen aus. So hilft er den Elben nicht nur, ihre drei Ringe anzufertigen, sondern bringt sie überhaupt erst auf die Idee dafür. Das Wesen Saurons als Bestimmung der Figur.
Insofern hat jeder wichtige Charakter ein wiederkehrendes Leitmotiv. Die Prophezeihung, dass die Königin Númenors in Mittelerde nur Dunkelheit erwartet, bezieht sich demnach nicht nur auf die Rückkehr des Bösen, sondern ebeso auf ihren Verlust des Augenlichts; und verknüpft Sehen darüberhinaus auch im Metaphorischen mit dem Palantír. Zeigt sie im Angesicht dessen Stärke, spiegelt das, in einer gemeinsamen Szene von vielen, während denen die Serie Emotionen erlaubt, die Schuldgefühle Galadriels und die stumme Trauer Elendils.
Dieser wiederum hat in der Bedeutung seines Namens, eben "Sternen-" und "Elbenfreund", eine übergeordnete Struktur, nach der er Galadriel aus dem Meer rettet und ihr nach Mittelerde folgt. Auch der Wiederaufgriff des Satzes, dass Hoffnung niemals müßig sei, fungiert als Zirkelschluss zwischen Elrond und dem Elbenkönig; Galadriels Dolch wird am Ende zu einer eingescholzenen Chekhovs Gun. Und wird Gandalf irrtümlich als Sauron offenbart, läuft diese Szene vor dem Intro, weil es eine falsche Fährte ist, folgend dem Leitthema seines Handlungsstrangs, nicht beziehungsweise gerade abseits des Pfades zu gehen.
Die Staffel selbst steht dem in nichts nach. Ihre Leitmotive sind Mordor und Sauron, nicht nur symbolisch, sondern auch als Bindeglied zwischen den einzelnen Narrativen. So wird das Zeichen des Bösen - horizontal ein Siegel in der Form eines Dreizacks -, dem Galadriel hinterherjagt, vertikal gesehen als die Landschaft Mordors Umgedeutet; auch das Sternenbild, dem Gandalf folgt, steht im Kontext des Schwarzen Landes. Und so zieht der Ausbruch des Schicksalsberges ebenso in anderen Handlungssträngen seine Verwüstungen nach sich.
Wie für Gandalf wird auch bei Adar impliziert, dass er Sauron sein könnte. Zuschauende befinden sich im Verlauf der Serie demnach genauso wie, also mit Galadriel auf der Suche nach ihm. Derweil zeigt sich Saurons Auge in Gandalfs erster Szene und wenn die Elben das Mithril einschmelzen - bis die Staffel mit einem tatsächlichen Shot auf das Auge Saurons schließt.
Nicht nur in den Close-Ups auf Augen zeigt sich der Einfluss von Peter Jacksons "Der Herr der Ringe"-Trilogie. Die eingeblendete Karte, die Schriftart, die Drehorte - klar im Stil der Filme. Genau wie "Der Herr der Ringe: Die Gefährten" beginnt Folge 1 von "Die Ringe der Macht" mit einem Voiceover Galadriels, welches die bisherige Geschichte der Welt (aus Perspektive der Elben) erzählt, zum Titel des Werks überleitet und anschließend von einer Szene über Hobbits (oder deren Vorfahren) abgelöst wird. Auch spiegelt eine spätere Schlachtszene, in der Halbrandt Elendil rettet, woraufhin Isildur zu ihnen stößt, die Schlacht, in der Sauron Elendil tötet und Isildur dazustößt, um seinen Vater zu rächen. Der Soundtrack, der dazu und darüber hinaus spielt, erinnert ebenso an Howard Shore - und dennoch hat alles seine individuelle Identität.
Jedes Setting hat sein spezielles Farbschema, das sich sogar durch die Kostüme zieht, jeder Handlungsstrang eine eigene Leitmelodie. Am deutlichsten zu erkennen, wenn das zuvor etablierte Besingen des Steines unter den Zwergen Teil der Filmmusik wird, auch weil Worldbuilding und Inszenierung in "Die Ringe der Macht" immer Hand in Hand gehen. Sei es, dass in einer Szene ein umgekehrter Vertigo-Shot Elronds Elbenauge verbildlicht, oder dass in einer anderen tiefrote Aufnahmen mit sich windender Kamera die Folgen eines Vulkanausbruchs illustrieren. In Actionszenen taucht die Perspektive auf dem Meer immer wieder dynamisch unter Wasser; wie der plötzliche Schnitt am Ende eines Oneshots symbolisiert, dass die herumschleichende Figur gefasst wurde. Selbst der Wert der Sonne wird mit Lensflares visuell betont, wenn sie als Unterstützung im Kampf gegen Orks fungiert.
Deren Tageslichtallergie ist somit ebenfalls ein mehrdimensionales Element, wenn die Orks abwechselnd Dienst in der Sonne leisten müssen oder zur Fortbewegung unterirdische und mit Netzen abgedunkelte Gänge graben. In Storytelling und Setgestaltung einbezogen, werden diese später sogar rekontextualisiert, sobald sie Wasser in den Schicksalsberg leiten, um ihn zur Eruption zu bringen. Die Kamera verlässt die Gräben nur dann, wenn es auch die Figuren tun, die in ihnen eingesperrt sind. Fast schon horrorfilmartig werden derweil Orks und weitere Monster dargestellt, allein bei ihrem ersten Auftritt erheben Close-Ups einen einzelnen Ork zur grausigen Bedrohung. Die Gewaltszenen sind hart und körperlich; sie erhalten ihre Intensität vor allem darüber, lang gehalten sowie geduldig und in Stille aufgebaut zu werden. Dafür braucht "Die Ringe der Macht" keine riesige Armee, die Merkmale und damit den Schrecken der verschwunden geglaubten Orks gezielt zu inszenieren, ist genug.
Ästhetisch ist die Staffel, auch in dem Sinne, äußerst durchdacht gestaltet. Farbintensive, über weite Teile perfekt komponierte Bilder kreieren einen märchenhaften Look, der von pointierten Zeitlupen unterstützt und von dem gewaltigen Budget getragen wird. Dabei werden die monumentalen Landschaftsaufnahmen vor allem über ausgefeilte Kamerafahrten offenbart und ihnen so ein explizit filmischer Charakter verliehen, der die riesigen CGI-Panoramen organisch in die Umgebung einfügt. Vom Detail zum Gesamtbild, wenn die Figuren erstmals die altehrwürdige Hauptstadt eines unbekannten Königreichs betreten, vom Gesamtbild zum Detail, wenn ein einzelner, langer Shot kranke Blätter an einem stolzen Baum enthüllt. Gekrönt von Centerframing und formvollendeter Raumaufteilung; am schönsten wohl in dem Shot vom Kampf des Balrog gegen einen Elbenkrieger, in dem sich Licht und Dunkelheit im Wettstreit um ein Heiligtum genau diagonal die Waage halten.
Schnitt und Tiefenunschärfe stehen nicht minder in Wechselwirkung mit den Entwicklungen, den Figuren von "Die Ringe der Macht". Sie unterstreichen etwa, während einer Szene, in der sich Halbrandt und Galadriel der Königin Númenors vorstellen, deren Herkunft und Bedeutung, oder stellen Celebrimbor an anderer Stelle als von dem Gedanken an Macht korrumpiert heraus. Immer wieder vertieft die Schärfenverlagerung die Positionen von Dialogpartnern, versteckt ein Wideshot subtile Ereignisse. Erblindet die Königin, während es nur ihr Nebenmann mitbekommt, sieht man das aus der Ferne, genauso leicht zu übersehen wie für die anderen Figuren. Ähnliches Spiel, wenn Halbrandt ein Gildenabzeichen klaut - Gestaltung unter Einbezug der Zuschauenden.
Da sind manche inszenatorischen Schnitzer umso ärgerlicher: Stellenweise Inkonsequenz, eine rührselige Rückblende zu Ereignissen, die erst in derselben Folge geschehen sind, oder die Enthüllung Mordors über einen langweiligen Schriftzug, obwohl das Schwarze Land doch sogar Leitmotiv der Serie ist. Auch ist wohl - nach Abzug meiner Fehlbarkeit, dass mir manche Dinge einfach entgehen - leicht zu erkennen, dass ich zu einigen Handlungssträngen deutlich mehr sagen konnte als zu anderen.
Aber vielleicht ist das auch gut so - vielleicht zielt die Geschichte um Elrond und Durin einfach nur auf das Gefühl ab. Auf die Freundschaft unter Völkern, eine die Berg und Tal überwindet, die das Gute, das Licht im Kampf gegen Verfall und Dunkelheit darstellt. Es ist eben "Der Herr der Ringe".
8 von 10 Enten.


