
Die verlorenen Szenen: Der "Lost Cut"
Zurück zum Artikel im OSWM. Die genannten verlorenen Anchorhead-Szenen sind natürlich jene, die mittlerweile bei Youtube auffindbar sind, wenn man danach sucht: Luke Skywalker beobachtet den Angriff des imperialen Sternzerstörers auf Leias Blockadebrecher von der Planetenoberfläche aus und tauscht sich mit seinen Freunden (u.a. Biggs Darklighter) über den Vorfall aus. Dies war laut Reynolds aber nur der Anfang der eigentlichen Lost Cuts. Tatsächlich existierte eine Version von Star Wars, die entstand, noch bevor der Film überhaupt zu Ende gedreht war – geschnitten von John Jympson, der für den Schnitt des 1964 entstandenen Zulu, oder auch den Beatles-Film Yeah! Yeah! Yeah! (Original Titel: A Hard Day’s Night) verantwortlich zeichnete und so George Lucas` Interesse weckte. Der von Jympson geschnittene Star-Wars-Film war noch komplett ohne Hochglanz-Spezialeffekte und es mussten noch wenige Szenen auf dem Blockadebrecher gedreht werden. Die uns bekannte Version (der noch vor der 1997 erschienen Special Edition) wurde letztlich von Richard Chew, Paul Hirsch und Lucas` Frau Marcia geschnitten und wurde wohl auch deswegen zu dem Erfolg, den wir heute kennen und lieben.
Wenn man bedenkt, wie viel Material offenbar für diesen Film vorhanden war, ist es beinahe eine Meisterleistung der Cutter, die den Film zu dem machten, wie er ins Kino kam. Laut Reynolds hatte man mit der ersten Schnittfassung eine Version die schon beinahe diametrale Unterschiede zur bekannten Schnittfassung enthielt. Gut 30-40% der Szenen waren entweder anders geschnitten, wiesen andere Kameraeinstellungen auf, oder ganze Handlungsstränge waren vorhanden, die später der Schere zum Opfer fielen. Reynolds kam in den "Genuss" sämtlicher Aufnahmen (der gesamte Ur-Schnitt) und bezeichnete seine Erfahrung selbst als "archäologische Reise" ins Archiv von Star Wars. Der Film, der damals noch mit dem Titel "The Star Wars" startete, vermittelte ihm ein ganz neues Gefühl. So gab es nicht nur zusätzlich Szenen, sondern auch mehr Dialoge. Vieles davon verblieb im Roman zum Film, der sich eng am Drehbuch orientierte. Letztendlich wurden lediglich unnötige Szenen und Dialoge für den Film entfernt. Er wirkte zuvor eher wie eine Dokumentation, da alles sehr genau erklärt war.
Manche Szenen wurden deutlich verlängert, damit der Zuschauer stets im Bilde war, was und wo, wie passierte. Die Fahrt mit Lukes Landspeeder dauert länger inkl. der Außenaufnahmen des Speeders vor Obi-Wans Hütte, Leia wird nach der Zerstörung Alderaans wieder abgeführt – Commander Daine Jir, der Leia verhört gibt Vader die Anweisung, die Prinzessin zu exekutieren, worauf Vader ihm entgegnet, er müsse durch sie herausfinden, wo die versteckte "Festung" zu finden sei (was möglicherweise eine Referenz zu Akira Kurosawas Die Verborgene Festung war, die bekanntlich u.a. Inspiration für Lucas` Werk war). Außerdem gibt es zusätzliche Szenen des Millennium Falcon im Hangar des Todessterns, eine alte Frau in Anchorhead meckert Luke an, er sei zu schnell mit dem Speeder unterwegs, es gibt mehrere Szenen, in denen auch unbekannte Rebellen-Piloten und Techniker bei der Besprechung zum Todessternangriff zu sehen sind, Han hat seine Freundin "Jenny" in der Cantina – die Cantina-Szene selbst ist deutlich länger (der Dialog zwischen Han und Obi-Wan dauert länger und wird oft durch dialoglose Szenen unterbrochen) und Obi-Wan irrt länger auf dem Todesstern umher, um den Schalter für den Traktorstrahl zu finden. Dadurch wirkt die Raumstation zum einen viel größer, und zum anderen wird die Gefährlichkeit seiner Mission noch viel deutlicher herausgearbeitet, da er viel öfter in brenzlige Situationen gerät.
Das war nun lediglich eine kleine Auswahl der Szenen, die entweder erweitert, oder verändert waren. Es gibt aber auch diverse charakterliche Erweiterungen, die für die Endfassung geschnitten wurden. Während man z.B. in der Kinofassung einfach annimmt, dass Han Solo ein Schurke und Weiberheld ist, wird das im "Lost Cut" nochmal deutlicher unterstrichen. Nicht nur, dass er Greedo kaltblütig abknallt, nein, er beobachtet auch entzückt die Auseinandersetzung zwischen Luke, Obi-Wan und den beiden Verbrechern Cornelius Evazan und Ponda Babas, Stichwort "Ich bin auf zwölf Sternen zum Tode verurteilt". Während Ponda seinen Arm verliert küsst Han teilnahmslos seine Freundin. Auch eine Szene, in der Lukes Freundschaft zu C-3PO manifestiert wird, hat es nicht in die Endfassung geschafft. So versucht Luke den "Haltebolzen" wieder anzubringen, nachdem er 3POs Arm repariert hat. Der Droide versucht dabei jedoch auszuweichen und beide sehen sich eine kurze Weile an, bevor Luke den Haltebolzen wieder beiseitelegt. Ebenfalls wird die beginnende Freundschaft zwischen Han und Luke auf dem Millennium Falcon deutlicher herausgearbeitet, nachdem sie bei der Flucht vom Todesstern, den Kampf gegen die Tie-Jäger überstanden haben. Hier fehlen diverse Dialoge.