Bewertung: 2.5 / 5
Für viele gilt Manchester by the Sea neben La La Land als heißer Oscar-Kandidat und gefühlt 95% der Zuschauer beziehungsweise Kritiker geben dem Film auch Bestnoten. Wir können an dieser Stelle nicht in die Jubelrufe einstimmen, was nicht daran liegt, dass man uns bloß große emotionale Ausbrüche, eindeutige Gut-Böse-Fraktionen oder Explosionen kredenzen müsste, damit wir begeistert sind. Gerne hätten auch wir Daumen gedrückt für die kommenden Academy Awards, aber weder überzeugt Regisseur Kenneth Lonergans Stil über alle Maßen, noch bietet die Geschichte etwas, was wahrhaftig hängenbleibt. Und vor allen Dingen genießt das Drama bloß den Ruf, grandios (!) geschauspielert zu sein, es fehlt, dass es auch grandios geschauspielert ist. Manchester by the Sea ist einer der Filme, die hochgejubelt werden, die sich aber zu all jenen Kandidaten gesellen werden, die man nur einmal im Leben schaut. Und das eben aus der Gewissheit heraus, weil sie langweilig sind, was jedoch nur die wenigsten zugeben würden.
Manchester by the Sea Kritik
Lee Chandler (Casey Affleck) muss an einem grauen Wintertag einen schweren Gang antreten: Das Herz seines Bruders Joe (Kyle Chandler) hat aufgehört zu schlagen und nun steht Lee vor der Entscheidung, die Verantwortung für seinen Neffen, den 16-jährigen Patrick (Lucas Hedges) zu übernehmen. Lee, der schon zuvor einen äußerst schweren Schicksalsschlag erlitten hat, kehrt widerwillig nach Manchester-by-the-Sea zurück, denn seiner Ansicht nach kann er der Bitte seines toten Bruders nicht entsprechen...
Trailer zu Manchester by the Sea
Wie eingangs schon kurz zusammengefasst, hat uns Manchester by the Sea nicht gepackt, so dass wir keine bessere Bewertung geben können. Wir regen wie immer trotzdem dazu an, euch eine eigene Meinung zu bilden.
Zuallererst ist nichts gegen die im Film aufgerollte Geschichte zu sagen, die nicht besser oder schlechter ist als viele Dramen. Den einen berührt sie, andere werden tief im Inneren getroffen, weil sie eine ähnliche Tragödie miterleben mussten, wieder andere werden das auf zurückhaltende Art erzählte Drama einfach so in seiner Darstellung mögen. Doch der Drehstil lahmt, trotz all der einfließenden tristen Bilder Neuenglands, trotz aller Mühe, die sich die Darsteller geben, trotz aller hin und wieder eingestreuten lichten Momente. Und das ist es, womit Manchester by the Sea beim Zuschauen steht oder fällt: Es passiert eigentlich nichts.
So ziemlich von Beginn an ist klar, dass Lee Probleme haben wird, sich der Aufgabe zu stellen - doch warum einen Film anschauen, der uns zwar ein paar fremde Leben näherbringt, aber auf der Stelle tritt? Zwar macht das persönliche Drama um Lee sein ganzes Auftreten verständlich, dem Zuschauer wird jedoch kaum mehr entlockt als ein "wie furchtbar, jetzt wird alles klar". Denn nichts im Film animiert dazu, mehr zu fühlen als diese bittere Erkenntnis. Sleepers erschütterte, Brokeback Mountain rüttelte auf, Liebe berührte ... die Liste könnte weit fortgesetzt werden, aber die Erkenntnis folgt immer wieder, dass Manchester by the Sea ein Film mit viel zu übertriebener Rezeption ist. Regisseur Kenneth Lonergan spielt die Klaviatur derart auf Ruhepuls, dass die 138 Minuten sehr lang sein können.
Was jedoch am meisten bei den ganzen Lobeshymnen enttäuscht, ist die mimische Leistung der Darsteller. Michelle Williams spielt Lees Ex-Frau mit der ihr inneliegenden Güte und Sensibilität, doch auch sie haben wir schon deutlich besser in Erinnerung. Derjenige, der das ganze Lob zurzeit auf sich vereint, ist Casey Affleck, Ben Afflecks kleiner Bruder, und so wie jener nur in der Lage, Rollen passabel bis annähernd gut zu besetzen, die stoisch runtergespielt werden können. So wie Ben in The Accountant als Autist überzeugte, so ewig gleich spielt sich Casey durch Lees Introvertiertheit, was an ähnlich hölzerne Auftritte wie in Interstellar oder The Finest Hours erinnert. Ja, er muss so spielen, er spielt einen nahezu leblosen, leeren Menschen, jemanden, dem Schlimmes widerfahren ist! Diese Tatsache hilft aber nicht darüber hinweg, dass sich das Schauspiel so anfühlt als wären die Darsteller in derselben Langeweile gefangen wie man selbst beim Zuschauen. Aber zeichnet es aus, wenn Schauspieler wie in Qualen wirken, nur weil sie Charaktere spielen, die Qualen erleiden? In einem viel gelobten Dialog zwischen Affleck und Williams (der aber ebenso wirkt, als rufe er "Hallo, Jury..."), spielt er blutarm wie in all den Filmminuten zuvor und sie simuliert Tränen, die nicht kommen.
Natürlich ist Manchester by the Sea ein menschliches Drama, das nicht kalt lassen kann und mit ein paar starken Szenen punktet. Wir denken an die Kühlschrankszene und möchten lobend Lucas Hedges hervorheben, der seiner Rolle viele Facetten eines niedergeschlagenen und dennoch coolen Teenagers mitgibt. Aber es bleibt dabei, dass viele Momente eben bei weitem nicht so überzeugend gedreht und geschauspielert sind wie vielerorts zu hören. Affleck mag die Rolle gut ausfüllen, doch introvertierte, zutiefst unsichere Personen hat man an anderer Stelle schon deutlich besser, emotionaler, ergreifender erlebt. Wir erinnern nur beispielhaft an Michael C. Hall, der sowohl in Six Feet Under als auch in Dexter grandios spielte oder Leonardo DiCaprio, bei dem man wirklich von Können sprechen kann. Sofern Affleck für diese bei weitem bloß solide Performance einen Oscar als Bester Hauptdarsteller erhält, tut es uns für die anderen Nominierten mehr als leid.
Das Faszinierende an Manchester by the Sea ist, dass er zum Diskutieren einlädt. Denn nur weil der Tomatometer ausschlägt, ist er nicht automatisch überall auf der Zielgeraden, wie ihr an unserer Kritik sehen könnt.