Bewertung: 5 / 5
Vier Menschen, eine Wohnung, 80 Minuten Konversation: Roman Polanski macht mit seiner Adaption von Yasmina Rezas erfolgreichem Theaterstück Der Gott des Gemetzels das Kino zu einem Schauspielerparadies, in dem die Höllenfeuer lodern. Einen unterhaltsameren Film hat es in diesem Kinojahr nicht gegeben. Einen sinnigeren auch nicht.
Ausgangspunkt ist eine Rauferei unter Kindern. Der Sohn von Nancy (Kate Winslet) und Alan Cowan (Christoph Waltz) hat dem Sohn von Penelope (Jodie Foster) und Michael Longstead (John C. Reilly) auf einem New Yorker Spielplatz mit einem Stock im Gesicht verletzt. Die Eltern treffen sich, um die Probleme ihrer Kinder aus der Welt zu räumen. Man ist schließlich zivilisiert, man hat "Gemeinschaftssinn", man ist an einem Stammtisch der Kultivierten auf einer Wellenlänge. Nur nicht allzu lange.
"Wir versuchen nachzuholen, was die Schulen versäumen." - "Gewalt geht uns alle an." - "Kunst und Kultur bedeuten Zivilisation." - Es werden ein paar gebildete Plattitüden ausgetauscht, bevor das Quartett die Hüllen fallen lässt, bevor sich die vier Zivilisationshüter die Masken vom Gesicht reißen, bevor sie anfangen sich zu beschimpfen, zu kotzen und zu saufen. Und aus zwei netten Paaren werden erbitterte Gegner, die sich mit pointierten Dialogen, mit ironischen Spitzen die Augen auskratzen.
Das alles, bis auf die beiden Spielplatz-Einstellungen am Anfang und am Ende, passiert in einer Wohnung, in einem Film, der die Echtzeit wiedergibt. Und nie war ein Elterntreffen, ein 80-minütiges ernstes Gespräch über Täter und Opfer, eine langweilige Phrasendrescherei über den Untergang des Abendlandes amüsanter und abwechslungsreicher.
Roman Polanskis Film zieht die Spannung aus den Allianzen, die geschmiedet und wieder aufgelöst werden. Hier kämpfen die Paare zunächst gegeneinander, dann die Männer gegen die Frauen, dann jeder für sich und irgendwann weiß niemand mehr, auf wessen Seite er eigentlich steht. Sie alle streicheln sich ihre Egos und können doch nicht verhindern, zu arroganten Dreckschweinen und falschen Schlangen zu werden.
Roman Polanski hat das Drehbuch zusammen mit Yasmina Reza, der Autorin des Bühnenstücks, verfasst. Spitzzüngig und bitterböse ist das Skript, zum Brüllen komisch und zum Heulen wahr. Jeder Satz, jedes Wort hat eine Bedeutung und führt das Gespräch auf eine neue Ebene. Die beiden haben den Darstellern ein ziemlich enges Korsett geschnürt, dennoch haben die Schauspieler viel Freiraum - und nutzen ihn mit unheimlich viel Verve. Sie alle spielen sich in einen Rausch, der, wenn es im Filmgeschäft gerecht zugehen würde, mit vier Schauspieloscars gewürdigt werden würde.
John C. Reilly entwickelt sich vom kumpelhaften Vermittler zwischen den Fronten zum manierenloser Kloverkäufer, Jodie Foster ist eine herrliche Gutmenschen-Nervensäge und Kate Winslet ein schlummernder Vulkan der Tugendhaftigkeit, dessen Ausbruch ein atemberaubendes Spektakel ist.
Primus inter pares, der Erste unter Gleichen, ist jedoch Christoph Waltz. Was nicht nur daran liegt, dass er die dankbarste von vier dankbaren Rollen spielt: Anwalt Alan ist der Einzige, der sich nicht verstellt, der cool bleibt (bis auf eine herrliche Szene, in der sein liebstes Spielzeug in einer Blumenvase landet).
Für ihn ist das Leben ohnehin nichts anderes als ein Spiel. Er ist es, und Waltz bringt das mit unvergleichlicher Süffisanz auf den Punkt, der den "Gott des Gemetzels" in uns allen sieht und akzeptiert. Er weiß, dass er ein Dreckschwein und damit nicht allein ist. Wer hier lacht, lacht sich selbst aus.
Der Gott des Gemetzels bekommt 5 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Andreas Fischer)