Bewertung: 3.5 / 5
Der verlorene Sohn setzt sich mit dem Thema Konversionstherapie auseinander, das in einigen Ländern weiterhin Anwendung findet, darunter auch in den USA. Speziell im sogenannten Bible Belt ist es Homosexuellen mitunter unmöglich, keinem Spießrutenlauf ausgesetzt zu sein und basierend auf den Erfahrungen von Garrard Conley schuf Regisseur Joel Edgerton einen eindringlichen Film über Macht, Verbot und sexuelle Freiheit.
Der verlorene Sohn Kritik
Jared (Lucas Hedges), ein junger Mann von fast 20, erkennt, dass er homosexuell ist. Im Gespräch mit seinen Eltern, einem strenggläubigen Pfarrer (Russell Crowe) und einer ebenso religiösen Mutter (Nicole Kidman), wird ihm vorgehalten, dass sein potentieller Lebensweg nur Missachtung und religiöse Pein nach sich ziehen wird. Also entschließt sich Jared, sich einer sogenannten Konversionstherapie zu unterziehen: In einer Anstalt werden unter den aufmerksamen Augen des Leiters und Predigers Victor Sykes (Edgerton) junge Leute gefordert, sich sexuell umzuorientieren, in festem Glauben an Gott. Jared lässt die psychologische Tortur über sich ergehen, kommt aber schnell an den Punkt sich entscheiden zu müssen, ob dieser oder jener Weg Erlösung verspricht...
Trailer zu Der verlorene Sohn
Mit Der verlorene Sohn, der zweiten Regiearbeit von Joel Edgerton, ebenfalls mit ihm in einer tragenden Rolle, wird ein verstörendes Thema angesprochen, das in vielen Teilen der Welt noch zum Kanon gehört. Konversionstherapien, auch bekannt als Reparativtherapien, haben das Ziel, Menschen Homosexualität abzuerziehen, häufig aus religiösen Strömungen hervorgehend und in der Überzeugung, dass diese Neigung nur anerlernt ist. In den meisten Ländern gibt es kein gesetzliches Verbot, in den USA, wo der Film spielt, wurden bereits Verbote in einigen Bundesstaaten ausgesprochen bzw. sind geplant, so wie inzwischen auch in Deutschland.
Speziell im Bibelgürtel, von wo Garrard Conley stammt, auf dessen Memoiren der Film aufbaut, sind diese Ansichten verbreitet und so unterziehen sich Menschen aus Druck, auf Wunsch ihrer Familienangehörigen oder welchen Gründen auch immer diesen sehr obskuren "Heilverfahren", allein mit dem Ziel, wieder ein ordentliches Mitglied der (christlichen) Gesellschaft zu werden. Der verlorene Sohn zeigt auf erdrückende Weise das spezielle Schicksal eines jungen Mannes, der um die Anerkennung und Liebe seiner Familie kämpfend sich zu solch einem Verfahren entschließt. Das Thema ist in seiner Art so rückwärtsgewandt, bestimmte Ansichten und Persönlichkeiten wie Victor Sykes dermaßen angsteinflößend, so dass das Zuschauen schmerzt. Nicht nur, dass Therapien angewendet werden sollen, um etwas zu heilen, was nicht heilbar ist, ist der brennende Glaube an einen Gott, der die jungen Menschen in ihrem Sein offenbar abgrundtief hasst, ein Zeichen purer Misanthropie.
Mit Edgerton, Nicole Kidman und Russell Crowe in wichtigen Rollen profund besetzt, liegt das Herz des Films aber auf Lucas Hedges als Jared, der die Rolle vor, inmitten und nach dem Prozedere sehr einfühlsam spielt. Er taumelt zwischen Überzeugung und Widerwillen und macht die Erlebnisse von Garrard Conley greifbar, auch dem Drehbuch von Edgerton geschuldet, das Blick für Details hat. Der Film lehnt sich dabei thematisch an Vorgänger wie The Miseducation of Cameron Post an und arbeitet das konservative Dogma über Darsteller, Set und Lichtgestaltung sehr greifbar auf.
So gestaltet sich Der verlorene Sohn als eindringliches Drama, das im Jahr 2019 für viele Zuschauer sehr anachronistisch wirken dürfte und einen Einblick in eine streng gläubige, von der Abkehr von Todsünden getriebene Gesellschaft bietet. Es ist ein schwerer Film, der auch etwas zäh wirkt, aber bedauerlicherweise immer noch nötig ist.