Bewertung: 4 / 5
Spoiler- & Contentwarnung:
Drogen, Mord
Der bisher beste Film des Jahres:
"Megalopolis"
Eine (persönliche) Perspektive.
Trailer zu Megalopolis
Da ich mir nicht zutraue, ein derart wahnsinniges Werk wie "Megalopolis", nach nur zwei Sichtungen, für meine Ansprüche tiefgründig genug analysieren zu können und ich im Moment gern zusätzlich über andere Dinge als "bloß" die inhaltsgebende Form schreiben möchte, fällt der folgende Text diesmal etwas anders aus. Auf dass er allen Lesenden genauso vor den Kopf stößt wie der betreffende Film (uwu), habe in ihm auch deutlich mehr geblödelt als sonst lol. Einzelne der folgenden Gedanken gehen auf das Konto meines Vaters und meiner Freunde André und Dastin, ihnen sei hiermit gedankt! Ich hoffe, ihr Süßen habt beim Lesen genauso viel Spaß wie ich beim Schreiben :3
Der Final Cut im Kino - so habe ich "Apocalypse Now" von Francis Ford Coppola zum ersten Mal gesehen. Und für mittelmäßig befunden. Wie alt war ich, achtzehn? Die erste Hälfte hatte ich ja noch gemocht, das intensive, groteske Kriegsgeschehen. Dem konnte ich folgen. In der zweiten Hälfte hingegen ... ich glaube, ich bin damals einfach irgendwann nicht mehr hinterhergekommen. Spätestens als Kurtz auftauchte, da wurde mir der Film zu wahnsinnig. Ich hatte schlicht das Gefühl, nicht mehr zu verstehen, was mir DeR aUtOr DaMiT sAgEn WiLL; nicht wissend, dass allein das schon ein völlig unsinniger Ansatz ist. Und habe ergo den restlichen Film als pseudointellektuell wahrgenommen, als prätentiös. Ein Fehler, zweifelsohne - den die Welt nun bei "Megalopolis" wiederholt.
Wie eine sich selbst erfüllende Prophezeihung. Es gab (zurecht) Skandale um den Dreh, (zurecht) Skandale um Coppola, von dem auch jeder weiß, dass er längst der Megalomanie, dem Narzissmus verfallen ist. Das Marketing war eine (interessante) Katastrophe, die Kritiken sind miserabel, sowohl die "offiziellen" als auch die des "durchschnittlichen" Publikums; und so gut wie jeder hasst den Film, schlagkräftig begründet an Screenshots voller "hässlichem" CGI und Zitaten "schlechter" Dialoge. Was bleibt einem demnach anderes übrig, als mit einer ablehnenden Erwartungshaltung ins Kino zu gehen und sie an all der Skurrilität sowie den tatsächlich völlig weird wirkenden Elementen von "Megalopolis" bestätigt zu sehen, sobald man das Kino verlässt. Ja, ihr alle hättet "Apocalypse Now" damals genauso verschmäht, als er noch nicht gemeinhin anerkannt war.
Und das ist auch völlig legitim. Niemand ist gezwungen, einen Film zu mögen, der ihm oder ihr vor den Kopf stößt, den man einfach nur befremdlich findet. Jedes noch so seltsame Detail ist auch eines, an dem man sich stören darf, nichts muss nachvollzogen werden, wenn es sich so bereitwillig jeglicher Konventionen verweigert. Der ältere Herr hinter mir im Kino zum Beispiel, er ist aufgestanden und gegangen, ehe ihm der Film noch mehr Geduld und Lebenszeit rauben konnte, da war "Megalopolis" gerade einmal zu zwei Dritteln vergangen. Hingegen fand ihn die Kassiererin zwar nicht schlecht, aber doch zu unglaubwürdig und verworren, um zu verstehen, was ihr der Autor damit ... womit wir wieder am Ausgangspunkt wären.
Doch hat man sich erst von diesem, mit Verlaub, sehr limitierten Blick auf eine alleinig richtige Deutung hinsichtlich einer mutmaßlichen oder gesetzgebenden Autorenintention gelöst, wird eines schnell offensichtlich: Dass alles an einem Film glaubwürdig ist, wenn man es denn glauben will. Und dass alles, was man nicht glauben möchte, entsprechend unglaubwürdig erscheint. Schließlich ist Wahrnehmung keine Beobachtung - ersteres hat man, passiv, zweiteres macht man, aktiv - und sind individuelle Empfindungen, auch bei aller Legitimität und Notwendigkeit, kein Maßstab für Objektivität, kein allgemeingültiger Standard, den ein Werk zuvor doch hätte bedenken müssen.
Das wäre Filmdiskurs nach Lehrhandbuch, die einzelnen Elemente eines Filmes wie auf einer Checkliste abzuarbeiten und sie, je nach dem, ob sie dem eigenen Bild entsprechen, in gut und schlecht einzuteilen. Erst ein (Ab-) Satz zur Handlung, dann einer zu den Schauspielern*innen, danach zu den Effekten, zum Soundtrack, zur Kameraführung. Am besten bedient man sich dabei noch restriktiver Dogmen wie "Show dont tell" oder "das beste CGI ist das, was man nicht erkennt", um alles, was einem dahingehend unpassend erscheint, zum Fehler des Filmes erklären zu können. Schon kann man sich dem jeweiligen Werk ganz arrogant und ignorant überlegen fühlen, ohne viel Aufwand zu betreiben, ohne sich je Gedanken machen zu müssen, warum (außer aus angeblicher Unfähigkeit) all die Komponenten so gestaltet wurden, welcher Zusammenhang zwischen ihnen besteht, was sich aus ihnen ergibt. Das bedeutet nicht, dass eine Perspektive, die sich darauf konzentriert, per se zutreffender oder gerechtfertigter wäre, sondern dass sie allen anderen genauso legitim gegenübersteht, es auf jeden Film mehrere Sichtweisen gibt und geben muss. Natürlich muss das, was Coppola in dem Film sieht, was ich in ihm sehe, keine Tatsache sein. Aber das Gegenteil ist gleichermaßen der Fall: Was für einen Fehler des Films gehalten wird, muss genauso wenig einer sein. Also gebt einer anderen Perspektive darauf doch ebenfalls Raum - auch in euch selbst.
Denn Coppola hat Recht, wenn er sagt, dass "Megalopolis" sein Magnum Opus ist. Aus seiner Perspektive. Für ihn muss der Film sein Meisterwerk sein, die Kulmination seiner Filmografie. Schließlich ist es die Essenz seines künstlerischen Schaffens in all ihrer ungeschliffenen Schönheit. Und deswegen vergleiche ich ihn auch mit der zweiten Hälfte von "Apocalypse Now", weil "Megalopolis" stilistisch ähnlich und genauso abstrakt, aber trotzdem komplex erscheint; ihm jedoch ein erster Teil fehlt, der darauf vorbereiten könnte, sodass Zuschauende hineingeworfen statt herangeführt werden. Und man muss dem Film seine sprunghafte Handlung, seine wahnsinnige Welt eben einfach von Anfang an glauben, um die vielen Motive darin entdecken zu können.
Dabei ist die Kuriosität des Filmes doch leicht als Teil seines Worldbuildings zu erkennen. Eine dekadente Gesellschaft voller großer Männer, Visionäre und Skandale, die sich in jeder Hinsicht selbst vermarktet, selbst inszeniert, und die lieber an der Bewahrung einstiger Größe festhält, als an Morgen zu denken; voller menschlicher Götter, die sich wie in alten römischen Sagen ständig bekriegen und schikanieren. Entsprechend trägt die zentrale Liebesgeschichte in New Rome zwischen dem Protagonisten und Julia klare Referenzen auf, nun ja, "Romeo und Julia", zitieren Figuren ausgiebig "Hamlet" und wen nicht alles, gibt es ständig Montagen, fiktive Fernsehsender, News und Werbungen, sind Inszenierung und Dialoge ... theaterhaft überspitzt, um es einmal vorsichtig zu sagen. Das ist alles anstrengend und lebensfremd, definitiv, aber warum sich nicht auch einmal wissentlich vom Abstrakten verzaubern lassen? Warum dem Film nicht zugestehen, seltsam zu sein, und die freigewordenen Kapazitäten den Parallelen widmen - zwischen der beschriebenen Gesellschaft und Hollywood?
Ja, was liegt näher, als das Werk in all seinem Fokus auf Kameras, Medien, Drogen und Kunst so zu deuten. Dass in ihm eine Stadt für die Ewigkeit geschaffen werden soll und wird, die den Titel des Filmes trägt, ist ja eine eher offensichtliche Metaebene. Insofern ist "Megalopolis" ein größenwahnsinniges, selbstverliebtes Werk über einen selbstverliebten, größenwahnsinnigen Künstler, ist Kunst, die über sich selbst referiert, diskutiert und philosophiert. Mittels gegensätzlicher Figuren, mittels wiederkehrender Voiceover und Monologe, wenn der Film beispielsweise eingesteht, die Zeit zwar in seiner Narration, aber vor dem Hintergrund mehrerer Beobachtungsinstanzen - die Figuren-, Erzähler- und Zuschauendenperspektive - eben nicht tatsächlich anhalten zu können. Kunst, die zum Träumen aufrufen will, die unter Drogen entstanden und ehrlich darüber ist. Keine blanke Verdoppelung unserer Realität (wie jedes andere Kunstwerk auch lol), sondern ein psychedelischer Trip, der in erster Linie auf eine filmische Erfahrung abzielt. Fühlen, nicht zerdenken; und sich immer bewusst sein, dass man nur erfährt, wonach man auch fragt, dass man vor allem wahrnimmt, was man priorisiert.
Klar sind die Analogien zum Teil banal und forciert, aber eben auch extrem fantasievoll und effektiv herausgearbeitet. Denn "Megalopolis" ist im Grunde eine Verfilmung seines eigenen, chaotischen Schaffensprozesses. Ein vielversprechendes Projekt, dem irgendwann das Geld gestrichen, das ermordet und entwendet wird (passend dazu übersetzt sich der Aufbau der Stadt in eine Filmrolle, die abreißt, sobald der Film doch noch nicht zu einem Happy End gelangt) und nur in Eigenübernahme vollendet werden kann, jedoch nicht, ohne vollständig dem Wahn zu verfallen. Entsprechend kitschig ist später das tatsächliche Happy End, weil "Megalopolis" nach so vielen Jahren nun doch endlich gelungen ist - und wir das feiern soll(t)en. Beides, hat es einerseits uns doch ein weiteres Kunstwerk (gemeint ist das Medium) geschenkt, das die Vielfalt von Kunst somit zwangsläufig erweitert, und sich andererseits Coppola damit ein Denkmal gesetzt. Und ja, das ist in jeder Hinsicht arrogant. Aber auch da: muss das automatisch etwas Schlechtes sein, kann nicht gerade Hochmut auch von Größe kommen? So oder so übergibt der Film in seiner letzten Szene die Perspektive, Aufmerksamkeit sowie Relevanz an das Kind der Protagonisten*innen und damit an die nächste Generation. Während die Zeit für alle anderen Figuren ein letztes Mal stoppt, ehe "Megalopolis" endet. Vielleicht kontrolliert der Film ja doch die Zeit? Übrig bleibt nur die Frage, in welcher Figur sieht sich Coppola wohl selbst? In Ceasar? In dem alten Millionär? In allen abseits des genannten Kindes?
Autorenintention, Mutmaßung. Hatten wir schon (aber ist irgendwie auch ein Zirkelschluss hä krass :s). Viel greifbarer ist doch die beobachtbare Gestaltung von "Megalopolis", sind doch die vielen audiovisuellen Ideen und Ausdruckselementen darin. Angefangen von eher offensichtlichen Dingen, wie ein Ticken im Soundtrack, das verstummt und anschließend weiterläuft, wenn Ceasar die Zeit anhält, oder einem durchsichtigen Kleid auf dem "you can see right through me" steht, während zeitgleich in allen Medien das schmutzige Geheimnis der Figur offengelegt wird. Gefolgt von einer Fliege, die später als optisches Detail festhält, dass Ceasar seine Kontrolle über die Zeit verloren hat, sodass die statische Kamera in der gehaltenen Perspektive zusätzlich dessen Regungslosigkeit darstellen kann, bis dieselbe Fliege sogleich noch als Szenenübergang verwendet wird.
Ohnehin gelingt es dem Film stetig, auch seine ganz basalen Komponenten zu kontextualisieren, jede Ebene mit allen anderen in Wechselwirkung zu stellen. Sei es eine Szene, in der die Kamera wie ein Pendel schwingt, was sich in den ständigen Bezug auf Zeit einreiht, sei es ein dreigeteiltes Bild beim dritten Schritt im Plan einer Figur oder sei es eine sich "öffnende" Überblendung, als das Voiceover verkündet, dass die Tore von Megalopolis für alle offenstehen. Im Kontrast dazu gibt es in einer anderen Montage ein Motiv der Schöpfung, das an seiner Entlarvung als Bodypainting zerbricht, wenn Ceasar von einem erschütternden Verlust erzählt. In wieder einer anderen Sequenz neigt sich die Perspektive je nach Bedeutsamkeit der Personen im Bild nach links und rechts, um so den gesellschaftlichen Status der Figuren zu verbildlichen. Sogar wenn die Shots in seltenen Momenten an Fläche abgegeben, gewinnen sie an Gestaltung: Mit dem klimatischen Wechsel von unterschiedlich hoher Schärfentiefe bis zur plötzlichen Schwarzblende um ein ausgewähltes Bildelement herum gelingt dem Film spielend leicht eine visuelle Zuspitzung, welche die narrative Situation parallel dazu in der Komposition zu verankern weiß. Auf ähnliche Weise privatisiert "Megalopolis" eine öffentliche Interaktion, sobald die Figuren flüstern, und blendet somit das außenvorgelassene Außen ... eben aus (haha), was kurz darauf mittels einer Aufnahme durch einen Türspion rekontextualisiert wird.
Selbstverständlich reiht sich auch das CGI des Filmes in diese Zusammenhänge ein. Selbstverständlich ist die offensichtliche Künstlichkeit mancher Shots, selbstverständlich das intensive Color Grading, mit seinem vielen Gold, vielen Kontrasten, teil des Worldbuildings, teil der vielen Ausdrucksmittel. Film zielt immer auf das wechselseitige Verhältnis tausender Einzelbilder ab, ist immer auf Bewegung ausgelegt. Gerade deswegen mag ich den Spruch "every frame a painting" nicht, weil Malerei als singuläre Momentaufnahme völlig anders funktioniert. Auch im Diskurs um "Megalopolis" wurde mir ein Screenshot aus dem Film geschickt, eine seltsam goldene Farbgebung über fremdartig wirkenden Computereffekten, um zu "belegen", wie hässlich der Film doch sei. Schon da habe ich mich gefragt, was es ein einzelnes Bild von so vielen denn bitte zeigen soll, aber noch absurder wurde es, als ich den Film dann gesehen hatte: Das Bild stammte aus einer Szene, die im Kontext der Narration literally als fiktiv herausgearbeitet wurde, bei der es explizit darum ging, dass das Gezeigte nur Effekt, nur Vorstellung ist. Und aus diesem Blickwinkel war nichts daran fremdartig, nichts hässlich, sondern wirkte konsequent und treffend gestaltet. Weil ich bereit war, dem Film seine Herleitung dessen zu glauben, es war nur das separierte Bild, das keine hatte. Der Diskurs um Filme hat sich einfach längst versocialmediat (fetten Neologismus gepullt xD, aber nicht falsch verstehen, ich mag und nutze viel Social Media), ist nur noch eine Einteilung von einfachen "Tatsachen", wie ein Film denn auszusehen hätte, in gut oder schlecht (das merkt man im Übrigen auch an der Rezeption von "Joker: Folie Á Deux", kein Wunder also, dass Coppola diesen Film schon gelobt hat lol).
Ja, manche dieser Shots sehen unfreiwillig komisch aus, abstrakt eben, grotesk. Aber ist das nicht genauso eine Richtung, in die Kunst gehen kann, beispielsweise in der Absoluten Malerei, die daraus entstanden ist, sich einem gängigen Grundsatz der bis dahin gewachsenen Malerei zu entziehen, weil ich gerade bei dem Thema war? Auch Fabeln, als welche sich "Megalopolis" doch selbst bezeichnet, lebten schon immer von ihrer Bildhaftigkeit, nicht von einer romanhaft auserzählten Geschichte oder realistischen Begebenheiten; und funktionieren nur, wenn man bereit ist, ihre Symbole und Behauptungen dennoch anzunehmen. Deswegen muss man noch lange nichts davon mögen, aber liegt nicht auf der Hand, dass man nur daran gewinnen kann, sich zumindest auf die verbundene Erfahrung einzulassen, ohne alles Anstoßerregende sofort als Bullshit abzutun? Beispielsweise unterminiert ein seltsam klingendes Dialogsegment ("Entitles me? - Yes. - Entitles me?! - Yeees. - Entitles me? - Yeeeeees!") noch lange nicht die komplexe Inszenierung desselben Gesprächs, wenn Schärfen- und Perspektivwechsel, Schnitt und das Fehlen von diesem, die Raumgestaltung - und was in welchem Moment von ihm visuell preisgegeben wird - sowie die Positionierung der Figuren im Shot fortlaufend die jeweiligen Themen der Diskussion kommentieren. Ist das zu beobachten nicht viel interessanter, als einfach nur gut und schlecht, hässlich und schön wahrzunehmen?
Für "Megalopolis" ist das Überwinden solcher und aller Grenzen eben nicht nur Verständnisnotwendigkeit, er propagiert es auch, wenn Figuren in ihm sogar den Tod überleben, um ihre Kunst erschaffen zu können. Und fuck bin ich froh, dass die Entstehung des Filmes ihr eigenes Ende auch überdauert hat - denn "Megalopolis" ist bisher mein Film des Jahres. Ich bin mir sicher, dass der Film in vielleicht dreißig oder vierzig Jahren seine Renaissance als verkanntes Meisterwerk durchleben wird, beziehungsweise hoffe ich darauf; genauso wie ich hoffe, dass ich in den letzten drölftausend Wörtern deutlich machen konnte, warum.
8,5 von 10 Enten.