
Bewertung: 4 / 5
I wie Ikarus ist ein französischer Kriminalthriller aus dem Jahr 1979, bei dem Henri Verneuil Regie führte, den Film produzierte sowie das Drehbuch schrieb.
In einem fiktiven Staat wurde gerade der Präsident für eine zweite Amtszeit gewählt und nimmt an einer Siegesparade teil. Als Zuschauer werden wir Zeugen eines Attentatsversuchs auf den Präsidenten, der jedoch scheinbar misslingt. Trotzdem stirbt das Opfer plötzlich. Eine Expertenkommission kommt zu einem eindeutigen Ergebnis, doch der Generalstaatsanwalt Henri Volney ist noch nicht überzeugt und startet mit einem Team eigene Ermittlungen.
I wie Ikarus ist in vielerlei Hinsicht ein sehr interessanter Film. Als französische Produktion ist er frei von den meisten Hollywood-Klischees, zeichnet sich durch eine ruhige Bildsprache aus und ist durchaus dem Arthouse zuzuordnen. Interessant ist auch, dass sich die Ausgangssituation des Films an der Ermordung von John F. Kennedy orientiert. Das soll jedoch kein Widerspruch zur Abgrenzung von Hollywood sein.
Der Film, der Ende der 1970er Jahre gedreht wurde, atmet regelrecht die Zeit, in der er entstand. Der konsequente Stil der 70er Jahre lässt I wie Ikarus leicht futuristisch wirken, was die Geschichte eines fiktiven Staates gut untermauert. In diesem actionarmen Werk wird einerseits Ermittlungs- und Recherchearbeit thematisiert, andererseits werden auch staatliche und politische Themen angesprochen. Wie stabil ist ein Staat? Welche Einflüsse haben seine Führer und Geheimdienste?
Darüber hinaus widmet sich I wie Ikarus dem Gehorsam des Individuums. Der Höhepunkt des Films findet vermutlich im dritten Viertel statt, wenn das Milgram-Experiment auf eindrucksvolle Weise demonstriert wird. Der Film inszeniert dies so elegant, dass der Zuschauer sich selbst gleich mitgetestet fühlt. An einer Stelle dekonstruiert der Film sich selbst mit der These, dass Fiktion nur dann spannend ist, wenn sie eine realistische Grundlage hat - eine Erfolgsformel, die nicht nur für I wie Ikarus gilt.
Die Themen gesellschaftliche Stabilität und Gehorsamkeit von Anhängern lassen sich problemlos auf die Gegenwart übertragen. Deshalb ist dieser 45 Jahre alte Film auch heute noch aktuell in seinen Aussagen.
In der Hauptrolle sehen wir Yves Montand, der auf eine große Karriere im französischen und italienischen Kino zurückblicken kann. I wie Ikarus ist, sicherlich seiner Entstehungszeit geschuldet, sehr männlich dominiert; Frauen treten so gut wie gar nicht in Erscheinung. Manche Darstellungen wirken aufgrund des Alters etwas holprig, aber insgesamt fühlt sich der Film als Produkt der 1970er Jahre sehr wertig an.
Musikalisch konnte sich Ennio Morricone entfalten und komponierte eine eindringliche Melodie, die nach dem Film noch lange nachhallt.
I wie Ikarus ist starkes europäisches Kino der 1970er Jahre. Falls man die Gelegenheit hat und nicht ständig Actionszenen erwartet, sollte man sich die zwei Stunden durchaus Zeit nehmen.


