Bewertung: 3.5 / 5
Spoiler- und Contentwarnung:
Gewalt, Mord, Mental Health
Kunst als Beleidigung:
"Joker: Folie à Deux"
Eine (diplomatische) Analyse.
Trailer zu Joker - Folie à Deux
"Joker: Folie à Deux" ist eine Beleidigung. Ein direkter Angriff auf eure Wahrnehmung von "Joker", eine Kriegserklärung dem allgemeinen Diskurs gegenüber. Und in der Verschwendung von 200 Millionen US-Dollar auch für Warner Bros., als hätte Todd Phillips persönlich den überreichten Geldberg in Brand gesteckt. Er wollte eben keine Fortsetzung drehen, doch sie wurde ihm aufgezwungen - und der entstandene Film ist seine Revanche dafür. Die, als Metakommentar, auch genau das thematisiert.
Es ist ein Verdoppeln von "Joker". Dessen Fortsetzung ist deswegen nicht doppelt so gut - nur ein bisschen besser :3 -, spielt aber genau mit dem Motiv, ein zweiter Teil zu sein. Zwei (angebliche) Seiten des Protagonisten, zwei zentrale Figuren, die Zahl als psychologischer Terminus im Titel. Visuell reiht sich da die komplementäre Zweifarbigkeit, die den Film oft prägt und auch in Teil 1 schon Kontrastmotiv zwischen Innen und Außen, Warm und Kalt war, passend ein. Ein dualer Wettstreit aus Licht und Schatten, wenn "Joker: Folie à Deux" mit einer comichaften Animationsszene eröffnet, in der die Titelfigur mit sich selbst um das Mikrofon, die Aufmerksamkeit, die Bühne kämpft.
Es ist demnach eine Medialisierung von Joker. Schon die erste Musicalszene gibt Arthur im Gefängnis ein Publikum, jede weitere ist gezielt als Auftritt inszeniert, als Showeinlage, welche die Situation der Protagonisten reflektiert. Erst stiehlt Lee ihm die Bühne und erschießt ihn, während es im Song um das Licht geht, das auf jemanden (nicht) scheint, und die Narration schildert, dass sie sich an der Aufmerksamkeit für Arthur bedient; später dann nimmt er sich die Bühne zurück und schießt mit ihrer Waffe auf die Kamera, nachdem "Joker: Folie à Deux" seinen Vorgänger und die Gewaltfantasien darin mittels visueller Rückbezüge und Zeugenaussagen buchstäblich vor Gericht gestellt, aber eben auch explizit in den Figuren ("The Joker is me!") verortet hat. Schon davor veranlasst eine Fernsehaufnahme von Arthur, wie er singt, Lee zu einer Gewalttat - der Film widmet sich eben auch der Frage, wie die Existenz von Teil 1, den es in Teil 2 ja diegetisch gibt, gesellschaftlich wirkt und wirken könnte. Verschiedene Meinung zu dessen Qualität, Schaden für Sophie Dumond, Terror für Gary Puddles (ahahaha, Puddles), doch Arthur ist längst zum Fernsehstar aufgestiegen. Er wird interviewt und sein Gerichtsprozess live übertragen, er steht vor Kameras, vor Blitzlicht. Im Gericht, bei seinen Mithäftlingen und vor seinen radikalen Fans hat Joker auch tatsächlich ein Publikum; der ganzen Figur wird, auch vor dem Hintergrund der Reaktionen auf "Joker" in unserer Gesellschaft, eine enorme Medienwirksamkeit zugesprochen. Passend dazu handelt der Film, den Arthur und Lee im Gefängnis schauen dürfen, von Unterhaltung und Theater auf, nun ja, einer Treppe.
Es ist eben auch eine Ausschlachtung von "Joker". Ein gezieltes Resetten, gezieltes Wiederholen von den Ereignissen aus Teil 1, um dasselbe nochmal in höher, schneller und weiter erzählen zu können. Beziehungsweise nicht zu erzählen, schließlich ist das Eingeständnis, dass ungeplante Sequels nur zu gern so funktionieren, schon Motiv genug: "Joker" war auserzählt - was habt ihr erwartet? Daran zu klammern ist nicht mehr als eine diskursive Verfremdung der Figur. Die von der Fortsetzung genau darüber dar- und zur Schau gestellt wird, über die Kamera, welche sich in Dialogen nur zu gern immer weiter an Arthur annähert, umso persönlicher die Themen werden. Fast voyeuristisch passt sich die Dynamik der Aufnahmen dem Geschehen an, wenn Arthur ruht, wenn Arthur verprügelt wird. Ist er in Einzelhaft gefangen, hält der Film die Dunkelheit für einige Augenblicke, und ist damit sogar ein effektiverer Gefängnisfilm als "Die Verurteilten". Auch die Medialisierung, die Rückblenden ergänzen das Motiv des Ausschlachtens, genauso wie der Zirkelschluss zum Song über Entertainment. Gesungen auf der Joker-Treppe.
Es ist unsere Projektion: Wir können nicht loslassen, stülpen unsere Erwartungshaltungen über Arthur, über den Film. Jeder tut das, ob man nun Nähe zu den Comics erwartet, eine innovative Erweiterung der Story oder eine Leitfigur für den Wunsch nach Radikalisierung. Jede der Figuren in "Joker: Folie à Deux" tut das genauso, ob Arthur nun für seine Anwältin bloß ein unschuldiger Geisteskranker oder für die Wächter im Gefängnis ein billiger Unterhalter ist. Die radikalen Fans gibt es auch inhärent im Film, während Arthur für Lee kaum mehr als ein Ventil ist, an dem sie ihr bedeutungsloses Leben vergessen kann. Wie man Joaquin Phoenix erneut dazu angetrieben hat, in Arthur zu schlüpfen, so wird auch dieser immer wieder in verschiedene Rollen gezwungen. Lee bezeichnet den Joker als sein wahres Ich, bedeckt ihn unter Schminke, hinter Glas, sodass nur noch sein Lächeln zählt. Die Gefängniswächter wischen ihm die Schminke hingegen wieder ab und erinnern ihn daran, dass er nur Arthur sei (konsequenterweise übernimmt Lee den darauffolgenden Musicalauftritt allein), auch die Anwältin wird nicht des Betonens müde, dass er eine andere Seite zeigen solle, nicht Joker ist, nur jemand mit gespaltener Persönlichkeit. Am Anfang des Filmes redet Arthur auch gar nicht - als habe er unter all dem keine Stimme.
Es ist insofern vor allem eine Abkehr von Joker. Ein Eingeständnis, dass, wer einen Film über den titelgebenden Clown erwartet hat, stattdessen einen über Arthur Fleck erhalten hat. Auch schon bei Teil 1; und doch interessiert sich niemand für den Menschen unter all den Projektionen. Wird Arthur beim Rasieren im Gefängnis geschnitten, beachtet niemand das Blut, das ihm einen roten traurigen Mund zeichnet. Erst die Anwältin wischt es weg, nicht ohne auf ähnlich ignorante Art übergriffig zu sein. Vier bunte Schirme neben Arthur im Regen, eine Glasscheibe zwischen ihm und Lee, wenn eine Lüge die beiden auch narrativ trennt. Später sagt er zu ihr, dass er nicht mehr singen will, doch sie singt ihn einfach nieder, und als er ihr sagt, dass er ohne sie nicht leben kann, verlässt sie ihn trotzdem. Entsprechend wird er in der letzten Szene erstochen (einen dritten Teil will man nämlich definitiv nicht machen), und das alles nur, weil Arthur sein Alter Ego aufgibt. Er könne nicht mehr der sein, den die Fans sehen wollen, und er verurteilt sich, seine Verbrechen. Ergänzt von einer Rückblende, wie sich Arthur abschminkt; ja schon in der ersten Szene vereinen sich Licht und Schatten am Ende. Sogar Lee weiß, dass Joker nur eine Fantasie ist, sie ist nur der Typ von Fan, der um jeden Preis darin verweilen möchte. Andernfalls verlässt man den Saal, zeigt sich verraten und enttäuscht. Der titelgebende Clown ist nämlich schon längst bevor sich dessen Mörder in der Tiefenunschärfe das charakteristische Lächeln schnitzt zum Symbol geworden, dafür braucht es den Menschen dahinter gar nicht mehr. Nicht umsonst rennt Arthur in einer Szene vor einem militanten Fan im haargenau gleichen Outfit davon.
Es ist eben gleichzeitig eine Emanzipation von all dem. "Come on get happy" stellt, als Message an den Protagonisten, den Startpunkt der Handlung dar; Singen ein Ausdruck der Figuren, sobald sie mit Worten nicht mehr weiter wissen (ehe auch das instrumentalisiert und zur Bürde wird). Gegen die Gefängniswächter rebelliert Arthur, wenn er mit seiner Luftpistole auf sie schießt, wenn er sie vor Gericht beschimpft, gegen seine Anwältin, wenn er wider ihrer Anweisung im Interview raucht. Wie Rauch zwischen den Mündern von Lee und ihm die verbotene Brücke bildet, wenn sie sich durch die Gitterstäbe hindurch nicht berühren dürfen (wer macht das mit mir, wenn ich verhaftet werde? uwu). Bei ihrem ersten Kuss hingegen erstrahlt der Shot plötzlich in vielfältiger Farbintensität, generell wird das Color Grading wärmer, während Arthur mit Lee zusammen ist, er sich gut fühlt. Dann kann er auch als Joker auftreten, schließlich ist das für Arthur doch einfach nur ein Element persönlicher Expression, ein Kulminationspunkt (vor allem narrativ), wenn er sich endlich danach fühlt - oder sich nicht mehr anders zu helfen weiß, wie in Teil 1.
Es ist (nicht) zuletzt auch eine Spiegelung von "Joker", eine Rekontextualisierung von dessen Motiven. Die benannte Treppe zum Beispiel, die schon in Teil 1 Symbol für (Selbst-) Kontrolle war. Ermorden die Wächter hingegen Ricky, während Arthur machtlos zuhören muss, spiegelt das, wie sich Puddles in Teil 1 gefühlt hat, und wird Arthur selbst ermordet, erfährt er an der Spiegelung zum Mord an Murray seine eigene Gewalt. Es ist eben im wahrsten Sinne des Wortes Joker².
7 von 10 Enten.