
Bewertung: 4.5 / 5
Vorab einmal ein paar Sachen, damit Ihr das Gelesene einordnen könnt: Ich habe weitgehend darauf verzichtet mich über den neuen Film zu informieren, habe auch jegliche Reviews gemieden. Dann habe ich mir den alten Film kurz vorher nochmal reingepfiffen. Ich war nie ein großer Fan des Filmes, sicher rein auf Filmliebhaber-Ebene kann ich nicht umhin, ihm wirklich vorhandene Klasse zu attestieren, aber emotional hat er mich nie so gepackt, wie er viele andere meines Alters oder noch älter wohl beeinflusst zu haben scheint. Hierzu habe ich auch eine Kritik verfasst, wofür ich wegen meinem Schreibstil angegangen wurde. Nun denn, ich bin zwar der Meinung, dass ich mich für meinen Stil bei Niemandem entschuldigen muss, aber um alle Beteiligten zu beruhigen: Beim neuen Film gibt es keine solche Angriffsfläche für solche kleinen von mir lustig gemeinten (von einigen vulgär empfundenen) Spitzen. Um es vorweg zu nehmen: Der neue Blade Runner ist richtig gut. Er ist richtig, RICHTIG gut. Soweit zum Prolog, auf ans Eingemachte.
Da es wirklich sinnvoll ist, dass der Zuschauer überhaupt nichts über den Film weiss, wenn er ins Kino geht, gehe ich erst gar nicht auf die Handlung ein. Das ist zwar ein Novum für eine Rezension, die ich schreibe, aber ich denke, man kann den Film trotzdem lang und ausgiebig diskutieren. Und zwar in erster Linie auch als Vergleich mit dem ersten Teil.
Trailer zu Blade Runner 2049
Ich will es nicht beschreien, aber BR 2049 gehört jetzt schon in die Klassifizierungen der Fortsetzungen wie Dark Knight zu Batman Begins, Der Pate 2 zu Der Pate, Das Imperium schlägt zurück zu Star Wars, und mit Abstrichen Terminator 2 zu Terminator (wobei das für mich eher ein Remake ist); kurz er ist eine der besten Fortsetzungen aller Zeiten. Wie kommt das zustande?
Es liegt sicherlich nicht an der Story, das muss hier leider schon gesagt werden. Wer die letzten Jahr(zehnt)e auch nur ein bißchen Science-Fiction gesehen und gelesen hat, wird keine, aber auch wirklich KEINE Überraschung erleben. Jeder, der das behauptet, ist entweder zu jung oder ein halbwegs unbeschriebenes Blatt in diesem Genre. Fast jede Entwicklung und fast jeder Twist kündigt sich schon von Weitem an. Die Entwicklung aller Charaktere verläuft im Prinzip genau in den Bahnen, wie man es erwarten würde, der Platz, an dem die Charaktere (künstlich oder nicht)zum Ende des Filmes gelangen, ist immer ungefähr da, wo man es erwarten würde. Die Bösewichter (vor allem Jared Letos Charakter ist bewusst charismatisch, schräg, vage gehalten) sind genau solche Abziehbilder der Bösewichter, wie man sie mittlerweile aus unzähligen Anime, vom alten Blade Runner inspirierten Filmen oder woher auch immer kennt. Als Beispiele sind hier nur mal kurz Equilibrium oder Battlestar Galactica (die neue Serie) eingestreut, wenn man genauer darüber nachdenkt, wird es sicherlich noch weitere Streifen geben. Auch die vorgegaukelte Tiefe mit den Tränen bei einer Figur ist nicht wirklich neu. ABER, der Film, auch wenn er nichts wirklich Neues von sich gibt, verbindet alle Elemente so zu einem voluminösen großen Ganzen, dass einfach alles passt. Ich möchte jetzt nicht unbedingt "Lieber sehr gut geborgt als schlecht erfunden" sagen, aber es geht ein bißchen in diese Richtung. Er ist so rund und perfekt orchestriert, wie ich es ehrlich gesagt, so höchstens bei Park Chan Wooks Lady Vengeance (ich weiss: anderes Thema) bisher gesehen habe.
Auch ist hilfreich, dass er thematisch und inhaltlich den Mumm hat, all die Themen, die im ersten Teil nur angedeutet oder gar der eigenen Inspiration überliessen, anzusprechen und zu hinterfragen. Einer meiner größten Kritikpunkte beim ersten Teil: Dass hier tatsächlich systematisch angeordneter Mord stattfindet und wie die Beteiligten damit klarkommen, ist hier ganz klar ein zentrales Element.
All das macht einen wirklich guten Film aus, doch wie wird dieser Film nun überdurchschnittlich gut, was macht ihn so hervorragend? Fangen wir mal bei den technischen Aspekten an: Schnitt, Ausstattung, Konzeption and Arrangierung der Bilder sind eine Wucht. Die Musik ist bombastisch orchestral. Im Vergleich zum ersten Teil wird dann dennoch sofort (von der ersten Einstellung an sofort) deutlich, dass sich 2049 deutlich unterscheidet: Vangelis Musik war allgegenwärtig, bis zur Penetranz und darüber hinaus, auch sehr diffus, so dass er einen verstörenden Beigeschmack verströmte. Hier ist es auch mal still, die Musik wird nie verstörend oder verstärkt selten den klaustrophobischen Eindruck. Auch ist der neue Film nie so pickepackevoll wie der alte Film es war. Selbst in engsten Bereichen hat man nie ein beengendes Gefühl, dafür ist alles zu "groß und nicht beengt". Der Schnitt beeindruckend, aber auch hier im krassen Gegensatz zum alten BR, der bewußt hektischer geschnitten war, um ein Gefühl der orientierungslosigkeit zu erzeugen. Insofern grenzt er sich bewußt vom alten Film ab, wird was völlig eigenes, und dennoch komplementär zum alten Film.
Denn: Er stellt genau die Fragen, die den alten Film so reizvoll machten, noch einmal, er macht genau die Andeutungen, die der erste Teil auch machte, er spricht genau das aus, was die vielen Fans seit Jahren sagen, nur um diese Fragen wieder nicht zu 100% zu beantworten. So wird zum Beispiel Olmos Charakter kurz reaktiviert und seine Beziehung zu Fords Charakter wird nun geklärt. War dies nötig? Nein, sicher nicht. Ist es trotzdem schön, solche Fragen zu klären. Geschmackssache. Was aber unglaublich effizient an dieser Heangehensweise ist, ist dass uns vor Augen geführt wird, wie überragend inhaltlich der erste Teil war (für mich eher: hätte sein können, wenn besser umgesetzt) und welche Themen dort auch schon thematisiert wurden (wenn auch nur andeutungsweise). BR 2049 macht also auch hier alles richtig, indem er den alten Film nicht kopiert, sondern fortführt, und ihn sogar derart ergänzt, so dass der alte Film "plötzlich" noch ein bißchen größer (überlebensgroß) erscheint und nun doch noch besser wirkt. Das ist auf der einen Seite wirklich großartig, aber auch ein bißchen schade, denn so wird mir vor Augen geführt, dass da tatsächlich mindestens ein bißchen Potential damals verschenkt wurde.
Die Größe des alten Films wird auch dadurch verstärkt, dass Harrison Ford tatsächlich eine der stärksten Leistungen seine Karriere hinlegt. Ein bißchen wirkt es auf mich so, als würde er mit aller Kraft seine Interpretation des Charakters gegenüber der mittlerweile etablierten Meinung verteidigen wollen. Ich persönlich finde diese nach wie vor ambivalente Haltung gegenüber Dekker sehr angemessen, was seinen Charakter plötzlich zu einer der interessantesten Figuren des ganzen Films macht. Dies war für mich zumindest im ersten Teil ein großer Schwachpunkt gewesen: Dekker war obwohl Dreh- und Angelpunkt des Films immer sehr passiv gewesen (wie so üblich bei Scotts männlichen Protagonisten: Gladiator, Königreich der Himmel usw.), obwohl er ja doch aktiv war, und man bekam kaum was von seinem Innenleben mit. Hier ist der Charakter immer noch derselbe, das ist ganz klar, aber deutlich greifbarer. Das trifft ja wie oben beschrieben auf die meisten Charaktere zu. Vor allem Ryan Goslings Charakter ist komplett greifbar und auch komplett erzählt, mit all seinen tragischen Nuancen, welche zwar auf der einen Seite alle meilenweit gegen den Wind zu riechen sind, aber nichts von ihrer Wirkung verlieren.
Villeneuve weiss genau wie Scott, wie Opulenz optisch dargeboten wird, aber im Gegensatz zu Scott weiß er auch immer genau, wie man etwas präsentieren muss, damit es sowohl intelligent als auch massenkompatibel rüber kommt. Wenn es derzeit einen Regisseur gibt, dem ich sowohl eine Neuverfilmung/ adäquate Verfilmung von Dune oder Akira zutraue, dann ihm! Und ich denke, dass ist eine Ansage!
Also dann, zum Fazit: BR 2049 komplettiert und erweitert BR auf so beeidnruckende Weise, dass er eine der besten Fortsetzungen aller Zeiten ist. Er vollbringt das Kunststück, sich selbst großartig zu präsentieren, und den ersten Teil nachträglich zu verbessern. Er ist gleichzeitig intelligent, aber nicht abgehoben, massenkompatibel, weil sehr zugänglich und nicht sperrig wie der erste Film, optisch und akkustisch sehr ansprechend, auf den Punkt besetzt (außer vielleicht Letos Charakter, aber der wurde wahrscheinlich nur für evtl. Fortsetzungen platziert), ist eine in sich geschlossene Story, bietet aber trotzdem genug Raum für Fortsetzungen. Alles in allem fast perfekt. Nun noch die Frage aller Fragen: Ist er besser als der erste Teil? Wie auch bei den anderen oben genannten Filmen wird es hier die eine oder andere Meinung zu geben. Ich persönlich muss zugeben, dass Blade Runner für mich der visuell und akustisch ästhetischere, überragendere Film war. Auch waren die Charaktere derart unzugänglich, dass das alles zur Mystifizierung des Filmes beitrug. Die allumfassende Bedrohung des ersten Teils und das Unbehagen, das man zu jeder Zeit hatte, kann auch nicht so ohne weiteres eingefangen werden. Und wenn ich jetzt die Verweise zum alten Film sehe, komme ich nicht umhin, die ganze Klasse des alten Films zu würdigen. Und umso mehr bedauere ich, wie Scott es einfach nicht gelungen ist, seine damalige Geschichte trotz aller Sperrigkeit runder zu gestalten, dann wäre der erste Teil ganz oben anzusiedeln. So aber: ich finde den ersten Teil tatsächlich besser, weil origineller, ästehtischer, bewerte aber den zweiten höher, da er einfach der zugänglichere Film ist.
9 Punkte (4.5 Hüte)
