Bewertung: 3 / 5
Sex ist das Problem. Und das laut Sigmund Freud eigentlich immer. Natürlich ist das ein sehr kleiner Nenner, auf den David Cronenberg die Theorien des Begründers der Psychoanalyse bringt. Doch das Drama Eine dunkle Begierde stellt schließlich nicht Freuds Ideen an sich in den Mittelpunkt, sondern vielmehr eine Freundschaft, die sich beim Diskutieren dieser Ideen erst entwickelte und dann daran zerbrach. Daran und am Sex, natürlich.
Kreischend, tretend und hysterisch lachend wird die 18-jährige Sabina Spielrein (Keira Knightley) 1904 in die Züricher Klinik Burghölzli eingeliefert. Ohne weitere Vorrede, ohne langen Anbahnungsprozess lässt der Regisseur den knapp 30-jährigen Arzt Carl Gustav Jung (Michael Fassbender) sofort mit der Therapie der störrischen Russin beginnen. Spasmen schütteln Knightleys gebeugten Körper, sie stottert, verzieht ihr sonst so hübsches Gesicht zu Jim-Carrey-esquen Fratzen. Seht ihr das, ihr Damen und Herren der Academy?
Auch wenn Knightley insgesamt zu bemüht wirkt, um tatsächlich für einen Oscar in Betracht gezogen zu werden, muss man anerkennen, dass ihr die Aggressivität und Wildheit, mit der sie ihre Rolle spielt, nicht zuzutrauen war. Knightleys Sabina Spielrein strahlt selbst dann noch etwas Bedrohliches aus, als Carl Gustav Jungs Gesprächstherapie nach freudschem Vorbild längst Wirkung zeigte - das Problem war natürlich sexueller Natur.
Die Entwicklungen im Fall Spielrein sind es schließlich auch, die Jung und Freud erst auf fachlicher, dann auf freundschaftlicher Ebene zusammenführen. Langsam und ehrfürchtig, aber nicht gänzlich humorlos untersucht Cronenberg die Beziehung der beiden Männer: Jung bleibt kaum eine andere Wahl, als vom bettelarmen Begründer seiner medizinischen Disziplin fasziniert zu sein. Und in Anbetracht des Charismas, das Viggo Mortensen der Figur Sigmund Freud verleiht, lässt sich das auch durchaus nachvollziehen.
Genauso greifbar wird durch das gekonnte Zusammenspiel von Bild und Schnitt bald auch Jungs wachsende Frustration mit der neuen Vaterfigur: Denn so angetan sich Freud von seinem erklärten Kronprinzen zeigt, so rigoros weigert er sich doch, die Forschung auf dem Gebiet der Psychoanalyse in eine andere als von ihm persönlich vorgeschriebene Richtung auszuweiten.
Den Anteil der fachlichen Diskussion reduzieren David Cronenberg und Drehbuchautor Christopher Hampton (Abbitte, Gefährliche Liebschaften) auf ein Minimum - und das ist auch gut so. Denn auch ohne tiefer als nötig in die Theorien Freuds und Jungs vorzudringen, erfordert Eine dunkle Begierde stets einen wachen Verstand: Den meisten Sätzen in diesem dialoglastigen Drama wohnt neben der direkten noch eine übertragende Bedeutung inne.
Genau genommen nicht nur den Sätzen. Am Beispiel des verheirateten Carl Gustav Jung exerzieren Cronenberg und Hampton geradezu beiläufig Freuds Strukturmodell der Psyche durch: Der Konflikt von Jungs Über-Ich, Ich und Es - seiner Moralvorstellungen, seines Verstandes und seiner Libido - wird lehrbuchmäßig durch äußere Reize immer weiter verschärft. Jungs innerer Kampf, den Michael Fassbender hervorragend an die Oberfläche bringt, mündet in eine tabulose Affäre mit der masochistisch veranlagten Spielrein und führt letztlich zum Bruch mit Freud.
Sie fesselt sehr, diese vielschichtige, verkopfte Einführung in die Geschichte und das Wesen der Psychoanalyse. Doch während das Hirn auf Hochtouren arbeitet, schlägt das Herz weiter im normalen Rhythmus. Denn obwohl Innerstes nach außen gekehrt wird, geheimste Gedanken offen gelegt werden, bleibt eine gewisse Distanz zu den handelnden Personen immer bestehen. Es überwiegt das Bedürfnis, die Figuren zu betrachten und auszuwerten, anstatt ihnen emotional nahezukommen, mit ihnen zu fühlen. Doch angesichts des Sadomaso-Aktes, den Jung und Spielrein auf dem Höhepunkt ihrer Affäre vollführen, ist das vielleicht auch die gesündeste Lösung.
Eine dunkle Begierde bekommt 3 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Annekatrin Liebisch)
