Bewertung: 4 / 5
Deutschland, im Jahre 1958. Die Zeit des Wirtschaftswunders. Der Krieg ist seit über zehn Jahren vorbei und das Land will endlich vergessen, einen Schlussstrich unter alles ziehen. Die Gräuel der Nationalsozialisten sind gespenstische Horrorgeschichten, mit denen sich niemand beschäftigen will. Doch nicht alle können vergessen. Denn in Deutschland leben die Opfer weiter. Genau so wie die Täter. Als in Frankfurt ein ehemaliger Auschwitz-Insasse in einem Lehrer seinen SS-Aufseher wiedererkennt, wendet er sich an den Journalisten Thomas Gnielka. Der verlangt von der Staatsanwaltschaft eine Untersuchung. Keiner hört ihm zu - bis auf den jungen Anwalt Johann Radmann. Und Fritz Bauer, der als Generalstaatsanwalt ein Ziel verfolgt: dass die Verbrecher der Nazizeit zur Verantwortung gezogen werden. Und dass ihre Opfer Gehör finden.
Im Jahr 1963 begannen unter Fritz Bauer in Frankfurt die Auschwitzprozesse. Mehrere hundert Zeugen wurden befragt, der Prozess war der bis dahin größte der Nachkriegsgeschichte. Giulio Ricciarellis Im Labyrinth des Schweigens erzählt von seiner Vorbereitung durch die drei Anwälte, die für Fritz Bauer arbeiteten und die in der fiktiven Person Johann Radmann zusammengefasst werden, glaubwürdig verkörpert von Alexander Fehling.
Trailer zu Im Labyrinth des Schweigens
Doch der Film erweist nicht nur den Anklägern Respekt. Er beschreibt im Detail exakt eine Zeit, in der Verdrängen und Schweigen der Wahrheit vorgezogen wurden. Die Zeit des Wirtschaftswunders und das neu aufkeimende Selbstbewusstsein eines Landes, das als Besiegter am Boden lag, überdeckte die Notwendigkeit, sich der vergangenen Verbrechen zu stellen. Dies ist die neue Perspektive, die der Film einnimmt. Er zeigt junge Menschen, denen durch die Aussagen der Opfer die Augen geöffnet werden, die ihren unschuldigen Blick verlieren und lernen müssen, mit der Schuld ihrer Vorfahren zu leben.
Ricciarelli lässt dabei die grausamen Details aus, erzählt viel über Blicke. Sequenzen, in denen Menschen still die Wahrheit erkennen, wirken dabei viel intensiver und eindrücklicher nach als es detailreiche Erläuterungen könnten. Neben Fehling überzeugen vor allem André Szymanski als mutiger Journalist Gnielka sowie Gert Voss in seiner letzten Rolle als Fritz Bauer. Der Spielfilm beruht auf einem bemerkenswert klugen Drehbuch, bei dem die Dialoge keine Sprachformeln sind, sondern die Worte den Charakteren eine Tiefe und Glaubwürdigkeit geben, die in vielen Szenen ergreifen und auch erschüttern. Durch die Konstellation der Charaktere gelingt es, ein möglichst umfassendes Ensemble an unterschiedlichen Tätern, Mitwissern und Wegschauenden zu vereinen.
Im Labyrinth des Schweigens berührt, wühlt auf und ist trotz seiner historischen Bezüge in seinen Fragestellungen erstaunlich zeitgemäß und gegenwärtig. Dieser Film wird politisch Interessierte ebenso begeistern, deren Elterngeneration noch nicht zu den Nachgeborenen zählt, wie er junge Menschen bereichern und zu Diskussionen anregen wird, die all das nur aus dem Unterricht kennen. Ein Film, der nicht selbstgerecht daher kommt, sondern sich nuanciert gegen das Vergessen auflehnt, nicht nur gegenüber den Gräueltaten des Dritten Reichs, sondern gegenüber politischem Unrecht an sich, auch dem gegenwärtigen.
Prädikat: besonders wertvoll
Quelle: Deutsche Film- und Medienbewertung
