Bewertung: 1.5 / 5
Warnung vor Spoilern.
Was ist ehrliche Kunst? Für Andrea Dreher, Laudatorin der Kunstausstellung "Experimentelle", ist es die Kongruenz zwischen, Form, Aussage und Künstler*in (Quelle). Ein Werk, das zu deuten auch die Ansicht seines Autors verrät, in das Einsicht zu nehmen etwas über seinen Schaffensprozess aussagt.
Trailer zu The Whale
Darren Aronofsky, Regisseur von "Black Swan" und "Requiem for a Dream", sieht die Frage hingegen in Direktheit beantwortet. Sein "The Whale" handelt nach dem Prinzip, das er predigt: Kunst sei dann ehrlich, wenn sie ihre Aussage so unverblümt wie möglich wiedergebe. Wenn sie formlos sei, um emotional zu erreichen.
So erklärt der Film, dessen Protagonist Charlie das Schreiben von Aufsätzen lehrt, jene Essays als die besten, welche ihre Meinung am deutlichsten ausdrücken. Die ihr Fazit nicht in kunstvolle Sätze packen, sondern darin anschlussfähig sind, dass sie Wörter wie "langweilig" benutzen, dass sie auf menschliche Emotionen eingehen. Ihnen gibt der Film einen eigenen emotionalen Wert, nutzt sie als klimatisches Element. Und zieht sie somit allen anderen Aufsätzen vor.
Entsprechend minimalistisch fällt die Formsprache von "The Whale" aus. Als Kammerspiel gehalten verlässt die Kamera selten die Wohnung des Protagonisten, klebt klaustrophobisch an den Charakteren. Kontinuierlich kommentiert sie deren Bewegungen: Sie schwenkt entgegengesetzt zur Laufrichtung der Figuren, steht still, wenn es die Schauspieler*innen tun und zoomt heran, wenn diese sich dem Bild nähern. Das Format von 4 zu 3 engt Charlie zusätzlich ein, lässt seinen Körper nicht in die Aufnahmen passen. Seine Bewegungsunfähigkeit spiegelt sich demnach visuell, schlägt sich sinnbildlich im gewählten Genre nieder.
Und dennoch. Dennoch interessiert sich das Werk kaum für seinen Protagonisten, sondern stellt ihn aus. Stellt sein Leiden aus. Ständig fokussiert die Kamera seine Fettpolster, zeigt seine verschmierten Mundwinkel. Brendan Fraser liefert die Performance seines Lebens, doch "The Whale" kann nichts anderes damit anfangen, als ihm die Kamera in das Gesicht zu halten.
Schamlos ergötzt man sich an der Misere der Figur. Weil Aronofsky glaubt, Zuschauende müssten zu Emotionen gezwungen statt diese in ihnen geweckt werden. Und so missversteht "The Whale" Plakativität als Ehrlichkeit. Ein Soundtrack, der sich in repetitiver Melancholie und Dramatik verliert, rührselige Gespräche, die Charlie laufend als Opfer seiner Umstände rechtfertigen. Schließlich deklariert der Film ja, Emotionen seien ehrlich, und natürlich sind auch wir umso ehrlicher, wenn wir mit der Figur mitleiden.
Seine Erlösung ist unsere Erlösung. So wenig Aronofsky von Religion hält, so religiös, so esoterisch, so pathetisch sind seine Filme. Läuterung durch Leid, wie in der fucking Bibel. Es ist nur konsequent, dass insbesondere Charlies Tod kaum plumper inszeniert sein könnte, wenn zum dritten Mal derselbe Aufsatz vorgelesen wird, sich all die eindimensionalen Figuren weinend in die Arme fallen und erneut zur glücklichsten Erinnerung des Protagonisten geschnitten werden muss. Weißes Licht hinter seiner im versöhnlichen Moment engelsgleich inszenierten Tochter, bis er einen letzten Schrei der Erlösung loslässt, abhebt und der ganze Bildschirm weiß wird. Nur, damit man im Anschluss schon wieder zu angesprochener Erinnerung blenden kann. Um es, falls das überhaupt geht, noch deutlicher zu machen, dass Charlie am Ziel ist.
Bei all der betonten Ehrlichkeit könnte die Betrachtung der Titelfigur in "The Whale" - es liegt auf der Hand, dass der Aufsatz über die traurige Geschichte hinter Moby Dick eine Metapher für Charlie sein soll - somit kaum unehrlicher sein. Schließlich ist in der Kunst die Form der Inhalt, und Ehrlichkeit hieße demnach, sich so formsprachlich komplex wie möglich für die eigenen Motive und Charaktere zu interessieren.
Dass uns Aronofsky abgefilmtes Theater und mangelhaften künstlerischen Ausdruck ganz selbstgefällig als hohe Filmkunst verkaufen will, ist in dem Sinne schlicht kunstfeindlich.
3,5 von 10 Enten.